Blick auf Schwedler

An mein Schbaadla/Schwedler erinnern

Ich erinnere mich an die Vertreibung am 10. Oktober 1944 aus meinem geliebten „Schbaadla“ (Schwedler/Švedlár). Zusammen mit meinen Eltern konnte ich vor 80 Jahren mein Leben zwischen den Fronten und nach acht Monaten Fluchterlebnissen gerade noch retten.

Person steht vor Haus
Vor meinem Geburtshaus

Erst nach der Samtenen Revolution (1989) durfte ich mein Schbaadla wieder sehen. Alles war verändert. Mein Geburtshaus, das erheblich umgestaltet wurde, besitzt eine Familie aus Kaschau. Vor dem Haus erinnerte ich mich, dass im Herbst 1944 die Partisanen das Haus nachts beschossen hatten. Meine Eltern nahmen mich aus dem Bett im Schlafzimmer und setzten mich im geschützten Flur auf einen Stuhl. Ich zitterte, hatte Angst und fürchtete, dass bewaffnete Menschen in das Haus eindringen.

Soll ich mich angesichts dieser Erinnerungen zurückziehen und schweigen? Nein! Ich folgte dem feinfühlenden Gedicht des langjährigen Vorsitzenden der OG Schwedler des KDVs Franz Richweis († 2001), das im 3. Band der ZIPSER TRILOGIE zu lesen ist:

„A TROST

Mei Heimat es en Schbaadla

en scheenen Gellenza-Tol.

Dut seich gepoan, dut seich dahaam,

dut fiel ich mich ach wohl.

EIN TROST

Meine Heimat ist in Schwedler,

im schönen Göllnitz-Tal.

Dort bin ich geboren, dort bin ich zu Hause,

hier fühle ich mich auch wohl.“

Besonders das Nachdenken über diesen 1. Vers des Heimatgedichts rief mich zum Handeln auf.

Drei Beispiele für mein Schbaadla

  • Ich folgte nach dem ersten Wiedersehen 1989 im Grunde dem Leitwort des Bundes der Vertriebenen (BdV) für das Jahr 2025 „80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten“. Der BdV erinnert an die grausamen Geschehnisse, die im Herbst 1944 begannen und 1945 ihren Höhepunkt erreichten. Er mahnt: Wir tragen gemeinsam Verantwortung für das Erinnern der Vergangenheit, das Bewahren von Kultur und Geschichte und das Gestalten einer friedlichen Zukunft. Darum ging es bereits nach dem Wiedersehen vor bald 35 Jahren in Schbaadla bei den zahlreichen Heimatbesuchen, besonders den 5 einwöchigen Kultur- und Bildungsseminaren mit Kindern und Jugendlichen aus der Unterzips und ebenso bei den dreitägigen14 Pfingstheimattreffen. Ãœber die Seminare und Heimattreffen wurde im Karpatenblatt berichtet.
  • Ich denke an die vielen PKW-Fahrten nach Schwedler (Transport von Kleidung, Büchern, Musikinstrumenten u.a.). Die Arbeit wurd vor allem an Wochenenden geleistet. Von 1997 bis 2005 versuchte ich das Volkswagenwerk und Siemens für eine Zweigniederlassung im Göllnitztal bzw. in Å vedlár zu gewinnen. Dabei nahm ich vor allem Kontakte mit Persönlichkeiten des Europaparlaments, der Paneuropa-Union und der Bayerischen Staatsregierung auf. Kein Vorhaben führte zum erhofften Erfolg.
  • Mit Hilfe deutscher Organisationen und Heimatvertriebener wurden von 1993 – 2015 für bedürftige Schbaadla-Leut, für die Katholische Kirchengemeinde, die Evangelische Kirchengemeinde und die OG Schwedler des KDVs insgesamt über 277.000,- Euro aufgebracht.

Begründung

Schwedlerer, die auch vertrieben wurden, fragten mich: Warum machst du das? Auf diese Frage gebe ich eine inhaltsreiche Antwort: Ich kann ohne Kontrolle Grenzen überschreiten und Menschen in Schwedler in der neu gewonnenen Freiheit begegnen. Sie können ihr Leben aus eigener Kraft selbst gestalten, was freilich mit neuen Anforderungen verbunden ist. Demokratie fordert ihren Preis, wenn es darum geht, in Freiheit und Verantwortung für sich selbst und für den Andern zu handeln. Auf diesem unumkehrbaren Weg helfe ich bis heute meinen Schbaadla-Leut.

Diese Antwort begründe ich weiter mit einem inneren Beweggrund, der gegen die menschliche Destruktivität (Zerstörungswut und Grausamkeit) gerichtet ist und wir dem Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm (1900-1980) verdanken.  

Erich Fromm schreibt
Erich Fromm

Mein Motiv

Erich Fromm beschreibt in seinen sozialgeschichtlichen Studien über die „Anatomie der menschlichen Destruktivität“

  • den biophilen Menschen, der Liebe zum Leben durch Hingabe, Freude und Kreativität pflegt und
  • den nekrophile Menschen, der sich mit Macht, Gier und Ichbezogenheit äußert.

Bemerkenswert an Fromms empirischer Studie ist ihre Aktualität. Fromm warnt vor jenen Menschen, die ihren kühlen und berechnenden Verstand benutzen und das „Herz verhärten“. Er konstatiert Nekrophilie bei jenen Menschen, die mit Leidenschaft das Lebendige zerstückeln, die Welt genau kontrollieren und über sie mit Macht verfügen wollen.

Zusammenfassung

In Freiheit und Verantwortung kann ich Liebe zum Leben fern hochtrabender Worte pflegen. Ich versuche mich im sinnerfüllten Handeln zu finden und fühle mich im Kreis meiner kleinen und großen Schbaadla-Leut in Freude geborgen. Genau dieses Erleben verstehe ich als Heimat. Hier bin ich bei mir und beim Anderen in meinem Geburtsort Schwedler: Gemeinsam sind wir verantwortlich dafür, dass das, was vor über 80 Jahren geschah, nie wieder geschieht.

Gruppenfoto Seminar Schwedler
Mit Kindern und Erwachsenen bei einem Kultur- und Bildungsseminar in Schwedler

                                                                                        Prof. Dr. Ferdinand Klein