Unser Wald – ein fragiles Ökosystem

Wann waren Sie zuletzt in einem Wald spazieren? Was hat Ihnen am besten gefallen? Die saubere Luft, die Bäume und Pflanzen oder die Tiere, die Sie entdeckt haben? Was auch immer, der Wald ist ein einzigartiges, komplexes Ökosystem. Es wird vom Menschen nicht nur als Freizeit- und Erholungsgebiet, sondern auch als Wirtschaftsfaktor genutzt. Dass dies kein Widerspruch sein muss, darüber sprachen wir mit dem Forstwirtschaftler Ján Schürger.

Herr Schürger, Sie sind Förster und stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der in der Forstwirtschaft tätigen Unternehmer und Handwerker, Vyšný Medzev/Ober-Metzenseifen. Bitte beschreiben Sie Ihre aktuelle Tätigkeit.

Ich bin Vertriebsleiter einer traditionellen slowakischen Firma, die Forst-Spezialmaschinen herstellt. Zugleich habe ich Aufgaben im forstwirtschaftlichen Bereich eines Pilotprojekts der Naturschutzbehörde der Slowakei übernommen.

Da können wir gleich zum Thema Wald übergehen. Eine typische Kinderfrage ist „Wieviel Bäume hat ein Wald?” Wann benutzt ein Förster den Begriff „Wald”?

Unser Forstgesetz beschreibt ähnlich wie in Deutschland den Wald als eine mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche. Dazu zählen auch kahlgeschlagene Flächen, Waldwege und Lichtungen. Die Pflanzenformation muss im Wesentlichen aus Bäumen aufgebaut und groß genug sein, um ein charakteristisches Waldklima entstehen zu lassen.

Unterscheiden sich die Wälder der Slowakei von denen anderer Länder?

Ja, markant. Bei uns ist die gewachsene Struktur der verschiedenen Baumarten erhalten. In Ländern wie Österreich, Deutschland und Tschechien hat sich diese durch den sogenannten „Fichtenwahn”, also das großräumige Pflanzen von Fichten, stark verändert.

In der Slowakei beträgt der Anteil der Waldfläche an der Gesamtfläche des Landes etwa 41 Prozent. Das sind 20.000 Quadratkilometer. Ist das ein stabiler Wert?

Schon die alten Griechen beschrieben unser Land als das der dichten Wälder und wilden Bienen. Mit der Urbanisierung kam es durch Landwirtschaft, Bergbau und später Industrie zum Abbau von Waldflächen. Die „Holz- und Waldordnung für Ungarn” von Königin Maria Theresia im Jahr 1770 brachte eine positive Änderung, die Waldflächen nahmen wieder zu. In den letzten Jahrzehnten sind sie etwa gleich geblieben.

jan schürger
Ján Schürger (links) bei der Arbeit
Der Wald ist ein Teil unseres Lebensraumes. Welche Funktionen des Waldes sehen Sie als besonders wichtig an?

Der Wald hat für Menschen und die Erde insgesamt lebenswichtige Funktionen. Sie reichen von der Sauerstoffproduktion über den Wasserhaushalt bis zum Holzlieferanten. Hier ist auch die Erholungsfunktionen für den Menschen zu nennen. Leider muss ich feststellen, dass viele Leute den Wald nur von der wirtschaftlichen Seite betrachten und ihn als Geldquelle ansehen.

Muss der Wald nicht auch bewirtschaftet werden? Ist das ein Widerspruch zu seiner Funktion für Freizeit und Erholung?

Beides darf nicht in Widerspruch zueinander stehen. Eine Lösung kann die naturnahe Waldwirtschaft sein, wie sie zum Beispiel von PRO SILVA, einer europaweit aktiven Einrichtung, propagiert wird. Sie schlägt den Umbau von Stufenwald in den sogenannten Dauerwald vor. Das bedeutet den Weggang vom totalen Holzschlag eines Bereiches mit den entstehenden Freiflächen und dessen Neubepflanzung als Schonung. Statt dessen sollten im gewachsenen Wald punktuell Bäume gefällt werden. So behält dieser seine Struktur, er bekommt keine Kahlschläge, durch die ihm bei extremem Wetter (Wind, Kälte, Hitze) Schaden zugefügt werden kann und er bereits nach 80 Jahren zerfällt.

Was spricht dagegen? Das klingt doch ganz vernünftig.

Ist es auch. Jede Änderung stößt zunächst einmal auf Widerstand, hier bei konservativen Forstfachleuten. Warum? Dieser Weg der Naturerhaltung ist teurer, als das Abholzen einer ganzen Fläche.

Geht das nicht auch mit Naturschutzgebieten?

Nein. Hier wird die Natur sich selbst überlassen, das führt zu toten Wäldern, mindestens zu Totholz, auf der einen Seite und auf der anderen zu Riesenflächen von wirtschaftlich genutztem Wald. Das sind zwei Extreme, die im Interesse von Mensch und Tierwelt vermieden werden sollten.

jan schürger
Waldplanung vor Ort
Welche Rolle spielt der Wald beim Artenschutz?

Wald ist nicht gleich Wald. Wenn es sich um einen naturnahen Wald handelt, der von ursprünglichen Pflanzen- und Tierarten gebildet wird, ist das viel vorteilhafter als die Fichten- oder Buchenmonokultur eines wirtschaftlich genutzten Stufenwaldes. Schauen wir uns dazu die heutige Landwirtschaft an. Das Vieh wird in Ställen gehalten, nicht auf der Weide. Daher gibt es kaum noch Wiesen mit blühenden Blumen. Hier ist die frühere Vielfalt der Pflanzen und damit auch der Lebensraum zum Beispiel für Bienen in Gefahr. Eine ähnliche Situation droht dem Wald, wenn nicht umgedacht wird.

Bedeutet naturnahe Waldwirtschaft Mischwälder?

Ja, der Mischwald (Nadelbäume/Laubbäume) ohne Freiflächen bietet den besten Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Auch Vorstellungen, die Fichte zukünftig durch die Buche zu ersetzen, sind falsch. Das geht in Richtung einer Monokultur und es wird Probleme mit Buchenschädlingen geben. Das Waldmanagement muss sich verbessern, sonst geben wir die Probleme ungelöst an unsere Kinder und Enkel weiter.

Kennen Sie den Old Tjikko?

Ja, natürlich. Das ist der vermutlich älteste Baum, fast 10.000 Jahre alt, er steht in Mittelschweden. Dagegen sind die Bäume hier in der Zips jung, sie werden im Wirtschaftswald maximal 140 Jahre und als Solitäre, die in Urwaldfragmenten leben, sogar 300 bis 450 Jahre alt.

Was sagen Sie zu Emma McCabe aus London?

Meinen Sie die Meldung von vor etwa fünf Jahren zum Ich-mag-Bäume-Tag, dem 16. Mai? Ist das die Frau, die sich in einen Baum verliebt hatte und ihn heiraten wollte? Soweit muss es nicht gehen (schmunzelt). Wir Förster würden uns schon freuen, wenn alle mit Respekt und Achtung der Natur entgegentreten, sie schützen und bewahren.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schürger!

Dr. Heinz Schleusener