„In Kriegszeiten gibt es kaum richtige Entscheidungen“
Patrick Vosen war Kulturmanager des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) bei der Deutschen Jugend Transkarpatiens. Zu Beginn des Krieges war er noch in der Ukraine. Er erzählt uns von seiner Flucht, wie er auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland noch mit der Ukraine verbunden ist und wie er weiterhin den Menschen vor Ort hilft.
Du warst ja bis vor kurzem noch in Munkatsch/Mukatschewo in der Ukraine. Kannst du uns erzählen, wie die Situation vor dem Krieg war? Hast du erwartet, dass es zu dieser Invasion kommt?
Niemand von uns hat erwartet, dass diese Invasion passieren wird. Wir waren zwar alle angespannt, aber, dass es tatsächlich zum Krieg kommt, haben wir alle nicht erwartet. Ich war an diesem einen Donnerstagmorgen also sehr überrascht, als ich auf meinem Handy gesehen habe, wie viele Leute mich angerufen hatten. Und alle fragten mich, wann ich nach Hause kommen würde. Wir haben das alle nicht erwartet und waren schockiert.
Auch außerhalb der Ukraine waren wir natürlich sehr geschockt! Als du dann diese ersten Nachrichten über den Einmarsch der russischen Truppen gehört hast, was ging dir da durch den Kopf?
Ich habe sofort angefangen, Nachrichten zu lesen. Tatsächlich konnte ich es erst nicht glauben und wollte wissen, was überhaupt los war. Gleichzeitig habe ich direkt an meinen Besuch gedacht. Ich hatte zu der Zeit eine Freundin aus Kiew zu Besuch. Ihre Familie war immer noch in Kiew. Ich hatte am Tag davor noch gesagt, dass es keinen Krieg geben werde und dass sie sich keine Sorgen machen solle. Und dann war doch auf einmal Krieg. Ich musste dann tatsächlich in ihr Zimmer gehen und ihr sagen, was passiert war. Wir standen dann vor der Frage: Was macht man jetzt? Ich wurde dann auch sehr viel angerufen und viele Leute haben mir gesagt, dass ich jetzt nach Deutschland kommen solle und meine Familie hat sich auch Sorgen gemacht. All das war natürlich belastend. Wir haben versucht einzukaufen, um mit genug Lebensmittel und Wasser ausgestattet zu sein. Auf den Straßen war sehr viel los und es gab lange Schlangen vor den Geldaen. Es war schon eine ganz schwierige Situation.
Du hast dann am Ende das Land verlassen und bist ausgereist. Wie ist das abgelaufen und welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?
Die Ausreise war eine schwierige Entscheidung. Ich glaube, es gibt in Kriegszeiten kaum richtige Entscheidungen, die man treffen kann. Die Ukraine und vor allem Mukatschewo ist mein Zuhause geworden. Meine Freunde und Kollegen leben dort und man möchte natürlich niemanden zurücklassen und gleichzeitig habe ich nach zwei Tagen schon das Gefühl gehabt, dass ich kaum noch etwas machen kann. Da habe ich die Entscheidung getroffen, das Land zu verlassen. Meine Wohnung sollte genutzt werden, um Geflüchtete aufzunehmen. Das war mir wichtig. Ich bin dann mit einem anderen Deutschen ausgereist. Wir sind mit dem Taxi nach Uschgorod gefahren. Dort wollten wir erst mit dem Bus fahren, aber alle Tickets waren schon ausverkauft. Also sind wir mit dem Taxi direkt an die slowakische Grenze gefahren und von dort zu Fuß bis zum Grenzposten. Wir mussten dort ungefähr 10 Stunden warten, mit vor allem Frauen, Kindern und Babys. Ich habe großen Respekt vor allem für die Mütter mit den kleinen Kindern, die dort standen und die schwierige Entscheidung treffen mussten, ihre Ehemänner zurückzulassen, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Das ist auch jetzt noch ein schwieriges Thema für mich und ich muss diese Erlebnisse noch verarbeiten. Wir haben es dann aber letztlich geschafft und sind morgens über die Grenze gekommen. Dort wurden wir von slowakischen Freiwilligen mit Essen und Getränken begrüßt. Ein Fahrer hat uns bis nach Kaschau/Košice gefahren. Dort hatten Freunde mit Hilfe des KDVs ein Hotelzimmer gebucht und wir konnten endlich ein paar Stunden schlafen.
Das sind Szenen, die man wirklich niemandem wünscht! Ich bin jedenfalls sehr froh, dass du mittlerweile ausgereist und in Sicherheit bist. Du warst aber seitdem nicht untätig. Was hast du seit deiner Ausreise getan?
Über Umwege bin ich bei meiner Familie in Nordrhein-Westfalen angekommen. Zuhause hat sich meine Familie natürlich erstmal sehr gefreut und vor allem meine Mutter war beruhigt, dass ich in Sicherheit bin. Ich konnte dann aber nicht einfach Zuhause sitzen und nichts tun. Das ging für mich nicht! Ich weiß, dass meine Kolleginnen und Kollegen sehr viel zu tun haben. Es kommen sehr viele Binnenflüchtlinge nach Transkarpatien und brauchen Hilfe. Ich habe daher der Leiterin meiner Organisation eine Nachricht geschickt und gefragt, ob dort humanitäre Hilfe ankommt oder ob ich selbst kommen solle. Sie bat mich mit Hilfsgütern zu kommen und da habe ich sofort angefangen, Sachen zu bestellen und Spenden zu sammeln. Dabei habe ich Apotheken kontaktiert und über Freunde Spenden gesammelt. Alle waren sehr hilfsbereit und es kamen schnell Spenden zusammen. Es gab auch viele Medikamentenspenden und Sachspenden. Ich war tatsächlich nur einen ganzen Tag zu Hause und nach der zweiten Nacht bin ich schon wieder unterwegs gewesen zur ukrainischen Grenze. Es war für mich ganz wichtig, dass ich wusste, ich kann weiterhelfen! Ich bin wirklich beeindruckt von meinem Team in Mukatschewo, das rund um die Uhr arbeitet. Sie sind jeden Tag im Einsatz und nehmen humanitäre Hilfe an und verteilen sie weiter. Seitdem bin ich noch dreimal gefahren, also insgesamt war ich schon vier Mal an der Grenze – einmal auch mit Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen und des Karpatendeutschen Vereins. Das war sehr gut und vielen Dank auch dafür!
Es ist auf jeden Fall sehr beeindruckend, was du jetzt schon gemacht hast. Und wir freuen uns natürlich sehr, dass der KDV und das Institut für Auslandsbeziehungen helfen konnten! Du sagst, dass du noch viel Kontakt zu deinen Kolleginnen und Kollegen hast. Wie erlebt die deutsche Minderheit die Situation vor Ort? Was würdest du sagen, wie die Stimmung vor Ort ist?
Oh, das ist eine schwierige Frage! Die Stimmung bekommt man besser mit, wenn man selbst vor Ort ist. Aber tatsächlich gibt es nach meiner Einschätzung sehr viel Engagement in der Minderheit. Sie fungiert gerade als Netzwerk und als Vermittler von deutschen Hilfsspenden. Es kommen jetzt auch jeden Tag Spenden bei meiner Organisation an, die ohne das Netzwerk, das die deutsche Minderheit schon vorher geknüpft hat, nicht möglich gewesen wären. Was die Stimmung angeht, sie ist angespannt. Mittlerweile gibt es in Transkarpatien auch fast täglich Luftalarm und manchmal sogar mehrmals täglich. Das drückt natürlich auf die Psyche und die Menschen haben Angst. Deswegen habe ich auch großen Respekt vor meinen Kollegen vor Ort! Sie leisten Unglaubliches und ich bin froh, dass ich durch meine Hilfe sie ein wenig dabei unterstützen kann.
Was meinst du, wie können unsere Leserinnen und Leser helfen? Was brauchen die Menschen gerade vor Ort?
Also ich glaube, man kann auf zwei Arten helfen: Zum einen sollte man weiter mit Hilfsgütern wie Medikamenten, Taschenlampenbatterien oder Powerbanks unterstützen. Die Frage ist immer nur, wie kommen die Güter über die Grenze. Dafür sollte man dann Kontakt mit Organisationen aufnehmen, die schon Erfahrung haben. Zum anderen wird es aber auch immer wichtiger, dass man Geflüchtete aufnimmt. Viele Behörden sind momentan überlastet und selbst die sehr aktiven Freiwilligen sind überfordert. Es hilft daher sehr, wenn man Geflüchteten freien Wohnraum für eine gewisse Zeit zur Verfügung stellt. Aber auch wenn man Sprachkenntnisse in Englisch, Ukrainisch oder Russisch hat, kann man bei Behördengängen helfen und dort übersetzen. Die Kommunikation zwischen den Ämtern und den Geflüchteten funktioniert manchmal nicht so gut und da hilft jeder, der Zeit hat.
Danke, dass du Zeit für uns gefunden hast und vielen Dank für die Arbeit, die du den letzten Monat geleistet hast! Es ist wirklich keine Selbstverständlichkeit und ich hoffe, dass sich viele Menschen ein Beispiel an dir nehmen. Ich bedanke mich auch ganz herzlich für unser Gespräch und mach weiter mit dieser wichtigen Arbeit!
Ich bedanke mich auch für das Interesse und für Eure Hilfe für die Menschen in der Ukraine!
Das Gespräch führte Maximilian Rößler. Als ifa-Kulturmanager beim Karpatendeutschen Verein unterstützt er die Bei der Übergabe an der Grenze zur Ukraine.