Franzls Christbaum
Das Buch „Vom Strudel erfasst – ein heimatliches Lesebuch“ von Ludwig Wohland hat 1985 der Hilfsbund Karpatendeutscher Katholiken herausgegeben. Es steckt voller schöner und spannender Geschichten, eine davon ist die von Franzls Christbaum.
Soweit Franzl zurückdenken konnte, hatte der Vater den Christbaum jedes Jahr kurz vor Weihnachten selbst aus dem Wald geholt. Eine richtige, schön gewachsene Tanne. In diesem Jahr hatte nun der Vater gefragt: „Was ist, Bub, hast du nicht Lust mitzukommen, wenn ich den Christbaum hole?“ Franzl war gleich Feuer und Flamme, aber die Mutter hatte hunderterlei Bedenken. Der weite Weg, der viele Schnee, die Kälte, und ob der Bub überhaupt durchhalten würde? Der Vater wollte nicht zu weit gehen – bis zum „Schusterberg“. Da hoffte er, ein passendes Bäumchen zu finden. Franzl fühlte sich mit seinen zehn Jahren den Anforderungen durchaus gewachsen, hatte er doch im Sommer den weiten Weg in den Wald schon öfter gemacht. Er war guten Mutes. Am nächsten Morgen erfolgte gleich nach dem Frühstück der Aufbruch – von Mutter vorsorglich eingepackt, mit Schal und Mütze gegen Kälte geschützt und in den Stiefeln dicke Strümpfe, die die Füße warm halten sollten. Auch der große Schlitten stand bereit, mit dem sie den Baum heimbringen wollten. Da es in den letzten Tagen nicht geschneit hatte, war der Schnee zusammengesackt, fest und gut begehbar.
So ausgerüstet stapfte er wohlgemut hinaus ins weite, weiße Feld. Bis zum „Loshöbl“ ging es auch ganz flott, aber dann wurden die Beine doch schwerer und schwerer, die Schritte langsamer und langsamer. Längst hatte er die dicke Jacke aufgeknöpft und den Schal gelockert, so warm war es ihm geworden.
Am „Staahöbl“ blieb Franzl an der mächtigen Steinmauer stehen, um sich auszuruhen, tat aber als hätte er nur Interesse an den vielen Steinen, die zu langen Mauern aufgeschichtet, jetzt ganz mit Schnee bedeckt waren.
Der Vater durchschaute den Schelm, machte das Spiel aber mit und stützte sich auch auf den in vielen Jahren aufgetürmten Wall. Franzl wusste, dass all die Steine aus den Äckern gehoben werden mussten, denn auch er war im Frühjahr schon hinter dem Pflug hergegangen und hatte solche geklaubt. Dabei hatte er auch die Mutter gefragt, wie es wohl komme, dass jedes Jahr wieder Steine im Acker lägen, obwohl sie doch im Jahr zuvor alle herausgeholt worden waren.
„Die müssen wohl wachsen“, hatte die Mutter gemeint, „sonst wären nicht immer wieder neue da. Sie nehmen wohl nie ein Ende.“ Dabei hatte sie wie anklagend zu den Mauern hinüber gedeutet. Ja, der „Staahöbl“ hatte es schon in sich.
Nach der kurzen Rast ging es wieder leichter vorwärts. Obwohl der „Schusterberg“ in der klaren Luft zum Greifen nahe schien, wartete noch ein hartes Stück Weg auf sie.
Am Ziel war die Müdigkeit jedoch vergessen. Franzl gefielen alle Bäumchen und er hätte am liebsten gleich mit dem Fällen begonnen. Der Vater war bedächtiger. „Lass uns erst noch ein Weilchen suchen, vielleicht finden wir ein noch schöneres.“
So wurde noch manches Bäumchen vom Schnee befreit, fachmännisch begutachtet und kritisch geprüft. Sobald die Wahl feststand, holte der Vater das Beil hervor und es ging ans Fällen. „Nun“, meinte er nach getaner Arbeit, „haben wir wohl eine Pause und eine Stärkung verdient.“ In einem nahe gelegenen Feldstall fanden sie Sitzgelegenheiten und waren im Trockenen. Aus der mitgebrachten Tasche zauberte der Vater eine große „Stängelwurst“ und Brot hervor, und bald kauten beide mit vollen Backen. „Ein kräftiger Schluck Prampei wäre jetzt nicht übel“, dachte der Vater. „Er würde zur Wurst passen und obendrein schön wärmen.“ Des Buben wegen aber hatte er die Flasche erst gar nicht mitgenommen.
Nach der Mahlzeit wollte Franzl seinen Christbaum auch selbst nach Hause schaffen. So wurde das gute Stück auf dem Schlitten festgebunden und wenn auch der Wipfel im Schnee schleifte, verlief der Heimweg mühelos und schneller als der Aufstieg am Morgen.
Daheim verlangte zunächst der leere Magen nach seinem Recht. Der lange Weg und die frische Luft hatten für einen gesunden Appetit gesorgt, so dass das verspätete Mittagessen mit einem wahren Heißhunger verzehrt wurde.
Aber dann überkam Franzl eine wohlige Müdigkeit, er streckte sich auf die Bank in der Küche und war bald eingeschlafen. Der Vater machte unterdessen den Baum für die Stube zurecht. Er verkürzte ihn zunächst auf die erforderliche Höhe und setzte dann überall dort zusätzliche Äste ein, wo die Natur Lücken gelassen hatte. Als Franzl aufwachte, stand das Prachtstück bereits in der guten Stube. Bis zur Decke reichte er. Der Bub konnte ihn nicht genug bewundern. Ihm deuchte, es wäre der schönste Baum, den er je gesehen hatte. Sein Baum! Er hatte ihn ja aus dem Wald geholt.