Brahms oder Kéler?
Als beim Neujahrskonzert am 6. Januar 2024 das Orchester der Staatlichen Philharmonie in Kaschau/Košice die ersten Takte des letzten Musikstückes spielte, begann ein großer Teil des Publikums im Programmheft zu blättern. Dort stand „Spomienka na Bardejov, op. 31“ (Erinnerung an Bardejov, op. 31) von Béla Kéler. Das Musikstück klang aber wie der „Ungarische Tanz Nr. 5“ von Johannes Brahms. Im Programmheft gab es dazu die Erklärung.
Brahms „Ungarischer Tanz Nr. 5“ aus dem Jahre 1869 wird wegen eines besonders melodischen Abschnitts gern gespielt. Der Komponist des 32 Takte umfassenden Hauptthemas dieses Musikstückes ist aber nicht Brahms. Die Tonfolge gehört zu Béla Kélers 1858 entstandener Komposition Erinnerung an Bartfeld (Bártfai Emlék Csárdás/Spomienka na Bardejov). Brahms wurde dazu natürlich angesprochen und erklärte, er glaubte eine volkstümliche Melodie zu verwenden, wie bei seinen anderen, insgesamt 21 Ungarischen Tänzen.
Dirigent Rastislav Štúr würdigt Béla Kéler
Wir müssen Rastislav Štúr, dem Dirigenten des Orchesters der Staatlichen Philharmonie in Kaschau/Košice dankbar sein, dass er gleich drei Werke des großartigen karpatendeutschen Komponisten Béla Kéler in das Programm des Neujahrskonzertes am 6. Januar 2024 aufnahm. Eines davon, seine musikalische Erinnerung an Bartfeld ließ das Konzert sogar mit stehenden Ovationen enden. Die Musik und der Beifall brachten den leider ein wenig in Vergessenheit geratenen Komponisten in unsere Erinnerung zurück. Frischen wir diese mit einem kurzen Blick auf das Leben dieses in Bartfeld geborenen Komponisten auf.
Als Paul Albert Kéler geboren
Das Kirchenbuch der Evangelisch-deutschen Gemeinde von Bartfeld zeigt für den 17. Februar 1820 den Taufeintrag für Paul Albert, Sohn von Stephan Kéler und Anna geb. v. Both. Dort finden wir auch das Geburtsdatum, es ist der 13. Februar 1820. Die Eltern entstammen Adelsfamilien, Vater Stephan kommt aus einer deutschen protestantischen, die Mutter aus einer ungarischen. In der Familie wuchsen insgesamt 12 Kinder auf, es wurde deutsch gesprochen. Den ungarischen Rufnamen Béla bekam Paul Albert erst später. Nach dem Besuch des Lyzeums in Leutschau (ab 1834) studierte er in Debrezin/Debrecen Jura und Philosophie. Das Jurastudium schloss er in Eperies/Prešov mit sehr guten Ergebnissen ab.
Vom Geigenspiel zur Komposition
Bereits als Kind entdeckt er seine Liebe zur Musik. Vom Chorleiter der Bartfelder Kirche lernt er das Geigenspiel, schon als Student komponiert er Musikstücke und spielt sie auf der Geige. In Leutschau leitet er das Studentenorchester. Nach Ende des Studiums arbeitet er auf verschiedenen Gütern, zuletzt für einen Schwager in Galizien. Als dieser nach schweren Überschwemmungen den Hof aufgibt, ist das für Béla der richtige Moment, um sich ganz der Musik zu widmen. Zurückgekehrt nach Bartfeld, findet er eine Stelle als Musiker beim dortigen Kurorchester. Hier bleibt er nur kurz. Er geht nach Eperies, gibt Musikunterricht und spielt in einem Theaterorchester.
Im Jahr 1845 bewirbt er sich erfolgreich am 1801 gegründeten „Theater an der Wien“. Der kleine Fluss Wien, in dessen Nähe das Theater gebaut wurde, fließt heute ab Wiener Stadtpark unterirdisch durch Österreichs Hauptstadt. Béla Kéler beginnt als erster Geiger in der 1844 von Friedrich von Flotow (1812-1883) komponierten Oper Alessandro Stradella. Die neue Arbeit beeinflusst seine musikalische Weiterentwicklung sehr stark. Er nimmt Privatunterricht für das Studium von Instrumentation und Harmonielehre sowie Kontrapunkt. Neun Jahre, bis 1854, ist er an diesem Theater tätig. Hier komponierte er sein erstes großes Werk, die Romantische Ouvertüre.
Erfolgreich als Dirigent, Musikdirektor und Komponist
Kéler wird bekannt und erhält Angebote. Er wird Chefdirigent eines 36-Mann-Orchesters in Berlin, das auch in mehreren anderen Orten Deutschlands auftritt. Nach etwa einem Jahr dirigiert er in Wien bis zu seiner Ernennung als Kapellmeister des 10. Infanterieregimentes von Graf Alois Mazzuchelli (1776–1868). Mit dem Regiment zieht Kélers Orchester durch das damalige Österreich-Ungarn. Neben der Militärmusik gibt er auch Promenadenkonzerte. Gesundheitlich angeschlagen, scheidet er 1860 aus dem Militärdienst aus.
Es folgt die Leitung eines eigenen Orchesters in Budapest und schließlich eine Daueranstellung als Musikdirektor beim Herzog von Nassau. Er dirigiert das Orchester des 2. Regiments, dessen Konzerte meist im Kurhaus von Wiesbaden stattfinden. Nassau wird Ende 1866 von Preußen annektiert und sein Engagement endet. Nun dirigiert er in vielen Städten Europas, so in Amsterdam, Kopenhagen, London, München, Breslau, Zürich und 1878 in Paris zur Weltausstellung. Die Zeit als Militärkapellmeister und die vielen Reisen hatten seiner Gesundheit geschadet. Auch zwischenzeitliche Kuren und Krankenhausaufenthalte halfen ihm nicht. Er starb im Alter von 62 Jahren in Wiesbaden.
Die Karpaten in fünf Tonbildern
Nicht alle der mehr als 200 Kompositionen von Béla Kéler wurden veröffentlicht. Sein umfangreichstes Werk, „Die Karpathen“, erscheint 1854. Zu diesem einstündigen Werk inspirierte ihn die Schönheit der Hohen Tatra, die er in fünf Tonbildern „Die Lomnitzer Spitze“, „Der Fischsee“, „Die Eisenhämmer“, „Die Jagd“ und „Ankunft und Leben im Karpathenbade“ des Stückes musikalisch umsetzte. Er komponierte Ouvertüren, Walzer, Polkas, Märsche und Csárdás. Namen wie „Abschied von der Heimath“, „In der neuen Heimath“, „Vom Rhein zur Donau“, „Berliner Kinder“, „La belle de Wiesbaden“ und „Neu Wiener Körtanz“ beziehen sich auf seine Stationen als Dirigent. Stücke wie „Gneisenau Marsch“, „Husaren Galopp“, „Mazzuchelli Marsch“ und „Des Kriegers Heimkehr“ erinnern an seine Zeit als Militärkapellmeister.
Bartfeld ist auch wegen Béla Kéler eine Reise wert
Das Šariš-Museum in Bartfeld besitzt eine umfangreiche Sammlung über den Sohn ihrer Stadt. Sie enthält neben handschriftlichen und gedruckten Kompositionen auch persönliche Dokumente Kélers. Dazu gehören unter anderem eine Taufurkunde, Schulzeugnisse, Reisepässe, Auszeichnungen und ein Testament. Béla Kélers Geburtshaus und das Museum befinden sich in der Altstadt.
Dr. Heinz Schleusener