Karte Europas

Diskutieren über die Zukunft Europas

Anlässlich der neuen globalen Herausforderungen und des 20-jährigen Jubiläums der deutsch-slowakischen Zusammenarbeit in der EU lud die Europäische Akademie Berlin am 13. November 2024 zu einem Seminar für Journalisten in das Haus der Europäischen Union in Pressburg/Bratislava ein. Die Veranstaltung, die gemeinsam mit der Deutschen Botschaft Pressburg durchgeführt wurde, richtete sich an Medienvertreter und Mitglieder von Think-Tanks aus der Slowakei. Hauptthemen waren die deutsche Europapolitik, die Zusammenarbeit Deutschlands und der Slowakei in der EU und die aktuellen Herausforderungen für den europäischen Kontinent.

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Manuel Knapp von der Europäischen Akademie Berlin die Medienvertreter der Zeitungen Pravda, SME und Hospodárske noviny sowie des Karpatenblattes. Auch der Botschafter der Bundesrepublik, Dr. Thomas Kurz, sprach ein kurzes Grußwort, woraufhin die erste Einheit von insgesamt drei Impulsvorträgen startete. Zu jedem Thema war jeweils ein Redner aus Deutschland und einer aus der Slowakei geladen. Die gesamte Veranstaltung wurde simultan gedolmetscht.

Neues Parlament – neue Hoffnung für Europa?

Thema der ersten Diskussion war die Konstituierung des neuen Europäischen Parlament und der neuen Europäischen Kommission. Neben dem alarmierenden Draghi-Bericht, der vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der EU warnt, wurde auch der zunehmende Druck auf die europäischen Demokratien angesprochen. Als Herausforderungen für Europa wurden der Krieg gegen die Ukraine, der Aufstieg der Nationalisten, die Wahlen in den USA und die Wirtschaftskrise genannt. Auch die Debatten innerhalb der EU wurden aufgegriffen, wobei deutlich gemacht wurde, dass Erweiterungs- und Reformdebatte parallele Prozesse sein müssen. Positiv wurde festgestellt, dass pro-europäische Kräfte in Europa weiterhin die Mehrheit stellen und es bisher meistens gelang, Einigkeit innerhalb der EU herzustellen.

Als Lösungsansätze für die Probleme Europas wurden die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, die digitale und grüne Transformation der Wirtschaft und Strategien gegen Desinformationen genannt. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass das Versprechen auf Wohlstand von den Bürgern Europas als selbstverständlich erachtet wird und allein nicht mehr ausreicht, um Zustimmung zum europäischen Projekt zu erreichen. Wichtig sei es, europäische Identität auch durch Emotionen zu vermitteln, die Zivilgesellschaft nicht durch Nationalstaaten, sondern durch die EU zu finanzieren und damit aufzuhören, Kräfte zu tolerieren, die die EU zerstören wollen. In der anschließenden Diskussion mit den jungen slowakischen Journalisten wurde deutlich, dass die deutsche Energiewende in der Slowakei mitunter kritisch gesehen wird und gerne auch als Schreckgespenst in politischen Debatten herangezogen wird. Auch die Frage einer Journalistin, ob es in Europa eine Leader-Figur brauche, um politisch voranzukommen, wurde kritisch diskutiert und dabei auf bereits bestehende politische Bündnisse, wie etwa das Weimarer Dreieck verwiesen.

Sicherheitspolitik im Angesicht neuer drohender Gefahren

Die zweite Diskussionsrunde widmete sich der Sicherheitspolitik in Anbetracht des dritten Jahres des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Im ersten Vortrag wurden zu Beginn die Versprechen des Westens, namentlich Sicherheit und ein gutes Leben, genannt, die auch in Mittelosteuropa dazu führten, dass Staaten wie etwa die Slowakei der NATO und der EU beitraten. Mit dem hybriden Angriff auf die Ukraine 2014 sei die europäische Friedensordnung zusammengebrochen und im Hinblick auf den Wahlausgang in den USA wurden fünf verschiedene Szenarien diskutiert, wie Sicherheitspolitik in Zukunft aussehen könnte. Diese reichten von einem Fortbestehen des amerikanischen Engagements in Europa bis hin zu einer Unterwerfung unter russische Oberherrschaft. Dabei wurde hervorgehoben, dass Europa ohne den nuklearen Schirm der USA kaum im Stande sein wird, sich gegen äußere Aggression zu verteidigen. Die Einführung der Wehrpflicht in Deutschland unter einer möglichen CDU-geführten Regierung erscheine im Lichte der politischen Entwicklungen wahrscheinlich. Auch das Sicherheitsrisiko durch China, das sich zum Beispiel in die Häfen von Piräus oder auch Hamburg einkauft, wurde angesprochen.

Im zweiten Vortrag betonte der Redner, dass ein Zurückweichen vor der russischen Aggression gravierende Folgen für die Europäer haben würde. Die Vermutung wurde geäußert, dass in dem Fall 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, anstelle der von der NATO vorgesehenen 2 Prozent investiert werden müssten und in Europa flächendeckend die Wehrpflicht eingeführt werden würde. Es wurde bemängelt, dass in Hinblick auf die Slowakei die Verteidigung keine Priorität habe und irreführende Kommunikation zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Institutionen führe. Maßnahmen, die diesbezüglich eine Verbesserung herbeiführen könnten, seien die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft, eine starke NATO mit Abschreckungswirkung und eine Korrektur des Ungleichgewichts in Bezug auf die USA. Zur Stärkung der Sicherheit trügen dementsprechend auch starke Institutionen, eine starke wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und ein erleichterter Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten bei. Auf die Frage eines Journalisten, wie man die mögliche Einführung einer Wehrpflicht politisch kommunizieren sollte, wurde erwidert, man müsse den Bürgern erklären, dass die Wehrpflicht der Abschreckung diene und den Zweck habe, auf diese Art und Weise Kriege zu verhindern. Man könne ferner zu gegebenem Zeitpunkt zur Harmel-Doktrin zurückkehren, die Ende der 1960er Jahre aus einer Kombination von militärischer Abschreckung und politischer Entspannung bestand.

Ist der Schengenraum noch zu retten?

Die dritte und letzte Diskussionsrunde des Tages widmete sich dem Schengenraum, als Raum der Sicherheit, Freiheit und des Rechts. Der erste Vortrag diesbezüglich griff die jüngsten Entwicklungen in Deutschland auf und erläuterte, wie der terroristische Messerangriff von Solingen zu einer Verschärfung der Migrationsdebatte in Deutschland führte. Alle Regierungsparteien mit Ausnahme der protestierenden Grünen sprachen sich für Kontrollen an den deutschen Außengrenzen aus. Dabei wurde auch besprochen, dass dies faktisch eine Verletzung des Schengen-Abkommens, das freie Bewegung innerhalb der EU garantiert, darstellt. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass Bewegungsfreiheit innerhalb der EU zwar ein hohes Gut sei, aber möglicherweise nicht das höchste. Auch auf den neuen Asylpakt der EU wurde eingegangen, der es als Kompromiss Ländern erlaubt, die keine Migranten aufnehmen möchten, Ersatzzahlungen zu leisten. Gleichzeitig sollen die EU-Länder nationale Maßnahmen zur Reduktion der illegalen Migration umsetzen. Schon jetzt sei aber klar, dass zumindest Deutschland diese Vorgaben nicht umsetzen können wird. Ein Positivum, aber auch eine Herausforderung sei der im März dieses Jahres erfolgte Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens.

Bezüglich der Situation in der Slowakei berichteten die beiden anderen Referenten, dass man einerseits bemüht sei, durch verstärkte Kontrollen an der ungarischen Grenze der illegalen Migration und dem Schleuserwesen Herr zu werden, andererseits aber Grenzkontrollen nur von geringer Wirksamkeit seien. Weiter versuche man Schleuser effizient zu bekämpfen und abgelehnte Asylbewerber schnell zurückzusenden. Es wurde auch erwähnt, dass faktisch seit 2015, dem Jahr der Terroranschläge von Paris, in Europa wieder Grenzkontrollen stattfinden würden und sich seitdem nicht viel geändert habe. Gleichzeitig wurde eingeräumt, dass man personell nicht gut genug aufgestellt sei, um unkontrollierte Migration effizient zu bekämpfen. Unterschiedlich fielen die Antworten auf die Frage eines Journalisten aus, ob nicht die Dublin-III-Verordnung ein Fehlkonstrukt sei, weil sie eine gerechte Verteilung von Asylfällen nach Quoten ausschließe. Darauf wurde erwidert, dass der europäische Asylpakt in vielerlei Hinsicht eine Verschärfung der bestehenden Ordnung darstellt, gleichzeitig einzelnen EU-Ländern aber auch mehr Spielräume lässt, ihre Asylpolitik zu gestalten.

Abschluss und Hintergrundgespräch mit dem deutschen Botschafter

Den Abschluss bildete ein vertrauliches Hintergrundgespräch mit dem Botschafter Dr. Kurz, der bereitwillig Fragen der geladenen Gäste beantwortete und sich für deren Kommen und Interesse bedankte.

Zweck der Veranstaltung war es, das bessere Verständnis zwischen Deutschland und der Slowakei zu fördern. Mit dem etablierten Format der Europäischen Akademie Berlin, das nach Bratislava auch noch in weiteren mittelost- und osteuropäischen Städten Station macht, scheint dies gelungen zu sein.

Yannick Baumann