35 Jahre KDV

35 Jahre Karpatendeutscher Verein: Notizen und Erinnerungen

Meine Absicht ist es, einen kurzen Rückblick auf den 35-jährigen Weg des Karpatendeutschen Vereins in der Slowakei zu werfen. Dabei konnte ich mich nicht auf Forschungsarbeiten zu diesem Thema stützen, da solche nicht existieren. Stattdessen greife ich auf mein eigenes Archiv und meine persönlichen Erfahrungen zurück, wie ich diese Zeit vor 35 Jahren im Hinblick auf die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei erlebt habe. Im ersten Teil dieser Serie erfahren Sie mehr über die Ereignisse von November 1989 bis Januar 1990.

Die deutsch-tschechisch-slowakische Problematik nahm unmittelbar nach der „Samtenen Revolution“ im November 1989 einen bedeutenden Platz in der außenpolitischen Agenda der Tschechoslowakei ein. Es war jedoch verständlich, dass damals in der Tschechoslowakei vorrangig die tschechisch-deutsche Vergangenheit im Fokus stand und nicht die deutsch-slowakischen Beziehungen.

Die Vergangenheit neu bewerten

Ein Anstoß, bereits kurz nach der Samtenen Revolution die Vergangenheit neu zu bewerten, kam von Václav Havel. Er schrieb einen Brief an den deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, in dem er unter anderem sein Bedauern über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ausdruck brachte: „Ich persönlich verurteile – genauso wie viele meiner Freunde – die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg. Ich erachtete sie stets als eine zutiefst unmoralische Tat.“ Bundespräsident Weizsäcker zitierte diesen Passus in seiner Weihnachtsansprache am 22. Dezember 1989.

Parallel dazu regte der designierte Außenminister Jiří Dienstbier erste praktische Schritte für einen Neuanfang im Verhältnis zum deutschen Nachbarn an. Am 19. Dezember 1989 rief er in der tschechoslowakischen Föderalversammlung zur Bildung einer gemeinsamen Historikerkommission auf und sprach sich ebenfalls für eine Entschuldigung gegenüber den Sudetendeutschen aus: „(…) so wie die Deutschen sich bemühen – und in vielem schon erfolgreich –, sich zum nationalsozialistischen Unrecht an unserem Volk zu bekennen, ist es unsere moralische Pflicht, sich dazu zu äußern, was man den unschuldigen deutschen Frauen und Kindern im Jahre 1945 in der Gegend um Znojmo, südlich von Brünn, und in vielen anderen Gegenden angetan hat.“

Stimmen dagegen und dafür

Offene Unterstützung für Havel und Dienstbier gab es nur wenig. Havel musste wegen seiner Haltung scharfe Kritik einstecken. Als Protest trat ein 68-jähriger Mann auf dem Altstädter Ring in Prag in einen Hungerstreik. Der Pressesprecher der Gewerkschaften erklärte: „Solche Pläne sind aus geschichtlichen, völkerrechtlichen und moralischen Gründen abzulehnen.“ Die Kommunistische Partei kündigte an, einer Entschuldigung niemals zuzustimmen.

Neben den überwiegend ablehnenden Reaktionen gab es auch Stimmen, die die Ankündigungen von Präsident Václav Havel und Außenminister Jiří Dienstbier unterstützten. Ein wichtiges Signal setzte die Kirche mit ihrer Zustimmung zur offiziellen Versöhnungspolitik. Bereits am 2. Januar 1990 bezeichnete der Prager Erzbischof Kardinal Tomášek die Vertreibung der drei Millionen Deutschen als einen „rechtswidrigen und inhumanen Akt“. Im jährlichen Hirtenbrief stellte sich der Kardinal vorbehaltlos hinter die Äußerungen Havels.

Ein neu gegründetes „Tschechoslowakisches Bürgerforum in der BRD“ forderte: „Die tschechoslowakische Regierung, als Repräsentantin der tschechoslowakischen Staatlichkeit, soll sich jetzt für die gewaltsame Aussiedlung der Sudeten- und Karpatendeutschen in den Nachkriegsjahren entschuldigen.“

Stimmen der Karpatendeutschen

In der Slowakei waren Reaktionen auf Havels Aussagen ebenfalls zu hören: „Die Slowaken stimmen ihm zu, weil er den Mut hatte, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Auch hier muss man sich laut entschuldigen. Die Karpatendeutschen waren kein Hindernis für die Slowaken. Ihre Spuren pflegen wir bis heute dankbar. Sie gehören zu unserer Geschichte. Wir heißen sie in der Slowakei immer gerne willkommen.“

Als erstes öffentliches Auftreten der Karpatendeutschen in der Slowakei können die Artikel von Julius Kiss aus Deutschendorf/Poprad betrachtet werden. Im Wochenblatt Podtatranské noviny veröffentlichte Julius Kiss am 11. Januar 1990 den Artikel „Bol aj ‚odsun‘ na východ“ (Es war auch eine Abschiebung nach Osten). Darin reagierte er auf die öffentliche Diskussion über die Schuld der vertriebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei. Dieser Artikel löste in der Region einige Reaktionen aus, die in den folgenden Monaten veröffentlicht wurden.

Die politische Wende im Herbst 1989 wurde auch von den Verbänden der vertriebenen Karpatendeutschen aufmerksam verfolgt. In der Karpatenpost war im Januar 1990 in einem Leitartikel mit dem Titel „Zukunftshoffnung“ zu lesen: „Die Monate Oktober, November, Dezember werden sich uns und hoffentlich auch unseren Nachkommen als historische Tage einprägen. In diesen Tagen hat die Bevölkerung in jenem Teil Europas, der uns besonders nahe steht, in seltener Einmütigkeit und Zähigkeit mit friedlichen Mitteln dafür gesorgt, dass die Unfreiheit in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und nicht zuletzt im anderen Teil Deutschlands allenthalben den Rückzug antreten musste.“

Aufruf zur Gründung eines neuen Verbandes der Deutschen

Kurz nach der Samtenen Revolution 1989 entstand in der antikommunistischen Bewegung Bürgerforum auch eine Nationalitätenkommission mit einer deutschen Sektion. Im Januar 1990 trat Walter Piwerka als Mitglied des Bürgerforums im Fernsehen auf. Er rief Zuschauer mit deutschen Wurzeln dazu auf, sich zu melden. „Es haben dann viele geschrieben. Die Briefe waren jedoch auf Tschechisch, da sie kein Deutsch mehr konnten. Unsere erste Aufgabe war daher klar: Wir mussten uns um die deutsche Sprache kümmern.“

Gründung des Karpatendeutschen Vereins
Walter Piwerka rief 1990 im Fernsehen Bürger mit deutschen Wurzeln auf, sich zu melden.

In der Folge bildete sich in Prag der vorbereitende Ausschuss für einen neuen Verband der Deutschen in der Tschechoslowakei. Leitende Personen waren der Abgeordnete des Tschechischen Nationalrates Walter Piwerka, Arnold Keilberth, Pavel Heinisch und Christa Štrosová.

Ondrej Pöss