Berühmte Zipser: Historiker Johann Christian Engel
Der am 17. Oktober 1770 in Leutschau/Levoča geborene Johann Christian Engel wird neben Ignaz Aurelius Feßler (1756–1839) als bedeutendster Historiker Ungarns und seiner Nebenländer angesehen. Zu deren Geschichte schrieb er eine Vielzahl von Artikeln, Aufsätzen sowie Monographien und veröffentlichte Quellensammlungen. Er wurde weit bekannter als sein älterer Bruder Johann Jakob, über den im Karpatenblatt 9/2025 berichtet wurde.
Der junge Johann Christian besuchte das Leutschauer Gymnasium und studierte an der Göttinger Georgia-Augusta-Universität von 1788 bis 1791 klassische Philologie, Geschichte sowie alte und neue Sprachen. Einer seiner Professoren war August Ludwig von Schlözer (1735–1809), der in ihm das Interesse an der Geschichte Osteuropas weckte.
Durch Vermittlung des siebenbürgischen Hofkanzlers, Graf Samuel Teleki von Szek, bekam er in Wien eine Stelle als Accessist. Das war die Bezeichnung für Berufsanfänger in Verwaltung oder Justiz, in Deutschland mit dem Assessor vergleichbar.

Im Jahr 1794 wurde er k. k. Hofbücherzensor. Am 7. Juli 1800 heiratete er Maria Catharina Mauksch. Mit ihr hatte er fünf Kinder, drei Knaben und zwei Mädchen. 1801 wurde er k. k. weltlicher Konsistorialrat der sich zur Augsburger Konfession bekennenden Kirchen. Erst 1812 erfolgte seine Beförderung zum Sekretär der siebenbürgischen Hofkanzlei – für die damalige Zeit ziemlich spät. Offensichtlich hatte ihn sein Interesse an der Geschichte von einer früheren Beförderung abgelenkt.
Wenn man allein seine zwischen 1770 und 1814 erschienenen Veröffentlichungen, insbesondere die vierteilige „Geschichte Ungarns“, betrachtet, ließ der dafür erforderliche Aufwand nicht viel Zeit für Beruf und Familie. Als Ungar mit breiten Sprachkenntnissen – er beherrschte neben Deutsch, Ungarisch, Rumänisch, Latein und Griechisch auch Serbisch, Russisch, Polnisch und die altslawische Kirchensprache – besaß er beste Voraussetzungen, sich mit der Geschichte der Länder der Stephanskrone zu beschäftigen.

Für seine historischen Forschungen nutzte er Quellen in verschiedenen Sprachen, die weit verstreut existierten und zu diesem Zeitpunkt kaum bekannt waren. Er studierte und verwertete diese sehr gewissenhaft. Dazu führte er eine umfangreiche Korrespondenz.
Der als Ludwig Strommer in Kaschau/Košice geborene ungarische Historiker Lajos Thallóczy (1857–1916) wertete 60 Briefe von und an Engel aus. So stand dieser zum Beispiel mit den Zipsern Karl Georg Rumi und Martin von Schwartner in Kontakt. Ebenso führte er einen regen Briefwechsel mit seinem berühmten Lehrer August Ludwig von Schlözer und dem Geschichtsforscher Daniel Cornides (1732–1787), dessen Arbeit an der Pester Universität von Martin Schwartner fortgeführt wurde.
Anerkennungen für seine Arbeit blieben nicht aus. In einer Auflage seines Hauptwerks über die Geschichte Ungarns von 1813 weist er auf seine Berufung zum Gerichtsbeisitzer im Zipser Komitat sowie auf seine Ernennung zum Korrespondenten der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, Prag, München und Warschau hin.
Kennen Sie Halitsch, Wladimir und Ragusa?
Engels historische Arbeiten beschränkten sich nicht auf Ungarn. Er befasste sich mit der Geschichte von Bulgarien, Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Bosnien, Serbien, Moldau, Ragusa, der Walachei sowie der Ukraine und von Halitsch und Wladimir. Damit umfassten seine Arbeiten auch die Nebenländer des Ungarischen Reiches. Sein vierteiliges Hauptwerk trägt den Titel „Geschichte des Ungrischen Reichs und seiner Nebenländer“.

1796 erschien in Halle sein 708 Seiten umfassendes Werk „Geschichte der Ukraine und der ukrainischen Cosaken, wie auch der Königreiche Halitsch und Wladimir“. Das ist sicher einer der Gründe, warum ihn im Jahr 1811 die Warschauer königliche Sozietät der Wissenschaften und die kaiserliche russische Universität zu Charkow als korrespondierendes Mitglied aufnahmen.
Halitsch und Wladimir kennen wir unter ihren ukrainischen Namen Halytsch und Wolodymyr. Sie waren vom 12. bis ins 14. Jahrhundert Hauptstädte des Fürstentums Galizien-Wolhynien. Heute liegen sie auf dem Gebiet der Ukraine.
Zu Ragusa, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs die kroatische Bezeichnung Dubrovnik trägt, gibt Johann Christian Engel 1807 in Wien die 344 Seiten starke, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reichende „Geschichte des Freystaates Ragusa“ heraus.

Im Blick der Polizei
Die unermüdliche Arbeit zehrte an den Kräften des körperlich schwachen und kränklichen Wissenschaftlers. Seine Versuche, in Bädern Heilung zu erfahren, waren erfolglos.
Im März 1813 befand er sich schwer krank in Leutschau. Die Polizeihofstelle Wien meldete dies dem Kaiser und wies auf den umfangreichen Briefwechsel Engels als Verfechter des protestantischen Glaubens mit Gleichdenkenden im Ausland hin. Sollte Engel sterben, müsste dessen Korrespondenz beschlagnahmt und möglichst in Wien untersucht werden. In Leutschau könnte das durch den Administrator der Zipser Städte, Freiherr von Fischer, erfolgen. Seine Papiere seien für die „Staats-Polizey von vieler Wichtigkeit“, hieß es.
In dem darauffolgenden Bericht aus Leutschau wurde Engels Gesundheitszustand als nicht allzu schlecht beschrieben. Sein zu heftiges Temperament führe jedoch zu Differenzen mit seiner Gattin, die beinahe zur Scheidung führten. Hinzu käme eine unversöhnliche Feindschaft mit seinem Bruder aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten.
Christian Engel, inzwischen Ehrenbürger von Leutschau, schrieb in einem seiner letzten Briefe, der erst nach seinem Tod am 20. März 1814 bei Kaiser und König Franz I. registriert wurde, ein Gesuch um Bewilligung einer Pension für seine Witwe. Tatsächlich wurde ihr eine Hofsekretärswitwenpension in Höhe von 400 Gulden gewährt.
Wie seine Werke, so werden auch Engels Auffassungen zur Geschichtsforschung ihre Bedeutung nicht verlieren: „Ein Quintel historischer Wahrheit ist mehr wert als ein Centner von Floskeln, Vermutungen und schön gewebter, aber unrichtiger Darstellung.“
Dr. Heinz Schleusener
