Beitragsbild fürs Interview mit Dirk Dalberg.

Als deutscher Wissenschaftler in die Slowakei

Dr. phil. habil. Dirk Dalberg ist ein deutscher Politikwissenschaftler, der seit Anfang 2016 an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Preßburg/Bratislava tätig ist. Sein Weg in die Slowakei führte über eine Postdoc-Stelle in der tschechischen Stadt Pardubitz/Pardubice. Im Karpatenblatt-Gespräch erzählt er über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Deutschland und der Slowakei.

Wie unterscheidet sich die wissenschaftliche Arbeit in Deutschland und in der Slowakei?

Vielleicht ist das slowakische wissenschaftliche Umfeld doch ein bisschen schwieriger. Zunächst sind die Bibliotheken nicht so gut ausgestattet. Man muss nach Deutschland oder Österreich fahren, um ein bisschen bessere Forschungsliteratur zu bekommen. Die Ansprüche an die Forschungsergebnisse hier in der Slowakei sind sehr hoch, wobei der Rahmen, in dem wir arbeiten, nicht immer diesen Anforderungen entspricht. Um dies durch eine Sportmetapher auszudrücken: Wir sollen Champions League spielen, haben aber die Bedingungen der zweiten oder dritten Liga.

Weiterhin fällt mir auf, wie stark der Druck auch auf die einheimischen Wissenschaftler ist, in Fremdsprachen zu publizieren. Das ist für mich manchmal sogar ein bisschen befremdlich. Grundsätzlich ist daran natürlich nichts Schlimmes, die internationale Wissenschaftssprache ist nun einmal Englisch. Manchmal schlägt mir der Druck, auf Englisch publizieren zu müssen, aber doch ein bisschen auf den Magen. Ebenso, wie sehr das Slowakische teilweise geringgeschätzt wird. Im Allgemeinen bin ich aber hier sehr zufrieden, und zwar wegen der Forschungsfreiheiten, die ich habe, und wegen der Wertschätzung am Institut, an dem ich arbeite.

Wie wichtig ist es zum Verstehen des politischen Denkens, die Landessprache zu kennen?

Das ist natürlich überaus wichtig. Im Gegensatz zum Tschechischen werden die Werke slowakischer Denker und Autoren recht selten ins Englische oder Deutsche übersetzt. Wenn man aber tiefer in die Materie eindringen möchte, dann muss man auch Originaltexte lesen, die nicht übersetzt wurden. Viele Original-Texte sind jedoch interessanter als die Übersetzungen. Wer sich mit Texten aus dem 19. Jahrhundert oder der Zwischenkriegszeit etwa beschäftigt, ist praktisch komplett auf die Landessprache angewiesen.

Was wussten Sie über die Slowakei, bevor Sie hierhergekommen sind?

Meine gesamte wissenschaftliche Ausbildung habe ich in Deutschland absolviert. Die Slowakei war zwar damals nicht außerhalb meines Gesichtsfeldes, aber sie war ein bisschen weit weg. In dem Sinne war ich ein typischer Deutscher – ich wusste, dass die Slowakei existiert, aber ich habe sie nicht weiter wahrgenommen. Als ich nach Bratislava gekommen bin, habe ich festgestellt, dass ich aufgrund meiner „tschechischen Sozialisierung“ die slowakische und tschechoslowakische Geschichte durch das tschechische Prisma wahrgenommen habe. Nach meiner Ankunft habe ich mich glücklicherweise ziemlich schnell davon verabschieden können. Je länger man hier lebt, desto mehr fallen einem die Unterschiede zwischen Tschechien und der Slowakei auf. Es ist mir mittlerweile klar, dass die tschechoslowakische Geschichte nicht nur eine tschechische Geschichte ist, sondern eben auch eine slowakische Geschichte.

Wie hat sich Ihr Verständnis von der Slowakei geändert, seitdem Sie hier arbeiten?

Ich hatte ja ein gewisses Vorverständnis. Mit der Zeit bekommt man mit, wie das Land funktioniert und man gewöhnt sich daran, im Positiven wie im Negativen. Darüber hinaus wird es einfacher, die Unterschiede zwischen Tschechen und Slowaken zu verstehen. Eines möchte ich noch anmerken – meine Erfahrungen hier in der Slowakei sind größtenteils auf Bratislava bezogen. Der Gegensatz zwischen Bratislava und dem Rest des Landes ist mir in den letzten Jahren bewusst geworden. Das sind zwei unterschiedliche Welten.

Was hat Sie in den fast 9 Jahren an der Slowakei am meisten erstaunt?

Am meisten hat mich der Wohnungsmarkt erstaunt, der ist zumindest in Bratislava relativ hart. Wenn ich es korrekt verstehe, sind mehr als 90 Prozent aller Wohnungen im Privatbesitz. Es gibt hier wenige kommunale oder städtische Wohnungen. Man hat im Grunde genommen keine wirkliche Sicherheit mit den Mietverträgen. Das ist mir von Anfang an sehr negativ aufgefallen.

Wo wird die Slowakei Ihrer Meinung nach aus der deutschen Perspektive oft missverstanden?

Das Problem ist, dass die Slowakei oft nur als Name bekannt ist und selbst dann wird sie oft mit Slowenien verwechselt. Im Unterbewusstsein der Deutschen ist sie vorhanden – die Tatra und die Donau sind auf alle Fälle bekannt. Sonst ist das Land relativ unbekannt. In den Medien wird es vor allem dann erwähnt, wenn etwas Negatives passiert. Es gibt auch eine spezifische Unkenntnis der slowakischen Geschichte und der Lebensrealität, besonders in Hinsicht auf die Regionen, die nicht so hoch entwickelt sind wie Bratislava. Ich glaube, dass das Verständnis der Slowakei bei den Ostdeutschen aufgrund der gemeinsamen sozialistischen Vergangenheit doch ein bisschen größer ist.

Wo wird denn Deutschland aus der slowakischen Perspektive schlecht oder missverstanden?

Wofür es in der Slowakei meiner Meinung nach kein Verständnis gibt, ist die deutsche Asyl- und Migrationspolitik. Das stößt auf sehr großes Unverständnis. Das Thema wird mittlerweile auch in Deutschland sehr kritisch betrachtet, aber die Kritiker dieser Politik werden oft direkt in die rechte Ecke geschoben. Das zweite Beispiel ist für mich ein typisch deutsches Phänomen. Deutschland bildet sich oft ein, ein Vorbildland für die restliche Welt sein zu müssen, vor allem in moralischer Hinsicht. Gegenwärtig gilt dies vor allem für die Energiewende und die Asylpolitik.

Zum Schluss, welcher Ort in der Slowakei liegt Ihnen besonders am Herzen?

Da bin ich ja sehr auf Bratislava beschränkt. Was mir fehlt, wenn ich nicht in Bratislava bin, ist die Donau und die Fahrradtouren entlang des Flusses.

Das Gespräch führte Alan Laifer.