„Ein Dolmetscher, der sich nicht weiterbildet, ist ein arbeitsloser Dolmetscher.“
Wer braucht heute noch Übersetzer, wenn künstliche Intelligenz scheinbar alles kann?
Mária Vaščurová, 22, Studentin für Dolmetschen und Übersetzen (Deutsch–Italienisch) an der Comenius-Universität in Pressburg/Bratislava, lacht über diese Frage – und erklärt, warum Menschlichkeit etwas bleibt, das keine Maschine je nachahmen kann.
Ein Gespräch über Liebe und Hass zur deutschen Phonetik, über den inneren Deutschen, der sich erstaunlich gut mit dem inneren Italiener versteht, und über Adrenalin in der Dolmetschkabine.
Da wir uns schon lange kennen, nehme ich mir die Freiheit, mit einer vielleicht etwas unbequemen Frage zu beginnen: Wozu braucht man euch Dolmetscher und Übersetzer noch – in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz scheinbar alles kann?
Ich hab’s ja geahnt, dass du genau damit anfängst. (lacht) Es stimmt schon, manche Übersetzungen schafft KI erstaunlich gut. Aber sie kann niemals den menschlichen Kontakt ersetzen – und gerade der ist beim Dolmetschen entscheidend. Nimm zum Beispiel das sogenannte „Community Interpreting“: Ein Geflüchteter kommt in ein Gemeindezentrum und braucht Hilfe bei den Dokumenten. Es ist doch viel angenehmer, wenn ihm ein Mensch gegenübersitzt, der ihn versteht, als wenn er über ein Tablet mit einer Maschine spricht. Genau dieser menschliche Aspekt ist in unserem Beruf unersetzlich.
Du dolmetschst und übersetzt aus dem Deutschen und dem Italienischen. Welcher Sprache fühlst du dich näher?
Im Moment eindeutig dem Deutschen – ich bin praktisch damit aufgewachsen, lerne es seit dem Kindergarten. Es ist manchmal eine Art Love-Hate-Beziehung, aber ich entdecke immer wieder Neues daran. Viele finden, Deutsch klingt zu hart. Ich mag die Sprache aber auch phonetisch. Viele sehen zwei, drei Videos auf Instagram, wo jemand „KRANKENWAGEN!“ oder „SCHMETTERLING!“ schreit, und vergleichen das dann mit der weichen, melodischen italienischen Aussprache. Aber ich finde: Deutsch kann schön klingen. Auch wenn – das gebe ich zu – ein Liebesgeständnis auf Italienisch wohl besser funktioniert. (lacht)


Wenn du zwischen diesen Sprachen wechselst – denkst du dann auch anders?
Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber auf Deutsch kann ich nur intellektuell denken. (lacht) Ich war auf einem deutsch-slowakischen Gymnasium, wo es ständig um Klausuren, Aufsätze und analytisches Denken ging – da hat sich das so eingebrannt. Auf Italienisch kann ich mich dagegen viel leichter im Alltag ausdrücken, spontaner.
Man sagt ja, mit jeder Sprache übernimmt man auch ein Stück Kultur.
Kämpfen dein innerer Deutscher und dein innerer Italiener manchmal gegeneinander?
Nein, überhaupt nicht – wenn man sie mischt, kommt einfach ein Slowake dabei raus. Ich war in Deutschland und in Italien: In Deutschland konnte ich mich mit dieser Distanz zwischen Menschen nicht so anfreunden – alles streng geplant, Punkt für Punkt. In Italien hat mich wiederum der totale „Mir-egal“-Zugang wahnsinnig gemacht. Ich habe in beiden Ländern Dinge gefunden, die mir gefallen, und Dinge, die mich nerven. Aber am Ende des Tages bin ich Slowakin – eine Mischung aus „ich nehme’s locker, aber es soll trotzdem perfekt sein“.
Kommen wir zum Arbeitsalltag – nimm uns ein bisschen mit hinter die Kulissen.
Was ist für dich die größte Herausforderung beim Dolmetschen?
Ganz klar: der Wortschatz. Die Qualität des Dolmetschens hängt direkt von der Vorbereitung ab. Wenn ich zum Beispiel bei einer medizinischen Konferenz über neue Coronavirus-Impfstoffe dolmetschen soll und mich nicht vorbereitet habe, keine lateinischen Fachbegriffe kenne – dann kann das nichts werden. Das Schöne an unserem Beruf ist, dass wir für kurze Zeit Expertinnen und Experten für alles werden. Jede Fachrichtung hat ihre eigene Terminologie und man muss sie im Moment des Dolmetschens perfekt beherrschen. Deshalb gilt: Ein Dolmetscher, der sich nicht ständig weiterbildet, ist ein arbeitsloser Dolmetscher.
Viele haben ja oft gar keine Ahnung, wo überall übersetzt oder gedolmetscht wird – es geht ja längst nicht nur um Bücher oder Filme, oder?
Überall! In Geschäften, auf Etiketten, Beipackzetteln von Medikamenten… Ich habe neulich in einem Buch über Übersetzen gelesen: Woher kommen eigentlich ausländische Fake News? Auch die muss jemand übersetzen, bevor sie sich verbreiten! Selbst im Vatikan wird gedolmetscht. Übersetzung ist überall – wir nehmen sie nur als selbstverständlich wahr.


Ist Übersetzen und Dolmetschen eine unterschätzte Tätigkeit?
Wenn man mehr darüber sprechen würde, wäre das Bewusstsein sicher größer. Besonders unterschätzt ist meiner Meinung nach die literarische Übersetzung. Belletristik zu übertragen bedeutet Stunden, oft Tage voller Feinarbeit – jedes Wort muss nicht nur „richtig“, sondern stimmig klingen. Vom Einkommen her ist es schwierig – man kann davon nur leben, wenn man zu den Besten gehört. Jemand zu sein, der im Europaparlament dolmetscht und bei keiner Sitzung fehlen darf, schaffen vielleicht zehn Prozent. Die anderen haben ein Gewerbe angemeldet und arbeiten nebenbei noch in anderen Jobs.
Wenn man genau dorthin will – ins Europaparlament -, wie läuft das?
Ziemlich kompliziert. Man muss den Europäischen Kurs für Konferenzdolmetschen absolvieren – und allein dort aufgenommen zu werden, ist schwer. Es gibt viele Bewerberinnen und Bewerber, und es ist keineswegs garantiert, dass man den Kurs besteht. Dafür braucht man enorme Erfahrung und Praxis.
Was ist für dich das Faszinierendste am Dolmetschen?
Wenn jemand spontan spricht, ohne Vorbereitung. Das ist für mich das Spannendste überhaupt! Wenn du im Europaparlament jemanden siehst, der einfach auf eine Rede reagiert – da weiß der Dolmetscher nicht, was kommt. Man darf nicht stocken, nicht zögern. Das ist Adrenalin pur, und ich finde es faszinierend, wenn man in solchen Momenten spontan reagieren kann.
Was machst du, wenn dir ein Wort einfach entfällt?
Improvisieren! Wenn ein Wort fehlt – ein Synonym. Wenn das auch nicht geht – das nächste. Genau deshalb ist ein breiter Wortschatz so wichtig. Meistens sind bei Konferenzen zwei Personen, die dolmetschen, in der Kabine, man ist nie allein. Wenn es wirklich zu einem kompletten Blackout kommt, springt der Kollege ein. Man wechselt sich sowieso regelmäßig ab – nach sieben bis acht Minuten ist man mental und körperlich völlig ausgelaugt. Das unterschätzen viele, aber Dolmetschen ist echte Schwerstarbeit.


Gibt es jemanden, den du niemals dolmetschen möchtest?
Viele sagen sofort: Politiker wie Andrej Danko! Aber ehrlich gesagt – der ist gar nicht so schlimm. Gerade weil er sich oft verhaspelt, hat man als Dolmetscher Zeit zum Nachdenken. (lacht) Vielleicht würde ich eher jemanden, der extrem schnell spricht nicht dolmetschen wollen.
Was passiert, wenn du etwas dolmetschen musst, das gegen deine moralischen Überzeugungen geht?
Mein persönlicher Standpunkt spielt keine Rolle. Ich bin nicht da, um meine Meinung zu sagen, sondern um das, was jemand anderes sagt, so präzise und professionell wie möglich zu vermitteln.
Und jetzt, zum Abschluss, kommen wir zu den typischen „Unerhört?!“-Fragen:
Was glaubst du – was ist das größte Problem unserer Generation?
Ich denke, wir verlernen langsam den echten menschlichen Kontakt. Alles läuft über Bildschirme, Nachrichten, Plattformen. Wir haben uns an die Distanz gewöhnt – und manchmal sogar begonnen, uns davor zu fürchten. Ich merke das auch an mir selbst: Wie oft laufe ich mit Kopfhörern herum, statt ein Gespräch anzufangen? Es wäre schön, wenn wir uns wieder öfter einfach ansprechen würden – ganz ohne Filter.
Und die wichtigste aller „Unerhört?!”-Fragen: Magst du Pumpkin Spiced Latte?
Ja, schon. Aber ich würde jetzt keine Religion daraus machen.
Das Gespräch führte Lucia Vlčeková.
