
Europa im Wandel – und die Kultur im Zentrum
Europa steht an einem kulturellen Scheideweg. Unter dem wachsenden politischen Einfluss, zunehmenden autoritären Tendenzen und einer spürbaren gesellschaftlichen Polarisierung gerät die Freiheit der Kunst zunehmend unter Druck. Doch gerade in diesem Klima regt sich neuer Widerstand. Ein sichtbares Zeichen dieses Aufbruchs war die erste internationale Konferenz „Otvorená Kultúra!“ (Offene Kultur) in Pressburg/Bratislava.
Am 29. und 30. Mai 2025 kamen in der Alten Markthalle in Pressburg Kulturschaffende, Vertreter kulturpolitischer sowie europäischer Institutionen und zivilgesellschaftlicher Initiativen zusammen, um offen über das zu sprechen, was gefährdet ist – und darüber, was es zu verteidigen gilt.
Die Konferenz fand auf Initiative der zivilgesellschaftlichen Plattform „Otvorená Kultúra!“ statt – in enger Kooperation mit den Wiener Festwochen, einem der renommiertesten internationalen Festivals für zeitgenössische Kunst. „So eine Konferenz hat es in Bratislava noch nie gegeben. Es ist der erste Jahrgang und wir hoffen, nicht der letzte“, sagt Matej Drlička, einer der Organisatoren und ehemaliger Generaldirektor des Slowakischen Nationaltheaters. „Wir sind davon überzeugt, dass Kultur eine gemeinsame Stimme braucht. Gerade deshalb wollen wir uns zusammenschließen, Probleme offen ansprechen und gemeinsam nach Auswegen suchen.“ In Zeiten, in denen die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks zunehmend unter Druck gerate, sei laut Drlička eine derartige Konferenz nicht nur sinnvoll, sondern notwendig.
„Kultur ist das pulsierende Herz Europas.“
Mit diesen Worten eröffnete EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die Konferenz und setzte damit gleich zu Beginn ein klares Signal. In ihrer Videobotschaft sprach sie über die Rolle der Kultur als Motor für Gemeinschaft, Integration und Zusammengehörigkeit. Kultur, sagt Metsola, könne nur dort aufblühen, wo sie unabhängig sei und gezielt gefördert werde. „Kultur gehört uns allen. Und wenn sie unter Druck gerät, ist es unsere gemeinsame Verantwortung, sie zu schützen.“
Ganz im Geist dieser Worte verlief das gesamte Programm. In zahlreichen Diskussionen, Präsentationen und öffentlichen Beiträgen spiegelte sich die Überzeugung, dass Kultur nicht nur Ausdruck, sondern auch Kitt einer freien Gesellschaft ist.



Kultur im Fokus gesellschaftlicher Veränderung
Besonders eindrucksvoll war die Paneldiskussion mit Bohunka Koklesová, Rektorin der Akademie der bildenden Künste in Bratislava, Mart Kalm, dem ehemaligen Rektor der Estnischen Kunstakademie in Tallinn, und Manos Tsangaris, Präsident der Akademie der Künste in Berlin und Vertreter der European Alliance of Academies.
Tsangaris sprach über die Herausforderungen umfassender gesellschaftlicher Änderungen: „Ich sehe das auch bei uns in Deutschland. Und dieser Wandel macht längst nicht mehr Halt vor den Kulturinstitutionen.“ Es sei dabei nicht länger möglich, Politik und Kultur strikt voneinander zu trennen: „Wir können nicht behaupten, Kultur müsse apolitisch bleiben, wenn es doch die Politik ist, die versucht, sie gezielt zu beeinflussen.“
Dieser Wandel gehe laut Tsangaris ebenso mit einer neuen Verantwortung einher: „Auch die Rolle der kulturellen Einrichtungen muss sich verändern. Mehr denn je müssen wir uns bemühen, den Menschen näherzukommen – auch jenen, die zögern, ob Kultur überhaupt etwas mit ihnen zu tun hat. Denn Kultur geht uns alle an.“



„Ich stelle mir ein Land vor.“
Auch Matúš Vallo, Oberbürgermeister von Bratislava, war unter den Rednern. In seinem Beitrag sprach er über die verbindende Kraft der Kultur und über seine Vision einer Gesellschaft: „Ich stelle mir ein Land vor, wie es sein könnte, wenn wir einander ohne Vorurteile und ohne Zorn begegnen würden.“
Die Lage sei laut Vallo aber angespannt. Seit zwei Jahren finden überall in der Slowakei Proteste für eine freie Kultur statt und die gesellschaftliche Stimmung spitze sich weiter zu. Vallo zufolge sei es aber notwendig, Kompromisse einzugehen: „Wir müssen lernen, einander zuzuhören. Aber es gibt Momente, in denen wir auch bereit sein müssen, Widerstand zu zeigen – wenn es nötig ist. Was sind unsere Werte? Wir dürfen sie nicht vergessen.“



Ein Aufbruch oder ein Warnsignal?
Zum Abschluss der Konferenz wurde die Bratislava-Erklärung unterzeichnet – ein dringender Aufruf an die Europäische Union, entschlossene rechtliche Schritte gegen politische Eingriffe im Kulturbereich zu unternehmen. Im Statement heißte es: „Die Erklärung spiegelt die Erfahrungen von Kulturschaffenden, Künstlerinnen und Künstlern sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen in der EU wider, die tagtäglich mit Zensur, autoritären Tendenzen und dem Abbau kultureller Freiheiten konfrontiert sind. Die Zerstörung des kreativen Sektors gefährdet die Grundlagen unserer Demokratie. Wir können die Verteidigung der künstlerischen Freiheit nicht länger aufschieben.“
Die Debatten machten deutlich, dass das Ringen um künstlerische Freiheit nicht an Landesgrenzen haltmacht. Und dass die Antworten auf politische Einflussnahme, Zensur und Vertrauensverlust europäisch gedacht und gemeinsam getragen werden müssen.
Lucia Vlčeková