Holocaust-Mahnmal

80 Jahre seit der Befreiung des KZ Auschwitz: Die Shoa in der Slowakei

Heute wird im Rahmen des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zum 80. Mal an die Shoa und die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 gedacht. Zweifelsohne ist Auschwitz heute das Symbol für die perfide Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten, die insgesamt sechs Millionen Juden das Leben kostete. Die Ausgrenzung und Entmenschlichung der jüdischen Bevölkerung nahm jedoch viel früher ihren Anfang. Anlässlich des Gedenktages lohnt sich ein Blick auf die Geschehnisse, die im Grauen der Gaskammern ein schreckliches Ende fanden.

In der vergangenen Woche veröffentlichte die Jewish Claims Conference die Ergebnisse einer Befragung hinsichtlich des Wissens junger Menschen über den Holocaust. Die Befragung fand in acht verschiedenen Ländern statt. Besorgniserregend war, dass in Deutschland in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen 40 Prozent der Befragten nicht wussten, dass etwa sechs Millionen Juden Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden. Gleichzeitig brachte die repräsentative Stichprobe zu Tage, dass 93 Prozent aller Erwachsenen in den acht Ländern es nach wie vor für wichtig halten, über den Holocaust zu sprechen.

Auch wenn die Befragung leider nicht in der Slowakei stattfand, kann man davon ausgehen, dass die Ergebnisse hierzulande ähnlich ernüchternd ausgefallen wären, wie es in den untersuchten Ländern der Fall war. Dabei lebten im Jahr 1930, laut Volkszählung 136.737 Menschen in der Slowakei, die sich zur jüdischen Religionsgemeinschaft bekannten und 65.385, die jüdisch als Nationalität angaben.

Das liberale Klima der ersten tschechoslowakischen Republik sorgte dafür, dass das jüdische Leben in der Slowakei aufblühen konnte. Obwohl es bereits erstarkende antisemitische Strömungen gab, verlief das Zusammenleben von jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung in der Regel problemlos. Nicht selten bestanden geschäftliche oder gar familiäre Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden.

Ein erster Vorbote des Schreckens, der die slowakischen Juden heimsuchen sollte, war der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und die anschließenden Pogrome gegen die österreichischen Juden. 1938 flüchteten einige Tage vor dem Purim-Fest 28 Juden aus dem burgendländischen Frauenkirchen ins ungarische Ragendorf/Rajka. Aron Grünhut, damals Funktionär der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Pressburg/Bratislava machte sich mit anderen Mitgliedern der Pressburger Gemeinde daran, seine Glaubensgenossen zu retten. Nach mehreren Interventionen bei slowakischen und ungarischen Stellen gelang es Grünhut, die Geflüchteten per Boot vom damals ungarischen Karlburg/Oroszvár/Rusovce ins slowakische Gutor/Hamuliakovo zu bringen und sie so vor dem sicheren Tod zu retten. Grünhut, der über 1300 Juden das Leben rettete, überlebte den Krieg und schrieb seine Erinnerungen in Israel auf. Andere Pressburger Juden wie die Zionistin Gisi Fleischmann, die nach Auschwitz deportiert wurde, bezahlten für ihr selbstloses Engagement mit dem Leben.

Als eine Woche nach dem Münchner Abkommen am 7. Oktober 1938 das „Autonome Land Slowakei“ ausgerufen wurde, änderte sich die Situation für die Juden dramatisch. Die neuen faschistischen Machthaber von Hlinkas Slowakischer Volkspartei sprachen sich für eine komplette Vertreibung der Juden aus der Slowakei aus und brachten diese wie in Nazi-Deutschland auch mit dem Marxismus in Verbindung.

Hinzu kam, dass die Juden zwischen allen Stühlen standen. Von den Slowaken wurden sie der Kollaboration mit Ungarn verdächtigt (maďaróni) und es wurde ihnen der Vorwurf gemacht, „antislowakisch“ zu sein und den Interessen der Slowaken schaden zu wollen. Leicht machte es den Anhängern der Hlinka-Partei, die Tatsache, dass die Mehrheit der Juden in der Slowakei entweder auf Deutsch, Ungarisch oder Jiddisch kommunizierte und sie sich, sofern sie nicht zionistischen Ideen anhingen, mit den entsprechenden Kulturen identifizierten. Ähnlich erging es den Juden auch in den ungarisch dominierten Gebieten der Slowakei, wo man sie zu Anhängern des Tschechoslowakismus erklärte und der Ungarnfeindschaft bezichtigte.

Der erste Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 stellte die erste große außenpolitische Niederlage des klerofaschistischen Diktators Jozef Tiso dar, der gezwungen war, große Gebiete der Südslowakei an Ungarn abzutreten. Auch an dieser Stelle waren die Juden willkommene Sündenböcke, denen man die Schuld an der politischen Niederlage geben konnte.

Nach der Ausrufung des sogenannten Slowakischen Staates (später Slowakische Republik) am 14. März 1939 verschlechterte sich die Lage der Juden schrittweise. Durch Notverordnungen hatte die Regierung, bis auf die Abhängigkeit vom Deutschen Reich, praktisch unbegrenzte Regierungsgewalt. Diese wurde dazu eingesetzt, Juden durch Berufsverbote aus verschiedenen Branchen zu drängen, aber auch der Diebstahl von Eigentum, die „Arisierungen“, waren an der Tagesordnung. Gläubiger jüdischer Geschäftsleute konnten sich auf diese Weise „bequem“ ihrer Schulden entledigen oder man schaltete so die Konkurrenz aus. Dabei stand in den meisten Fällen die Ideologie im Vordergrund und wirtschaftliche Überlegungen waren sekundär. Dadurch erklärt sich, dass von 12.300 jüdischen Firmen in der Slowakei „nur“ etwa 2.000 arisiert wurden. Die restlichen Unternehmen wurden aufgelöst, was wirtschaftlich nicht folgenlos blieb.

Die Politik der Ludaken-Partei Tisos und der bereits nationalsozialistisch ausgerichteten Deutschen Partei Franz Karmasins zielte darauf ab, die Juden faktisch zu entrechten. 1941 wurde nach dem Vorbild der Nürnberger Gesetze der sogenannte Jüdische Kodex erlassen, der nach rassistischen Kriterien definierte, wer als Jude zu gelten hatte und wer nicht. Gleichzeitig verarmten die Juden der Slowakei, die durch Berufsverbote und Arisierungen ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten konnten.

Am 2. Februar 1941 unterschrieb der damalige Ministerpräsident Vojtech Tuka ein Abkommen mit dem Deutschen Reich über die Deportation der slowakischen Juden durch das Deutsche Reich. Für den Preis von 500 Reichsmark ließ die Slowakei ihre jüdischen Mitbürger in das Generalgouvernement deportierten, wo so gut wie alle von ihnen in den Vernichtungslagern ums Leben kamen.

Über 70.000 Menschen der kleinen jüdischen Minderheit in der Slowakei überlebten den Krieg nicht. Die meisten derer, die sich retten konnten, emigrierten nach Palästina, in die USA und andere Länder. Heute registriert der Zentralverband der jüdischen Gemeinden in der Slowakei noch 4000 Mitglieder.

Der 27. Januar sollte uns daher ermahnen, dass der Holocaust nicht mit den Gaskammern begann, sondern mit der verbalen Entmenschlichung einer Minderheit, mit antisemitischen Verschwörungstheorien und einem übersteigerten Nationalismus. Radikalisierung erfolgt schrittweise. Daher sollten wir Demokraten, der Sprache des Hasses entgegentreten – besonders wenn Bürger, die demokratische Rechte wahrnehmen, als „antislowakisch“ abgestempelt werden. Nur so ist ein friedliches Miteinander aller Minderheiten der Slowakei möglich.

Yannick Baumann