„Ich könnte ewig darüber sprechen, was mich an der deutschen Sprache alles fasziniert“

Maxim Duleba (26) ist ein leidenschaftlicher Leser und junger Wissenschaftler auf dem Gebiet Germanistik, Literatur und Theorie des Dialoges. Er spricht Russisch, Englisch und Deutsch. In unserem Gespräch verrät er, was ihn an der deutschen Literatur fasziniert und wie man beim Lesen einen Dialog mit dem Autor eingehen kann.

Du kommst aus Eperies/Prešov, was hat dich dazu veranlasst, das Jur-Hronec-Gymnasium in Preßburg/Bratislava zu besuchen?

Ich habe mit meiner Familie Eperies/Prešov verlassen, als ich sechs Jahre alt war, also in meiner Kindheit. Es gab also keine andere Möglichkeit für mich (lacht). Das Jur-Hronec-Gymnasium hat einen sehr guten Ruf. Ich habe es ab meinem 12. Lebensjahr besucht.

Wie kommt man von einer englischsprachigen Abteilung im Gymnasium zum Studium der deutschen Literatur?

Ich habe am Gymnasium das IB-Programm (International Baccalaureate) erfolgreich abgeschlossen. Nach meinem Abi waren meine Deutschkenntnisse ziemlich schwach, auf jeden Fall konnte ich nicht fließend sprechen. Ich wusste, dass ich ein Gap-Year (Lückenjahr) machen will, um nachzudenken, was ich später studieren will. Ich habe mich für einen Freiwilligendienst über ERASMUS-Plus in Deutschland beworben. Dort habe ich als Assistent in einer Internatsschule gearbeitet. Damals war ich 18 Jahre alt. Letztendlich fand ich nach einem Jahr in Deutschland die deutsche Sprache, Kultur und vor allem Literatur sehr faszinierend. Als ich wieder zurückgekommen war, wollte ich dann Germanistik studieren. Und so habe ich dann Germanistik in der Kombination mit Anglistik studiert.

Maxim in Wien
Maxim in Wien
Was fasziniert dich an der deutschen Sprache?

Die Literatur war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, seit ich klein war. Ich war mir sicher, dass ich mal Philologie studieren will, deshalb habe ich mich auch nicht für andere Fächer beworben. Aber zurück zu der Faszination für die deutsche Sprache. Ich könnte ewig darüber sprechen. Vieles fasziniert mich an der deutschen Literatur, wie auch an den anderen großen Literaturen. Das ist ein einflussreiches Kulturgebiet. Ich schreibe meine Dissertation (Doktorarbeit) über den deutschen Autor Joachim Ringelnatz. So ist er der Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Untersuchungen geworden. Jetzt beschäftige ich mich mit einer Studie, indem ich sein Werk mit dem Werk des russischen Schriftstellers Nikolai Wassiljewitsch Gogol vergleiche. Ich arbeite an einer komparativen Studie. Als ich das Werk von Ringelnatz gelesen habe, habe ich viele Gogol‘schen Allusionen bemerkt. So habe ich gesehen, dass da ein Dialog zwischen den Autoren entsteht. Ringelnatz bezieht sich mit einer bestimmten Intention auf Gogol. Mich faszinieren besonders fantastische, groteske Literatur und subversive Texte. Die subversiven Texte versuchen die Hierarchie zu verdrehen. Zum Beispiel: Ringelnatz schreibt pseudopatriotische parodische Gedichte, wo er höhere Konstrukte zu einer Körperlichkeit relativiert und subversiert. Zum Beispiel:

Sollte dich ein Floh am Po kneifen,
Nicht mit beiden Händen zugleich danach greifen.
Nicht so ruckweis hin und her schlenkern;
Das paßt nicht für ein Volk von Turnern und Denkern.

Damit zeigt er, dass die abstrakten ideologischen Konstruktionen immer relativ sind, wobei die Regeln der Körperlichkeit im Gegensatz dazu die Existenz bestimmen.

Du hast nicht nur an der Comenius-Universität in Preßburg studiert, sondern du hast auch die Universität Wien besucht. Welche Anregungen hast du bei deinem Studium in Wien bekommen?

Momentan befinde ich mich in Wien. Ich nutze das sehr. Vor allem die sekundären Quellen, die sich nicht in Preßburg/Bratislava befinden. In der Nationalbibliothek habe ich Zugriff zur publizierten Privatkorrespondenz von Joachim Ringelnatz. Ich brauche auch Periodika aus der Zwischenkriegszeit und ich habe auch andere Bücher über deutsche Denker wie Walter Benjamin oder Siegfried Kracauer entdeckt. So viele Monografien und Studien von Germanisten hätte ich sicher nicht in Preßburg/Bratislava gefunden.

Maxim mit Joachim Ringelnatz.
Maxim beschäftigt sich in seiner Dissertation derzeit intensiv mit Joachim Ringelnatz.
Was sind die Schwerpunkte in deiner wissenschaftlichen Arbeit?

Ringelnatz war einer der bekanntesten Kabarettisten in Deutschland und als Dichter hatte er auch kommerziellen Erfolg. Sein Ruhm überdauert bis zur Gegenwart. In einer Buchhandlung ist es sehr einfach, seine Werke zu finden. Sie werden immer neu aufgelegt. Trotz seiner Berühmtheit bleibt er für die Literaturwissenschaft ein unentdeckter Autor. Der Grund für dieses Marginalisieren ist sein Stereotyp. Jeder meint, dass er ein erfolgreicher Humorist und Komiker war, seine Werke aber keinen poetischen Wert haben. Trotz seiner Beliebtheit beschäftigt sich fast niemand wissenschaftlich mit seinen Werken. Ringelnatz war bekennender Christ, aber er hat auch Bibelparodien geschrieben. Ich versuche seinen radikalen Relativismus als seine Axiologie zu demonstrieren. Ringelnatz folgt einer grotesken Tradition. Der russische Wissenschaftler Michail Michailowitsch Bachtin beschreibt sie als grotesken Realismus.

Welche Eigenschaften sollte man haben, damit man eine richtig gute wissenschaftliche Arbeit schreibt?

Diese Frage sollte einem erfahrenen Professor gestellt werden. Ich habe auch in etablierten Journalen mehrere Artikel und Studien publiziert, aber ich kann nicht sagen, wie man eine gute wissenschaftliche Arbeit schreibt. Dadurch würde ich implizieren, dass meine wissenschaftliche Arbeit gut ist und das wäre unbescheiden. Man muss einfach viel über das Thema lesen, sehr viel von seinem Thema verstehen, aber sich bewusst sein, dass das bei dem potenziellen Leser nicht unbedingt der Fall sein muss. Deine Aufgabe ist es, das Thema so zu vermitteln, dass die Leser verstehen, was du meinst. Die Argumente müssen eine passende Struktur haben.

Maxim in Deutschland
Bei einem Freiwilligendienst in Deutschland hat Maxim seine Faszination für die deutsche Sprache entdeckt.
Welche Tipps hinsichtlich der deutschen Literatur würdest du den Jugendlichen geben?

Als ich 16/17 war, habe ich Werke von Herman Hesse und Franz Kafka gelesen. Man soll solche Texte suchen, die für einen wichtig werden. Autoren sind unsere Partner für einen Dialog. Wenn man anfängt etwas zu lesen, dann führt man den Dialog mit diesem Autor, der in vielen Weisen vergleichbar zu anderen (nicht literarischen) Dialogen, die wir in unserem Leben führen, ist. Jeder hat mehr oder weniger geeignete Dialogpartner für seine unikate, nie wiederholbare Persönlichkeit.

Was hast du in der letzten Zeit gelesen, was man unbedingt lesen sollte?

Wenn Ihr Lust auf grotesken und absurden Humor habt, dann würde ich Joachim Ringelnatz wärmstens empfehlen. Er überschreitet manchmal die Grenzen, die konventionell als sozial akzeptabel angesehen werden. Zum Beispiel hat er eine Version von Rotkäppchen mit einer sexuellen Anspielung geschrieben. Er erklärt den Kindern in einem anderen Text, was ihre Eltern machen, nachdem sie schlafen gehen. Das ist für mich eine sehr bereichernde Literatur, die sich selbst nicht ernst nimmt. Genau in ihrem Nichternstnehmen der umgebenden Welt beruht ihr Wert.

Das Gespräch führte Hubert. Er interviewt das ganze Jahr über Mitglieder der Karpatendeutschen Jugend für die Reihe „KDJ auf ein Wort“.