Die Magie der Gedichte: Wie in Einsiedel deutsche Literatur lebt
Es ist Samstagnachmittag. Der große pastellgelbe Saal des Hauses der Begegnung ist prall gefüllt. Auf einem langen mit Weinranken geschmückten Tisch ruhen Kürbisse und Trauben auf einer weißen Tischdecke, Kerzen flackern auf umgedrehten Weingläsern. Um den Tisch sitzen Menschen auf Holzstühlen und tauschen Neuigkeiten aus. Eine kleine lebensfrohe und literaturbegeisterte Dame begrüßt mich auf Deutsch mit mantakischer Färbung in Einsiedel an der Göllnitz.
In mehreren E-Mails hat mich Ilse Stupáková zum Literaturkränzchen eingeladen, einer Veranstaltung, bei der alle zwei Monate eine Gruppe Karpatendeutscher zusammenkommt, um einen Nachmittag lang in die Welt der deutschsprachigen Literatur abzutauchen. „Wir schauen immer, dass wir Autoren aussuchen, die in diesem Jahr gerade Geburtstag oder Todestag haben“, erzählt Ilse Stupáková. Manchmal bringen die Frauen aber auch einfach ihre Lieblingsbücher mit.
Seit 17 Jahren gibt es das Treffen mit Poesie und Prosa schon. Als im März 2000 Emme Czölder Vorsitzende der Ortsgruppe des Karpatendeutschen Vereins wurde, wollten sie etwas Neues organisieren und so kam die Idee für einen Nachmittag mit Büchern auf.
Eigentlich nur einmal pro Jahr geplant
Das Interesse war so groß, dass er bald schon einmal in zwei Monaten organisiert wurde. Was gelesen wird, sieht man auch auf den Tischen, die an der Seite des Raumes stehen. Dort liegen Bücher, die bereits besprochen wurden, neben Briefen und E-Mails bekannter Autoren. Denn die Mitglieder des Literaturkränzchens treffen sich nicht nur, um über deutsche Literatur und ihre Autoren zu sprechen, sondern sie treten auch mit Schriftstellern in Kontakt.
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Da liegen Briefe von dem deutschen Autoren Peter Prange, dem österreichischen Schriftsteller Dietmar Grieser, der deutschen Moderatorin Nina Ruge oder der erfolgreichen Krimiautorin Ingrid Noll. Frau Stupákovás absoluter Lieblingsautor ist aber Hermann Hesse. Bei meinem Besuch eröffnet das literarische Treffen das berührende Gedicht „Wenn du denkst, es geht nicht mehr“.
Mantakisch gepaart mit Hochdeutsch und Slowakisch
An diesem Nachmittag hören wir aber nicht nur klassische deutsche Gedichte, sondern auch der Klang mantakischer und slowakischer Texte erfüllt den Raum. Immer wieder steht eine andere Person auf und erzählt etwas über einen Autor, liest aus einem Buch oder gibt ein Gedicht wieder. Ich erfahre etwas über Heimatdichter Rudolf Göllner und höre sein Gedicht „Haajaknëtchen“, von dem ich nur einzelne Worte verstehe – ähnlich wie bei dem mantakischen Gedicht „De Ansiedla“ von Heimatdichter Adalbert Mehly (1891-1970). Das wird aber auf Hochdeutsch noch einmal vorgetragen.
Das Gespräch kommt auch auf so bekannte Persönlichkeiten wie die Schweizer Schriftstellerin Regina Ullmann oder den österreichischen Autor Robert Seethaler. Die vorgelesenen Textpassagen ergänzen Informationen zu ihrem Leben. Außerdem wird ein Auszug aus „Hühnersuppe für die Seele“ von Jack Canfield und Mark Victor Hansen vorgetragen. Und im Lutherjahr, darf auch der große Reformator nicht fehlen.
Die Zeit vergeht wie im Flug
Wir trinken Kaffee, essen Gebäck und Frau Stupáková erzählt, was sie in all den Jahren beim Literaturkränzchen schon erlebt hat. Sie zieht ein Notizbuch aus der Tasche, in dem sie die Besonderheiten eines jeden literarischen Treffens festgehalten hat. Es ist beeindruckend, wie viel Stoff so zusammengekommen ist, wie viele Bilder, Texte und Notizen das Büchlein füllen. Gegenüber der Seite für das heutige Literaturkränzchen ist etwas Platz frei. Frau Stupáková drückt mir einen Stift in die Hand und bittet mich erwartungsvoll etwas hineinzuschreiben.
Als ich sie frage, was ihr das Literaturkränzchen eigentlich gibt, antwortet sie: „Literatur und Gedichte haben einfach magische Kraft, sie helfen einem, sich über Wasser zu halten.“
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