Der Deutsche, der das gesamte Bahnnetz der Slowakei abfahren will
Till Menzer kommt aus Dresden und absolvierte vergangenes Semester einen Auslandsaufenthalt im tschechischen Brünn/Brno, wo wir ihn getroffen haben. Im Karpatenblatt-Gespräch berichtet er, wohin er beim Tschechisch-Lernen mit seinem Lieblingsverkehrsmittel fährt und welche Abenteuer er auch in der Slowakei erlebt.
Till, vielen Dank für deine Zeit. Du hast eine große Leidenschaft für die slawischen Sprachen, nicht nur die tschechische. Woher kommt das?
Das liegt wohl vor allem an der grenznahen Lage meiner Heimatstadt. Ausflüge nach Tschechien gehörten schon immer zu meinem Alltag, zusätzlich hat mich mein Vater da sehr geprägt. Abgesehen davon, dass mein längst verstorbener Großvater aus dem Sudetenland stammte, habe ich aber keine weiteren familiären Verbindungen zu der Region.
Wie findest du Tschechisch beziehungsweise Slowakisch?
Da ich in der Schule Russisch gelernt habe, war mir das grundlegende System der slawischen Sprachen schon vertraut. Erst mit Beginn des Studiums habe ich dann aber erstmals die Möglichkeit bekommen, richtig Tschechisch zu lernen. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich nur ein wenig Reisevokabular parat. Inzwischen fällt es mir zunehmend leichter, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Tschechisch und Slowakisch zu erkennen, auch wenn ich mit Letzterem ebenfalls nur durch das Reisen Kontakt habe.
Welche Hindernisse musstest du beim Lernen überwinden?
Zu den Hindernissen dieser Sprachen zählt für mich vor allem das Thema Aspekte der Verben, weil wir das im Deutschen eben gar nicht haben. Und im Gegensatz zum Russischen fällt es mir im Tschechischen beispielsweise oft schwerer, das Geschlecht eines Substantives auf Anhieb zu bestimmen, da es da bekanntlich eine Reihe von Ausnahmen gibt. Dass diese Problematik für Deutschlerner noch weitaus schwieriger ausfällt, ist mir natürlich bewusst! (Lachen)
Eine genauso große Leidenschaft – vielleicht sogar größer – hast du für Schienen. Wie kam es dazu?
Das kann ich weitaus kürzer machen: Die Leidenschaft für das Verkehrswesen habe ich wohl in Gänze von meinem Vater.
Du hast uns schon verraten, dass du zum Beispiel das Straßenbahnnetz von Preßburg/Bratislava fast auswendig kennst. Also eine Quizfrage: Wohin fährt die Linie 4?
Östlich von Zlaté piesky beziehungsweise vom Bahnhof Bratislava-Nové Mesto nach Karlova Ves im Westen der Stadt.
Mittlerweile fährt sie sogar nach Dúbravka im Westen, aber unglaublich! Du warst schon viele Male in der Slowakei. Wo gefällt es dir da eigentlich am meisten?
Das kann ich nur schwer eingrenzen, aber besonders in den Höhenlagen in der mittleren Slowakei. Da meine ich explizit nicht nur die Hohe Tatra, an die man als Deutscher immer als Erstes denkt. Sehr gern bin ich auch in der Niederen Tatra oder dem Slowakischen Paradies zum Wandern oder mit dem Zug unterwegs. An der Slowakei reizen mich generell vor allem die Gebirge, da es die in Tschechien eben in dieser Häufigkeit nicht gibt. Auch wenn das Eisenbahnnetz der Slowakei bei weitem nicht so dicht ist wie das tschechische, findet man doch andauernd spektakuläre Abschnitte und Stellen. Ich denke da zum Beispiel gerade an die bekannte Kehrschleife bei Telgárt oder die Strecken zwischen Altsohl/Zvolen und Vrútky über Kremnitz/Kremnica oder Hermanez/Harmanec. Da lohnt es sich einfach immer, einen Fensterplatz zu ergattern und die tolle Landschaft zu genießen. Am liebsten fahre ich mit älteren Zügen, wo man noch das Fenster öffnen und bei Frischluft hinausschauen kann, auch wenn es diese leider immer seltener gibt. Bis auf ein paar wenige Strecken habe ich über die Jahre fast das gesamte Eisenbahnnetz der Slowakei bereist und werde die „Netzkenntnis“ hoffentlich demnächst erreichen können. Was aber natürlich nicht heißt, dass ich danach nicht mehr in die Slowakei fahren werde!
Wow, wie schaffst du das? Machst du da viele kleinere Ausflüge oder größere Fahrten?
Das ist unterschiedlich. Bevor ich nach Brno gekommen bin, konnte ich die Slowakei natürlich nur im Rahmen von längeren Reisen besuchen, der großen Entfernung geschuldet. Aber einer der Vorzüge meines Auslandssemesters hier in Brno, den ich sehr genieße, ist auch, dass ich ohne Weiteres Tagesausflüge in die Slowakei machen kann. An einem Tag bin ich zum Beispiel einmal fast 700 Kilometer gefahren, das war schon recht extrem. Am liebsten starte ich dann früh ab Brno mit dem EuroCity nach Preßburg/Bratislava und gehe zum Frühstück in den tschechischen Speisewagen. Bei Kakao, Spiegelei und Honigkuchen startet es sich einfach am besten in den Tag. Nebenbei kann man gleich noch die aktuelle „Tagesplanung“ finalisieren. Aber auch Fahrten im slowakischen „reštauračný vozeň“ zwischen Bratislava und Kaschau/Košice sind immer ein Hochgenuss, was sowohl das Essen als auch die Landschaft draußen vor dem Fenster angeht.
In der Slowakei haben wir mehrere berühmte karpatendeutsche Regionen, das Hauerland und das Zipser Land beispielsweise. Hattest du mit diesen auf deinen Reisen schon Kontakt?
Ja, in der Zips war ich einmal vor vielen Jahren auf einer Urlaubsreise und die dort lebende deutschsprachige Minderheit ist mir bekannt.
Genau, es gibt den Karpatendeutschen Verein, das Karpatenblatt, mehrere Museen und die Karpatendeutsche Jugend. Hast du davon schon vor unserem Gespräch gehört?
Tatsächlich nicht. Ehrlich gesagt bin ich darauf erst durch den Kontakt zu dir aufmerksam geworden und habe mich dann einmal näher damit beschäftigt. Ich finde es sehr interessant, wie stark organisiert diese Minderheit in der Slowakei doch ist.
Das freut uns zu hören. Gibt es auch in deiner Heimat Organisationen, die sich um Nachkommen und die Bewahrung von Minderheiten mit anderer Sprache oder Kultur kümmern?
Am ehesten vergleichen kann ich das mit den Lausitzer Sorben, einer Minderheit, die in der Region zwischen Dresden und dem Dreiländereck Sachsen/Polen/Tschechien lebt. Die Sorben haben auch eine eigene Sprache, die mit dem Tschechischen verwandt ist und die die Kinder in der Schule lernen können. Außerdem gibt es dort sorbische Traditionsvereine, Bräuche oder eigene Rundfunkprogramme.
Das Wichtigste zum Schluss: Du hast dir vorgenommen, das gesamte Schienennetz der Slowakei abzufahren. Was fehlt dir noch und wann wirst du dieses Ziel erreichen?
So lange dauert das sicher nicht mehr. Momentan steht nur noch ein kurzer Abschnitt bei Trnava aus und dann gibt es in der Slowakei noch ein paar lokale Strecken, auf denen nur ab und zu touristische Saisonzüge fahren, wie nach Kalonda, Slavošovce oder Dobšiná. Diese Sonderfälle sind schwer zu bekommen, weil man vorher genau wissen muss, wann die passende Gelegenheit kommt.
Till, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg, nicht nur bei deinem Studium!
Das Gespräch führte Richard Jakeš.