Unsichtbare Fesseln auf der Bühne: Ein Quasi-Musical über weibliche Lebenswege

Am 23. April 2025 präsentierte die studentische Theatergruppe „Die Pressburger Zweckentfremdeten“ von der Comenius-Universität Pressburg/Bratislava im Österreichischen Kulturforum ihre neueste Inszenierung „Unsichtbare Fesseln“. Unter der Regie von David Gligorovski und mit Musik von Ema Somolányiová entstand ein eindrucksvolles Quasi-Musical, das Rollenbilder schonungslos hinterfragt.

Zwei Frauen betreten die Bühne. Die eine geht zum Tisch, senkt den Kopf, versinkt in sich. Die andere bleibt stehen. Reglos. Ihr Blick durchbohrt das Publikum. In ihrer Haltung liegt noch ein letzter, stiller Widerstand. Aber in ihren Augen flackert bereits die ganze schmerzhafte Geschichte auf – lange bevor sie beginnt, sie zu spielen.

Ein leiser Moment. Das Licht wird weich. Und die ersten Töne der melancholischen Musik lassen keinen Zweifel: Was hier erzählt wird, wird wehtun. Aber was hätte man auch anderes erwarten sollen – bei einem Stück über Frauen?

Das Theaterprojekt

Die Inszenierung ist von dem Roman „Die Liebhaberinnen“ (1975) der österreichischen Autorin Elfriede Jelinek inspiriert. Es handelt sich um ein kompromissloses, feministisches Werk, das mit messerscharfer Präzision die gesellschaftliche Stellung von Frauen im kleinbürgerlichen Österreich seziert.

Im Zentrum stehen zwei Frauen – Brigitte und Paula –, deren Lebensentwürfe auf den ersten Blick kaum gegensätzlicher sein könnten und die doch wie zwei Spiegel derselben Hoffnung wirken.

Beide träumen vom Glück. Brigitte will einen Ehemann, ein Kind, Sicherheit. Paula sehnt sich nach Liebe, nach Freiheit, nach einem Leben jenseits der engen Welt, in die sie geboren wurde. Doch keine von ihnen bekommt, was sie erhofft hat. Ihr Glück bleibt ein Trugbild. Was sie stattdessen finden, ist Enttäuschung, Gewalt – und die kalte Ablehnung einer Gesellschaft, die Frauen keinen Raum für eigene Träume lässt.

Je weiter sich die Geschichte entfaltet, desto spürbarer wird der eisige Hauch, der sich durch den Raum zieht. Ein Kältegefühl, das bleibt – auch nachdem das letzte Wort gesprochen ist.

Natürlich tut es weh. Du bist ja eine Frau.

Was die Inszenierung leise, aber unmissverständlich zeigt, ist eine bittere Wahrheit: Das Leben einer Frau scheint von Anfang an festgelegt. Und es überrascht niemanden, wenn sie daran zerbricht. Wenn sie sich nicht damit abfinden kann. Wenn sie unglücklich ist.

Für Olha Panina, die in der Inszenierung die Rolle der Paula verkörperte, wurde diese Erkenntnis zum inneren Brennpunkt ihrer Darstellung. „In meiner Rolle spüre ich einen tiefen Schmerz“, sagt sie. „Ich empfinde großes Mitgefühl mit Paula. So viele Frauen erleben dasselbe wie sie. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft – und das Bild, das er zeigt, ist erschreckend hässlich.“

Auch Ema Somolányiová, die Brigitte auf der Bühne Leben einhauchte, sieht in der Geschichte ihrer Figur eine erschreckende Parallele zur Gegenwart. „Auch heute begegnen wir immer wieder Frauen, die ein Leben führen, das nicht ihr eigenes ist. Sie sind wie Marionetten, die sich nur so bewegen dürfen, wie jemand an den Fäden zieht. Das ist eine traurige Wahrheit,“ meint sie. „Natürlich hat sich manches verbessert – Frauen haben heute mehr Möglichkeiten und die Welt hört ihnen ein Stück weit besser zu. Aber es gibt noch immer viel, woran unsere Gesellschaft arbeiten muss.“

Ein Stück als Werkzeug gegen starre Rollenbilder

Für Regisseur David Gligorovski, der seit September 2022 ÖADLektor an der Comenius-Universität ist, war die Entscheidung für Jelineks Stück kein Zufall. „Obwohl der Text bereits 1975 geschrieben wurde, ist er sehr aktuell – gerade deshalb haben wir uns bewusst dafür entschieden“, sagt er. „Unsere Inszenierung ist für uns mehr als nur ein künstlerisches Projekt. Sie ist ein Werkzeug – ein Mittel, um überholte Rollenbilder zu hinterfragen und sie Stück für Stück aufzubrechen.“

Besonders eindrücklich sei für ihn die Arbeit an einer Szene gewesen, in der physische Gewalt dargestellt wird. „Es gibt einen Moment, in dem eine Frau von einem Mann geschlagen wird – eine Szene, die für die Darstellerinnen und Darsteller enorm herausfordernd war. Gerade dort mussten sie die Grenze zwischen Realität und Bühne sehr scharf erkennen – und bewusst aushalten.“

Was in Pressburg begann, bewegt auch Brünn

Die „Pressburger Zweckentfremdeten“ setzten ihre Inszenierung in Brünn fort, wo sie am 25. April im Rahmen des Theaterfestivals „Drehbühne“ erneut die Geschichte auf die Bühne brachten. Dabei traten neben den „Pressburger Zweckentfremdeten“ auch Theatergruppen aus Budweis, Leipzig und Pilsen auf. Und auch dort hallten die letzten Worte der Inszenierung nach – laut, klar und unmissverständlich:

„Ihr habt hier nichts gehört, was ihr nicht schon gehört habt.
Vielleicht habt ihr sogar genau das erwartet, was ihr gehört habt.
Vielleicht habt ihr eine andere Welt erwartet.
Aber diese Welt hier ist keine andere Welt.
Diese Bühne gehört zur Welt.
Sie ist unsere Welt.“

Lucia Vlčeková