Erinnerung darf nicht gestrichen werden
Wo Menschen leben, entsteht und wächst Kultur. Wenn Menschen kollektiv entwurzelt werden, bedarf es nachhaltiger Anstrengungen, um sowohl die entwurzelte Kultur am neuen Ort als auch die personell geschwächte Kultur am vorherigen Ort lebendig zu halten und in die Zukunft zu tragen. Das ist auch die Situation vieler vertriebener und heimatverbliebener Deutscher infolge der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands.
Aus meinen zahlreichen Begegnungen mit den Organisationen der Vertriebenen und Heimatverbliebenen weiß ich, wie anspruchsvoll es ist, die Kultur, Sprache und Identität in den Herkunftsländern lebendig zu halten und in die Zukunft zu tragen. Einige Momente, die bei den Minderheitenverbänden große Besorgnis hervorrufen, helfen sicherlich nicht in dieser bereits komplizierten Lage. Hier sind nur einige Beispiele aus jüngster Zeit.
Es wurde betont, dass sich die Bundesregierung ihrer historischen Verantwortung auch gegenüber den Angehörigen der deutschen Minderheiten besonders verpflichtet fühlt. Ein klares Bekenntnis zur Unterstützung der deutschen Minderheiten im Ausland war in den vergangenen Jahrzehnten auch immer im Koalitionsvertrag zu finden, in dem diese Formulierungen klar verankert waren. Erstmals wurden die deutschen Minderheiten jedoch im letzten Koalitionsvertrag vom 24. November 2021 nicht angesprochen. Es sei jedoch erwähnt, dass in einem Schreiben vom 17. Dezember 2021 der größten Koalitionspartei SPD an die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten mitgeteilt wurde, dass „Die Unterstützung der deutschen Minderheiten im Ausland ein wichtiges Anliegen für die SPD bleibt… Deshalb wollen wir die Unterstützung der deutschen Minderheiten in Europa und darüber hinaus weiterführen.“
Im Regierungsentwurf des Haushalts für das Jahr 2024 mussten wir feststellen, dass die Fördermittel für die deutschen Minderheiten in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa sowie in Zentralasien um 2,75 Millionen Euro gekürzt wurden, was einer Kürzung von 10,55 Prozent im Vergleich zu den Mitteln vom Jahr 2023 entspricht. Wir sind uns der aktuellen finanziellen Situation in Deutschland bewusst und haben volles Verständnis für die Sparmaßnahmen der Bundesregierung, jedoch sind wir der Meinung, dass diesmal bei den Schwächsten gespart wird. Es sei jedoch erwähnt, dass uns versichert wurde, dass die Fördersumme, die jede deutsche Minderheit bei den Jahresplanungskonferenzen mit dem BMI für das Jahr 2024 abgestimmt hat, grundsätzlich erhalten bleibt.
Die deutschen Minderheiten hatten immer einen verlässlichen Partner in der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Ihre kulturelle Arbeit war grenzüberschreitend, mit ihren Fachtagungen und Vernetzungsformaten konnten sie kulturelle Brücken zwischen Deutschland und den Heimatländern der Vertriebenen bauen. Die vorgesehene Kürzung oder sogar Einstellung der Förderung der Kulturstiftung wäre ein Schlag für zahlreiche Initiativen in diesem Bereich.
Aber es geht nicht immer nur um die Streichung von Finanzen. Ebenso schmerzhaft ist die Streichung eines Wortes: Im September 2023 kam es zur Namensänderung des „Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ (BKGE) in „Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa“. Das Wort „der Deutschen“, das auf die nationale Identität Bezug nimmt, wurde gestrichen. Dies ist ein deutliches Zeichen für die Missachtung der deutschen Geschichte und Kultur in Osteuropa. Haben sich die Initiatoren der Umbenennung darüber Gedanken gemacht, welche Auswirkungen die Streichung dieses Wortes auf die Vertriebenen und Angehörigen der deutschen Minderheiten haben wird? Diese Erinnerung darf nicht einfach gestrichen werden.
Hier können Sie auch die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten zur Umbenennung des BKGE lesen.
Ondrej Pöss