Gedanken, Gedenken und Verweise
So viele aufeinander prallende Ereignisse geschichtlicher und gegenwärtiger Art bringen einen zum Nachdenken. Die Rede ist von Ostern einerseits und dem tragischen Brand des Sinnbildes europäischer christlicher Tradition – der Kathedrale Notre-Dame – andererseits. Zugleich wird immer lauter das Pochen ans Tor der Zeit hinsichtlich des Jubiläums des Endes des Zweiten Weltkrieges, das als Zeichen des Neuanfangs zu verstehen ist.
Leistungen des geistigen Schaffens sind statistisch schwerer fassbar als solche materieller Art. Und trotzdem sind sie wirksam. Für Zeitungen zu schreiben gehört zum Beispiel dazu.
Es ist oft genug davon gesprochen worden, dass die Völker Europas nicht nur an ihr traditionelles vom Christentum stark geprägtes Gedankengut erinnern, sondern zugleich an jahrhundertealte Kultur, die sowohl verteidigt als auch neugestaltet werden muss.
Das Christentum ist eben keine passive Religion, sondern ein dynamischer Prozess des Entdeckens und Erfüllens.
Grausames Mahnmal des Schreckens
Die brennende und lodernde Kathedrale Notre-Dame in Paris ist ein grausames Mahnmal des Schreckens. Solche Ohrfeigen physischer Art rütteln jedoch alle traditionellen und grundlegenden Kräfte wach, wobei sich ein vernünftiges Vermischen von neuem und traditionellem Gedankengut anbahnt und zusammenwächst, so dass Europa sicherlich nicht aus den Fugen fliegen wird.
Der ungeheure wirtschaftliche und soziale Aufstieg Europas seit 1945 hatte auch seine geistigen Ursachen. Er ging aus von einer im Weltanschaulichen begründeten seelischen Umgestaltung der Bewohner des freigebliebenen Teils unseres Kontinents, nämlich seines Empfindens und damit geprägtem Handeln, wodurch die freie Welt in eine Bahn gelenkt wurde, die uns erst diese bis dahin noch nicht dagewesene Entfaltung auch einzelner nationaler Kräfte gestattete. Dies folgte Schritt für Schritt und Hand in Hand in einem stets enger werdenden und fortdauernden Kooperationsvorgang einzelner Völker und Menschen des alten Kontinents. Und war eine Hoffnungsfackel für die Europäer hinterm Eisernen Vorhang, der schließlich mit dem Niederreißen der Berliner Mauer auch dieser üblen Unfreiheitsepoche ein Ende setzte. Nur ein kurzsichtiger Beobachter ohne Geschichtssinn kann diese Zusammenhänge übersehen.
Man drehe die Sache, wie man will, es wird immer wieder die Erkenntnis hervorspringen, dass der Brand in Paris Sinnbild für den Gipfel eines beispiellosen Krisenbündels ist, das für alle Beteiligten und sogar Nichtbeteiligten das Rätsel aller Rätsel ist und es deshalb in der Hauptsache darauf ankommt, ihm mit der Bestimmtheit des Charakters und der Festigkeit des Herzens entgegenzutreten, um zur rettenden Umformung von Werten zu gelangen.
Glaubensfähigkeit in Krisen
Es kommt hier darauf an, ein möglichst klares Bild der allgemeinen Lage zu vermitteln. Die Glaubensfähigkeit eines jeden Menschen löst ungeheure seelische und auch materielle Kräfte aus. Und es ist deshalb ein großer Irrtum anzunehmen, man könne in Krisensituationen ohne sie auskommen, da sowieso nur Geld und Macht das entscheidende Wort sprächen.
Wir haben im geschichtlichen wie auch gegenwärtigen Lebensringen Leute und Gemeinschaften zusammenbrechen sehen, die zwar Geld und Macht in Hülle und Fülle besaßen, aber nicht über die Kraft der Herzen verfügten, die ihnen den Gebrauch der Waffen als notwendig und unabweisbar erscheinen ließ.
Andererseits gab es in weit oder nah zurückliegender Zeit auch Zielsetzungen reformatorischer Art, wovon die Geschichte aus allen Ecken und Wänden klare Beweise liefert.
Also was gehört dazu?
Nun: Mut, Charakter, Zivilcourage und tiefste Einsicht in geschichtliche Gegebenheiten und Möglichkeiten. Es kommt darauf an, wie man seinen konkreten Beitrag leisten kann, indem man die Gegebenheiten und Möglichkeiten erkennt und mit entsprechender Zivilcourage auch in Wort und Schrift entsprechenden Ausdruck gibt.
Hier will etwas angeführt, erkannt und tatsächlich auch neu erlernt werden. Das wurde am Beispiel der folgenden Worte des Dichterfürsten der Unterzipser Heimat, des Pfarrers Franz Ratzenberger, die im Karpatenblatt vom März 2019 zum Vorschein kamen, vorgestellt und bewusst gemacht:
„O unsere Väter waren ja Leute
Gar fest in Glauben wie Eisen.
Wollten doch wir alle, alle heute,
den gleichen Mut beweisen!
Dann würde es anders um uns stehen,
Wir hätten Glück und Segen,
Nicht bräuchten wir durchs Leben gehen
Auf holprigen steinigen Wegen!“
Und wie der Verfasser dieses Artikels, unser Schwedler Landsmann Prof. Dr. Ferdinand Klein am Ende eine hervorragende Schlussfolgerung, aber auch eine hohe Anzahl aufgeworfener Fragen hergibt, indem er klar und deutlich schreibt: „Verlangt die Pflege der Erinnerungskultur das Wahrnehmen und Meditieren dieser Worte, ebenso eine erweiterte und vertiefte aktuelle Interpretation dieser Kunst.“
Ich glaube, dass dadurch vieles angedeutet worden ist: Interpretation heißt nämlich auch Inhalt dieser in Worte gefassten Wahrheiten neu ins Leben umzusetzen. Dies ist der Verweis unserer Vorfahren, der vom Verfasser des angeführten Artikels wiederum so kernig und vielsagend uns alle auf unsere Aufgaben freundlich aber klar und deutlich ermahnt.
Oswald Lipták
Schwedler