Erinnern an Karl Kraus ist geboten
Im Karpatenblatt 2021 (Heft 9) konnte ich Karl Kraus, dem alten Schbaadlara (Schwedlerer) zu seinem 86. Geburtstag gratulieren: „Wer kennt ihn nicht? Unseren so liebenswürdigen Karl, der mit seiner Musik die Herzen der Kinder und Erwachsenen erfreut?“ Nun ist er nicht mehr unter uns. Worte des dankbaren Erinnerns und der Freude an den hochgeschätzten Freund sind gerade auch in der (Vor-)Weihnachtszeit geboten.
Nach dem Tod seines über 100-jährigen Vaters, den Karl Kraus zusammen mit Helfern bis zuletzt pflegte, zog er vor 12 Jahren aus seinem beliebten Elternhaus in Schwedler ins Seniorenheim nach Göllnitz, wo er am 29. Mai 2022 starb. Am 18. Juni wurde er im Rahmen einer Trauerfeier im Familiengrab in Schwedler beigesetzt.
Wenige Tage vor seinem Tod gab Karl Kraus der Diplomandin Zuzana Lambert im Seniorenheim ein Interview, das wir in ihrer Studie „Deutsche in Schwedler“ finden. Er berichtet von seinen Erlebnissen nach Kriegsende 1945: Auf dem Weg zurück in die Heimat wäre er mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern im tschechischen Pardubitz/Pardubice fast ums Leben gekommen. Die dortigen Bewohner zeigten die Familie an und schrien: „Da sind Deutsche!“ Karl Kraus sagte im Interview: „Es ruhte die Gnade Gottes auf ihnen, als ein Offizier alle fünf erschießen wollte“, denn die Schüsse hat er in den Himmel geschossen“. Und als die Familie endlich heimkehren konnte, fand sie ein ausgeraubtes Haus mit eingeschlagenen Fenstern vor. Diese Ereignisse mit den traumatischen Erlebnissen prägten sein Leben in Freud und Leid.
Karl Kraus hat als Ehrenpresbyter der Evangelischen Kirche in Schwedler die zweisprachige Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde Schwedler A. B. Schwedler (2003) mit viel Freude und Hingabe mitgestaltet. Er bereicherte die 2017 herausgegebene Monografie „Švedlár/Schwedler“ mit zahleichen Erinnerungen. Schließlich übersetzte er die Gedichte des Heimatdichters Franz Ratzenberger „Iba Pëag ond Tol“ (Über Berg und Tal) ins Slowakische. Bis 2019 begleitete Karl mit seiner Ziehharmonika die von Ladislaus Hamrak (1934-2020) begründete Musikgruppe „Die Freude“.
Bei den von der OG Schwedler gestalteten fünf Kultur- und Bildungsseminaren mit Kindern der Unterzips erzählte Karl Kraus tief bewegt und den Tränen nahe, was er und seine Familie nach der politischen Wende in Schwedler erlebt hatten. Das kann in der ZIPSER TRILOGIE III im Beitrag von Franz Richweis „Schicksale der daheimgebliebenen Karpatendeutschen am Beispiel Karl Kraus“ nachgelesen werden: Karl Kraus musste mit seiner Familie unermesslich viel erleiden und fand immer wieder die Kraft zum Leben in Freude. Sein Gottvertrauen, seine Bescheidenheit und sein musikalisches Talent wirken über die Zeit hinaus. Nicht nur ich erinnere mich sehr gerne an diesen Menschen, der seiner Mitwelt mit Bescheidenheit viel Menschlichkeit und Freude geschenkt hat.
Karl Kraus kann gerade in einer unsicheren, verängstigten und friedlosen Welt für Jung und Alt Beispiel sein und Orientierung geben: Er reifte durch tief empfundene Leiderfahrungen zur Menschlichkeit, zur (Weihnachts-)Freude am Leben.