Gedenken an Aurélia Krupicerová
Am 8. Juni vor 100 Jahren wurde Aurélia Madarász geboren. Sie war eine gute Freundin von mir und deswegen möchte ich gemeinsam mit Ihnen an sie erinnern. Sie war eine Dame, bei der man das Gefühl hatte, dass die Zeit für einen Moment stehen bleibt, wenn man sie traf.
Sie brachte uns ins 19. Jahrhundert der berühmten Österreichisch-Ungarischen Monarchie, in die Gesellschaft Intellektueller bei edlen Abendessen, bei denen die Etikette genau die Regeln für das alltägliche Leben bestimmt hatte.
Wie begann diese Freundschaft eines jungen Teenagers und einer netten Dame, die mir einen Blick in ihre Privatsphäre ermöglichte und ein Fenster in die Geschichte einer bedeutenden evangelischen Familie vermittelte? Das Ehepaar Krupicer lebte in der Straße Banícka ulica Nr. 16. Als kleiner Junge habe ich vor allem Herrn Ladislav Krupicer wahrgenommen. In seinem Gesicht strahlte immer ein freundliches Lächeln. Sein Schnauzbart war stets gepflegt und sein Bart rief den Eindruck von Ehrwürdigkeit und reicher Lebenserfahrungen hervor. Dazu ein Hut, eine Holzpfeife und ein Gehstock, die zu seinen alltäglichen Dingen dazu gehörten. Ich weiß nicht warum, aber das Charisma dieses älteren Herren hat in mir immer Aufmerksamkeit und Neugier hervorgerufen, auf die Herr Krupicer mit lieblichen Gesprächen antwortete.
Erst später, nach seinem Tod habe ich erfahren, dass er als Professor an der Mittelschule tätig war und in seiner Freizeit wunderschöne Werke in seinem Atelier geschaffen hat. Er malte Bilder und kreierte Plastiken, in denen er auch ein Stück von sich selbst hinterlassen hat.
Nach dem Tod von Herrn Krupicer habe ich angefangen, mit seiner Frau Aurélia Freundschaft zu schließen. Ich werde nie die wertvollen Besuche bei ihr vergessen, die interessanten Gespräche auf Deutsch über die neuzeitliche Geschichte oder Persönlichkeiten bei Spaziergängen auf dem Friedhof, über die Schriftsteller Goethe und Schiller, den jüdischen Talmud, klassische Musik, aber auch über gewöhnliche Menschen und das Leben in Kojšov.
Frau Aurélia hat an mir immer bewundert, dass ich als slowakischer Junge es geschafft habe, so tadellos Deutsch zu lernen, die Grammatik richtig zu beherrschen und eine schöne Aussprache hatte. Öfter haben wir auch über geistliche Themen und Geschichte gesprochen, über den deutschen evangelischen Chor in Zipser Neudorf – damals noch vor dem Krieg.
Sie hat sich an ihren Vater erinnert, der als kirchlicher Funktionär und als Schatzmeister mit einer edlen, schönen Schrift Rechnungsbücher führte. Gerne haben wir gemeinsam biblische Texte besprochen und Reflexionen zum Nachdenken für jeden Tag aus dem Kalender „Gute Saat“. Ihr Internet war das mehrbändige Brockhaus-Lexikon, in dem wir häufig gemeinsam geblättert haben. Einmal hat mich Frau Aurélia in ein altes Haus an der Ecke der Hanulova Straße mitgenommen, wo sie ihre Kindheit und Jugendjahre verbrachte. Als Andenken hat sie mir eine Holzpfeife, einen österreichischen Zylinder und ein evangelisches Gesangsbuch aus dem Jahr 1827 mit den Initialen Carl Therns geschenkt.
In ihrer Wohnung in der Banícka ulica war der Geist vergangener, ruhmvoller Zeiten zu spüren. An den Wänden hingen alle gemalten Porträts von Familienmitgliedern, eine Wand zierte eine Bibliothek mit deutschen, ungarischen und slowakischen Büchern. Über dem Tisch im Wohnzimmer lag eine Tischdecke, die wahrscheinlich schon damals 100 Jahre alt war. Ich habe sie aufmerksam angeschaut, ihre Qualität untersucht und über ihren historischen Wert nachgedacht. Damals hat Frau Aurélia mir gesagt, dass ich der Erste sei, dem die Tischdecke überhaupt aufgefallen sei.
Nicht nur einmal hat sie mit einem Lächeln im Gesicht gemeint, dass ich in einer anderen Zeit hätte geboren werden sollen, zum Beispiel im Jahr 1830, wie ihr Großvater. Gemeinsam haben wir auch ihren Familienstammbaum angeschaut, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreichte und sie hat mir interessante Geschichten aus dem Leben der Personen erzählt, die durch die Namen und Daten auf dem Stammbaum ergänzt wurden.
Frau Aurélia war eine Frau, die sich bei unseren Treffen nie über ihren Gesundheitszustand oder Krankheiten beschwert hat. Doch sie war sich bewusst, dass die Generation ihrer Zeitgenossen nach und nach verschwindet und sie in der postmodernen Gesellschaft des 21. Jahrhundert langsam alleine bleibt. Oft hat sie an Professor Andrej Reiprich erinnert, der sich der Schmetterlingsforschung gewidmet hat. Sie hat sich über ihre Familie gefreut, ihre zwei Söhne, die sie regelmäßig besucht haben, die Enkel und Urenkel, die als weitere Triebe des Stammbaumes das Vermächtnis des Familie Madarász an weitere Generationen weitergeben werden. Das Buch ihres Lebens schloss sich am 20. August 2016 auf der 99. Seite.
Liebe Frau Aurélia Krupicerová, ich danke Ihnen dafür, dass Sie mein Leben bereichert haben. Wir hatten immer etwas zu besprechen und jedes Treffen mit Ihnen war für mich eine lebendige Berührung mit der Vergangenheit.
Mgr. Vladimír Andraš
OG Zipser Neudorf