Wenn Pizza mehr schafft als Politik

Von Göttingen nach Uppsala – Esther Philipps ist 25, studiert Evangelische Theologie und merkt im Erasmus-Semester, dass man sich in Schweden nicht nur sprachlich fremd fühlen kann. Ein Gespräch über Heimweh, Freundschaften – und die Frage, warum Politiker dringend mal Erasmus machen sollten.

Wenn man sagt: „Ich packe meine Sachen und gehe für ein Semester nach Schweden“ – ist das ein Sprung ins kalte Wasser oder eher ein bewusstes Abenteuer?

Für mich war es ein Abenteuer. Ich hatte vor zwei Jahren angefangen, Schwedisch zu lernen und fand die Sprache sofort faszinierend. Außerdem hat Uppsala einen sehr guten Ruf – und die Schwedische Kirche wollte ich auch unbedingt kennenlernen.

Wie war dann der Moment, als du wirklich mit Koffern am Bahnsteig gestanden bist?

Eher chaotisch als romantisch (lacht). Ich bin mit dem Zug gefahren und hatte viel zu viel Gepäck. Erst nach dem Packen habe ich gesehen, dass es überhaupt eine Begrenzung gibt. Aber neben diesem Stress war da vor allem Vorfreude.

Kein Moment, in dem du dachtest: „Was mache ich hier eigentlich?“

Nein. Ich wusste ja, dass ich nach Göttingen zurückkomme – zu denselben Leuten, ins gleiche Leben. Das macht es leichter.

Gab es schon etwas in Schweden, bei dem du einfach nur gedacht hast: Wow?

Ja, definitiv. Ich finde es wunderschön, wie nah man hier am Grünen ist. Alles wirkt stiller, weiter, klarer als in Deutschland. Ich gehe fast jeden Tag spazieren, das ist für mich fast schon eine Art Meditation.

Und jetzt ohne Filter – hast du dich schon einmal so richtig fremd gefühlt?

Als ich mit einer Gruppe unterwegs war, die konsequent Schwedisch gesprochen hat. Ich habe kaum ein Wort verstanden. Obwohl ich gesagt habe, dass mein Schwedisch nicht reicht, haben sie nicht gewechselt. Da habe ich mich schon ziemlich ausgeschlossen gefühlt.

Man sagt ja, Fremdsein spürt man nicht nur im Gespräch, sondern auch im Spiegel. Gab’s bei dir so einen Moment?

(lacht) Ja, das stimmt. Mir fällt oft auf, wie gestylt und elegant viele Schweden wirken. Und manchmal denke ich: Hier haben so viele Frauen diese langen, glänzenden Haare – vielleicht sollte ich meine auch mal wachsen lassen. Aber am Ende bleibe ich dann doch bei meinen kurzen Haaren.

Wenn du an den Alltag denkst, was ist anders als in Deutschland, vielleicht auch im Detail?

Es ist ruhiger hier. Weniger Stress, weniger Hektik. Selbst im Studium läuft vieles entspannter. In Deutschland wirkt alles getakteter, hier bleibt mehr Luft zum Atmen.

Wenn man im Ausland lebt, merkt man ja oft, was man zuhause plötzlich vermisst. Was war das bei dir?

Mein Wohnheim, mein Freundeskreis. Ich habe kein starkes Heimweh, aber ich spüre, dass ich das sehr viel mehr schätzen werde, wenn ich zurück bin.

Heimat – ein großes Wort. Ist das für dich eher ein Ort, ein Gefühl oder eine Gruppe von Menschen?

Für mich sind es Menschen. Ich bin oft umgezogen, habe auch ein Jahr in Frankreich gelebt. Ich finde mich schnell ein, wenn das Umfeld stimmt. Heimat ist weniger eine Postleitzahl als Zugehörigkeit. Und wenn man ausgeschlossen wird, ist es egal, wie schön der Ort ist – es fühlt sich dann nicht nach Heimat an.

In Uppsala gibt es die berühmten „Nations“ – studentische Clubs mit viel Tradition, halb Bar, halb Wohnzimmer, halb WG-Party. Wie hast du sie erlebt?

Ich finde sie sehr charmant. Es ist auch witzig, dass es historisch mal darum ging, Leute aus derselben Region zu treffen. Heute ist es ein bunter Treffpunkt. Ich finde es spannend, dass man da in alten Gebäuden sitzt und gleichzeitig Karaoke-Abende oder Pubquiz hat.

Wenn du dir so etwas in Deutschland vorstellst – sagen wir eine „Sachsen-Nation“ oder eine „Schwaben-Nation“ – was würde passieren?

(lacht) Ich glaube, das würde nicht funktionieren. In Deutschland hängen zu viele Klischees an den Regionen. Über die Schwaben macht man sich lustig, weil sie sparen und einen witzigen Dialekt haben, Ostdeutschland hat in manchen Köpfen einen schlechten Ruf… Ich kann mir schwer vorstellen, dass alle in einem Raum sitzen, Bier trinken und plötzlich so locker miteinander umgehen wie hier. Bei uns würde das wohl eher ein Wettbewerb in Vorurteilen werden.

Bleiben wir noch kurz beim Thema Gemeinschaft – aber in einem anderen Sinn: Du studierst Evangelische Theologie. Was hat dich an der Schwedischen Kirche überrascht?

Vor allem, wie modern sie ist. Sie haben sogar eine Instagram-Seite, über die man ständig mitbekommt, was läuft. Und sie engagieren sich stark – nicht nur im kirchlichen Rahmen, sondern auch gesellschaftlich. Hier in Uppsala haben sie etwa bei der Pride mitgemacht. Das fand ich beeindruckend.

Warum eigentlich Theologie – was hat dich an dieser Studienrichtung gereizt?

Es ist viel breiter, als man denkt. Natürlich geht es um Kirche, aber nicht nur. Man kann Sprachen lernen, Philosophie belegen, sich mit sozialen Fragen auseinandersetzen. Am Ende geht es darum, zu verstehen, wie Menschen miteinander umgehen – und wie wir uns gegenseitig unterstützen können.

Genau darum geht’s ja auch im Erasmus: Zehn Nationalitäten an einem Tisch, Pizza und Geschichten teilen. Wir erleben das ja gerade selbst – wir machen beide Erasmus in Uppsala und wohnen dort zusammen mit Leuten aus aller Welt. Fragst du dich nicht manchmal, warum das zwischen uns so leicht funktioniert und auf politischer Ebene so spektakulär scheitert?

Ja, total. Wir sitzen hier, essen, reden und es funktioniert. Und dann sehe ich im Fernsehen dieselben Flaggen in den Nachrichten, aber dort stehen sie sich mit Waffen gegenüber. Manchmal denke ich: Vielleicht sollten die Staatschefs einfach mal gezwungen werden, einen Erasmus-Abend mitzumachen. Ein Bier, eine Pizza, ein ehrliches Gespräch – und die Hälfte der Konflikte wäre vielleicht schon entschärft.

Glaubst du, dass Freundschaften – wie sie im Erasmus entstehen – tatsächlich etwas verändern können?

Zumindest machen sie Politik persönlicher. Während meines Freiwilligen Sozialen Jahres habe ich jemanden aus Myanmar kennengelernt. Als dort Unruhen ausbrachen, habe ich sofort an sie gedacht – und die Nachrichten ganz anders verfolgt. Politik bekommt plötzlich ein Gesicht.

Wenn du an unsere Generation denkst: Worin liegt für dich ihre Stärke?

In der Geschwindigkeit, mit der wir uns vernetzen. Wenn etwas passiert, verbreitet es sich sofort – und innerhalb weniger Tage stehen Menschen auf der Straße. Diese Energie macht mir Hoffnung.

Und wenn du dir vorstellst, selbst einmal alt zu sein – was ist dein Albtraum?

Nicht mehr mitzukommen. Ich habe Angst, dass ich technische Entwicklungen nicht mehr verstehe. Vielleicht stehe ich dann so da, wie manche Leute heute mit ihrem Smartphone – und Kinder erklären mir dann genervt, wie es geht.

Zum Schluss die wichtigste aller “Unerhört!”-Fragen: Pumpkin Spice Latte – ja oder nein?

Noch nie probiert. Aber bald – zusammen mit einer Freundin aus den USA.

Das Gespräch führte Lucia Vlčeková.