Neue Publikation „Vertriebene in SBZ und DDR“
Das Schicksal der Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR ist bislang wenig erforscht. Die Beiträge des neuen Bandes „Vertriebene in SBZ und DDR“ von Hartmut Koschyk (Hg.), ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär und Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten a.D., und Dr. Vincent Regente (Hg.), Leiter der Abteilung EU & Europa der Deutschen Gesellschaft e. V. in Berlin, nehmen das Thema in seinem ostmitteleuropäischen Kontext in den Blick.
Die Herausgabe dieses Bandes wurde von der Deutschen Gesellschaft e. V., der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat unterstützt. Besondere Beachtung erfährt dabei die Resilienz der Vertriebenen und ihrer Erinnerungen gegenüber der SED-Geschichtspolitik.
Es geht um den „Umsiedler“-Diskurs in Staat, Kultur und Gesellschaft, um die Behandlung des Themas in der Politik, aber auch um die Verarbeitung in Literatur und Film. Erweitert wird die Perspektive um das Schicksal der Heimatverbliebenen in der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakei sowie um gegenwärtige Fragen der Erinnerungskultur, der Integrationspolitik und der deutsch-polnischen Verständigung nach 1989.
Online-Präsentation des Buches
Am 16. Juni wurde der Band „Vertriebene in SBZ und DDR“ in einem Live-Stream aus dem Berliner Büro der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben den beiden Herausgebern Hartmut Koschyk und Dr. Vincent Regente nahmen auch Reinfried Vogler, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung, Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung, Dr. Stefan Donth, Leiter Zeitzeugenarchiv der Stiftung „Gedenkstätte Hohenschönhausen“ und die Zeitzeugin Herta Mahlo daran teil. Moderiert wurde die Buchvorstellung von Maria Ossowski, Kulturkorrespondentin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb).
Die Buchvorstellung wurde auch auf YouTube übertragen. Hier kann man sie sich in voller Länge anschauen.
In seinem Impulsvortrag unterstrich der online zugeschaltete Dr. Stefan Donth: „Die Eingliederung der Vertriebenen war eine der wichtigsten Aufgaben, vor denen das geteilte Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand.“ Dieser Prozess sei jedoch noch immer nur sehr unzureichend erforscht, gerade in den politisch unterschiedlichen Ausprägungen in Ost und West. Noch habe man die Möglichkeit, mit Zeitzeugen zu sprechen und das in Archiven erworbene Wissen mit den persönlichen Eindrücken der Betroffenen zu vergleichen. Die Geschichte der DDR könne nur erfasst werden, wenn man sich mit den etwa vier Millionen Vertriebenen befasst, die nach dem Krieg zunächst dort Zuflucht gefunden haben.
Im anschließenden Gespräch sagte Hartmut Koschyk, die Tabuisierung der Flucht und Vertreibung in der DDR habe es besonders erschwert, den Heimatverlust und die Traumata der Flucht und Vertreibung aufzuarbeiten. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesem Thema Raum geben durch Zeitzeugengespräche, durch zeitgeschichtliche Forschung, durch Veranstaltungen, durch Ausstellungen und auch ein solches Buch“, fügte er hinzu.
Die Gruppe der Vertriebenen, die in der SBZ und DDR offiziell „Umsiedler“ hießen, habe bei der propagandistischen Aufbau-Rhetorik gestört, erklärte Dr. Vincent Regente. Die auch darum betriebene Tabuisierung habe jedoch wiederum dazu geführt, dass sich die Traumata der Vertriebenen verstärkt hätten. Enteignungen durch Bodenreform und Kollektivierung hätten diesen Prozess noch verschlimmert. Dass von etwa vier Millionen Vertriebenen in der frühen DDR ungefähr 900.000 noch vor dem Mauerbau das Land in den Westen verließen, sei eine Folge dieser Politik.
Zeitzeugin im Gespräch
In der DDR geblieben war Herta Mahlo, die als 13-jähriges Mädchen mit ihren Geschwistern aus dem heutigen Polen vertrieben worden war. Die Aufnahme durch die Einheimischen im thüringischen Sonneberg sei damals nicht von Verständnis, sondern von Zorn geprägt gewesen, beschrieb die Zeitzeugin die Ereignisse. Erst mit der Zeit habe sie gute Menschen getroffen, die ihr ein Zuhause boten. Sie habe Jahre später, nach Besuchen in ihrer alten Heimat, den Entschluss gefasst, sich für die Versöhnung einzusetzen. Sie lernte Polnisch, wurde Dolmetscherin und brachte die Menschen einander näher. Mittlerweile wurde Frau Mahlo vielfach für ihren Einsatz geehrt und ist auch heute noch sehr aktiv in diesem Bereich.
Thomas Konhäuser verwies darauf, dass die einzigartigen Erfahrungen, die die Vertriebenen im Osten Deutschlands gemacht hatten, nicht etwa dazu führten, dass sie ihre Geschichte vergaßen. Nach der Wende sei der Wunsch nach Treffen, Veranstaltungen und sogar der Eröffnung von Heimatmuseen sehr groß gewesen. Noch heute seien Einrichtungen wie das „Das Wolhynier-Umsiedlermuseum“ in Linstow in Mecklenburg-Vorpommern ein Erinnerungsort nicht nur für Wolyniendeutsche, sondern auch für Interessierte aus allen Landesteilen Deutschlands und aus dem Ausland.
Der Band „Vertriebene in SBZ und DDR“ zeigt die besonderen Aspekte des Lebens der „Umsiedler“ auf, folgt den Diskursen damals und heute und geht auch auf die heutige Bedeutung der Vertriebenenproblematik ein. Zudem gibt er Einblick in die Lage der heimatverbliebenen Deutschen in Polen und der damaligen Tschechoslowakei.
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen/Red