Berühmte Zipser: Ingenieur Ludwig Tetmajer
Der Vater war Direktor der in Krompach/Krompachy gelegenen Eisenhütte Marienthal. Doch sein Sohn interessierte sich nicht für eine Karriere im Hüttenwesen. Er studierte stattdessen Bauingenieurwesen am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, der heutigen ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) und wurde als Baumechaniker und Materialprüfer weltberühmt.
Der am 14. Juli 1850 in Krompach als Sohn von Ladislaus Tethmajer de Przerva und Ludovica Elzner geborene Ludwig gehört der österreichisch-schweizerischen Tetmajer-Linie an. Die polnische Linie vertritt unter anderen sein Cousin, der Schriftsteller Kazimierz Przerva-Tetmajer (1865-1940), nach dem eine Straße in Zakopane benannt ist.
Vom Assistenten zum Professor
Nach Schule und Studium am eidgenössischen Polytechnikum (1867-1872) arbeitete er dort als wissenschaftlicher Assistent. Seine Habilitation erfolgte 1873. Danach übernahm er Vorlesungen zur Statik. Sein besonderes Interesse galt den Baumaterialien, über die er in seiner Vorlesung „Technologie des Eisen“ lehrte. In seinem 1875 in Zürich erschienenen Buch „Die äussern und innern Kräfte an statisch bestimmten Brücken- und Dachkonstruktionen“ bezeichnet er sich als „Privatdocent und Assistent“.
Im Jahr 1881 erfolgte Tetmajers Berufung zum ordentlichen Professor. Der Schwerpunkt seiner Arbeiten lag jetzt auf dem Gebiet der Materialprüfung.
Beliebter Professor
Das Vermitteln von Wissen über Baustoffe und die Tragfestigkeit von Konstruktionen, ohne die Studenten zu ermüden, war Tetmajers Stärke. Er besaß die Fähigkeit, Interesse an Dingen zu erwecken, die als langweilig angesehen wurden. Er konnte gut reden und erklärte in seinen Lehrbüchern auch schwierige Dinge leichtverständlich. Seine aktuellen Forschungsergebnisse veröffentlichte er nicht nur in der „Schweizer Bauzeitung“, er publizierte auch über „Baumechanik“, „Dachkonstruktionen“, „Angewandte Elastizitäts- und Festigkeitslehre“.
Eiffels Brücke in Münchenstein
Neben dem 300 Meter hohen Eiffelturm (1889) ist Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923) Schöpfer vieler anderer Bauwerke. Dazu zählen die Brücke Belváros híd in Szeged (1883), der 1887 fertiggestellte Budapester Westbahnhof (Nyugati pályaudvar) und 1884 die 564 Meter lange und mit 122 Metern über Jahrzehnte höchste Eisenbahnbrücke der Welt, das Garabit-Viadukt im französischen Ruynes.
Bereits im Jahr 1875 baute Eiffels Firma in Münchenstein bei Basel eine 42 Meter lange Eisenbahnbrücke. Diese führt über den Fluss Bris und dient der Verbindung von Basel mit Biel.
Das Unglück von Münchenstein
Am 14. Juni 1891 brach diese Brücke zusammen, als ein von zwei Lokomotiven gezogener Personenzug sie überquerte. Die beiden Zuglokomotiven und sechs Wagen stürzten in den etwa 5 Meter tiefer gelegenen Fluss. Die letzten fünf Personenwagen blieben auf dem Gleis stehen, weil die Kupplungen und Bremsleitungen rissen und dies die Druckluftbremsen aktivierte. Der Einsturz dieser Brücke erregte nicht nur wegen des Erbauers großes Aufsehen, sondern weil von den etwa. 540 Reisenden 73 starben und 171 verletzt oder schwerverletzt wurden.
Tetmajer untersucht
Mit der Untersuchung des Unglücks wurden Prof. Ludwig Tetmajer und sein Kollege Prof. Ritter beauftragt. Tetmajer war hier der perfekte Gutachter, hatte er sich doch schon lange über reine Brückenkonstruktionen hinaus mit der Belastbarkeit von Baumaterialien beschäftigt. Die Gutachter wiesen auf eine unzureichende Konstruktion aus Kostengründen hin, auf die mangelnde Festigkeit des verwendeten Eisens und auf Schäden, die durch Hochwasser entstanden waren.
Die Tetmajer-Knickformel
Sicher war das Unglück von Münchenstein ein weiterer Grund für Tetmajers Arbeiten zur Stabilität von Brückenkonstruktionen. Aus seinen Versuchen modifizierte er die von Leonhard Euler (1707- 1783) aufgestellte Formel für die Knickfestigkeit elastischer Stäbe – die Tetmajer-Knickformel war geboren.
Ab jetzt Materialprüfungsanstalt
Tetmajer, mit den Erfahrungen seiner bisherigen Materialprüfungen am eidgenössischen Polytechnikum, sah durch das Unglück die Forderungen nach staatlichen Prüfungsvorschriften bestätigt. Seine Aktivitäten führten zur Gründung einer schweizerischen Materialprüfungsanstalt. Auch im Ausland wurden diese Ereignisse verfolgt und Tetmajers Arbeit gewürdigt. So ist es fast logisch, dass sich bald ein internationaler Verband für die Vereinheitlichung der Materialprüfung gründete, der seinen ersten Kongress 1895 in Zürich abhielt und Tetmajer dort einstimming zum Präsidenten wählte.
Wiedergewählt und Rektor der TH
In dieser Funktion wurde er 1897 in Stockholm und 1901 in Budapest bestätigt. Die Mittel des Verbandes waren sehr bescheiden und begrenzten Tetmajers Unterstützung durch mehr Personal. Die Arbeitsbelastung für Tetmajer, der 1901 von Zürich an die Technische Hochschule (TH) Wien wechselte, war daher extrem hoch. In Wien wurde er Mitgründer der Technischen Versuchs- und Forschungsanstalt (heute TÜV Austria), im Studienjahr 1904/1905 wählte man ihn zum Rektor der Hochschule.
Die letzte Vorlesung
Seine Vorlesungen führte er weiter. Bei der am 31. Januar 1905 brach er vor seinen Studenten zusammen und starb in der folgenden Nacht. Ein Gehirnschlag hatte das Leben dieses aus Krompach stammenden Wissenschaftlers und Ingenieurs beendet.
Dr. Heinz Schleusener