Bild der Flagge der Europäischen Union

Ein Kontinent zelebriert seine sprachliche Vielfalt

Am 26. September 2024 begeht Europa den Europäischen Tag der Sprachen. Bereits 2001 wurde vom Europarat und der Europäischen Union gemeinsam das Europäische Jahr der Sprachen ausgerufen. Seitdem findet der Festtag der sprachlichen Vielfalt Europas jedes Jahr am selben Tag statt. Doch wozu braucht es eigentlich diesen Festtag? Und welche Rolle spielen dabei die Minderheitensprachen?

Ein slowakisches Sprichwort besagt „Koľko rečí vieš, toľkokrát si človekom.“ (Wie viele Sprachen du beherrschst, so oft bist du Mensch.) und tatsächlich hat jede Sprache, die wir kennen, Einfluss auf unsere Denkart. Mehrsprachigkeit erweitert unseren geistigen Horizont und verändert die Art und Weise, wie wir die Dinge und Ereignisse der Welt wahrnehmen und interpretieren. Selbst unsere Muttersprache bleibt uns verschlossen, wenn wir nicht die vielfältigen Einflüsse anderer Sprachen sehen, durch die sie geformt wurde. Der viel zitierte Aphorismus Goethes „Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen“ bringt diese Erkenntnis auf den Punkt.

Wir kennen bisher circa 7000 Sprachen, die auf unserem Planeten gesprochen werden. Rund die Hälfte dieser Sprachen ist akut vom Aussterben bedroht. Der Verlust einer Sprache bedeutet immer auch den Verlust einer Welt – der Welt einer Sprechergemeinschaft und auch eines Teils der eigenen Identität. Daher hat es sich der Europarat, gemeinsam mit der Europäischen Union, zur Aufgabe gemacht die sprachliche Vielfalt unseres Kontinents zu bewahren und die Mehrsprachigkeit zu fördern. Deswegen finden am 26. September überall in Europa Veranstaltungen unter dem Motto „Sprachen für den Frieden“ statt. Einerseits veröffentlicht das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarates vielfältige Online-Materialien für Interessierte und Pädagogen auf seiner Webseite, andererseits finden überall in Europa mannigfaltige Präsenzveranstaltungen statt. Auch in der Slowakei sind nahezu alle Regionen und Institutionen des Landes beteiligt.

Allein 200 verschiedene Sprachen in Europa

Je nach Zählweise gibt es in Europa heute um die 200 autochthone, also „heimische“ Sprachen, was im weltweiten Vergleich wenig ist und nur knapp 3 Prozent aller Sprachen der Erde ausmacht. Damit die sprachliche Vielfalt in Europa erhalten bleibt, hat die Europäische Union bisher 24 Sprachen als ihre Amtssprachen anerkannt und diese Zahl mag sich durch zukünftige Erweiterungen der Union noch vergrößern. Die größte sprachliche Diversität Europas zeigt sich jedoch bei den Minderheitensprachen, deren Anzahl auf etwa 60 Einzelsprachen beziffert wird. Und obwohl der Europarat in der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen erklärt, dass der Gebrauch einer solchen Sprache ein unverzichtbares und allgemein anerkanntes Recht darstellt, vollzieht sich die Umsetzung der Charta in den europäischen Ländern nur schwerfällig.

Nicht nur die Slowakei und Deutschland, sondern auch die Nachbarländer Österreich und Tschechien, sowie andere Länder in Europa, haben die Charta unterzeichnet und ratifiziert. Damit verpflichten sich diese Länder dazu, auf nationaler Ebene konkrete Maßnahmen durchzuführen, um den Status der Regional- und Minderheitensprachen verbessern. Außerdem müssen sie regelmäßig über den Fortschritt hinsichtlich des Schutzes dieser Sprachen berichten. Da es sich aber um eine Charta des Europarates handelt, gibt es keine Möglichkeit, einzelne Staaten zu sanktionieren, wenn sie etwa gewisse Standards nicht einhalten oder zu wenig für die Pflege von Minderheitensprachen tun.

Nachholbedarf bei der Europäischen Union

Die Europäische Union, die grundsätzlich ihre Politik an der Charta der Regional- und Minderheitensprachen ausrichtet, hat sich zwar zur Mehrsprachlichkeit verpflichtet, tut allerdings aus Sicht einiger EU-Abgeordneter zu wenig für die Sprachen nationaler und regionaler Minderheiten. Dies beklagt etwa François Alfonsi, ein MEP der Fraktion Grüne/Freien Europäischen Allianz, gegenüber der Zeitung The Parliament und warnt davor, dass einige Sprachen in Europa in naher Zukunft aussterben könnten, wenn nicht mehr für deren Erhalt getan wird. In der bereits 2013 eingesetzten Alfonsi-Resolution wurde moniert, dass den Minderheitensprachen in der Mehrsprachigkeitspolitik der Europäischen Union zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. In einer kürzlich erschienenen Studie aus dem Jahr 2023 kam Dr. Vicent Climent-Ferrando, Wissenschaftler an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, zu dem Schluss, dass einige Sprachen Europas akut vor dem Aussterben bedroht sind und umfangreiche Schutzmaßnahmen umgesetzt werden müssen.

Daher sollten wir am Europäischen Tag der Sprachen auch die Pflege der Minderheitensprachen nicht vernachlässigen und sie als Teil unseres gemeinsamen europäischen Kulturerbes wahrnehmen. Wer möchte, kann sein Wissen über Minderheitensprachen in unserem Quiz auf TikTok testen.

Yannick Baumann