Unser Reifen in und nach der Corona-Zeit
Die Geschichte bietet kein einziges Beispiel dafür, dass sich eine Krise ohne tiefe Schnittpunkte abgespielt hätte. Das gehört als vielleicht wichtigster Faktor der Steigerung und Beschleunigung zum Drama, nicht nur auf der Theaterbühne, sondern auch im Lebensdrama eines jeden.
Solche Schnittpunkte haben die Funktion, die Ausdauer und Widerstandsfähigkeit der handelnden Personen an den Ereignissen zu erproben, um sie dann erst zu den Höhen des historischen Erfolges zu führen. Jedwede Leistung geht unsterblich in die Geschichte ein, die nicht nur unter einem ungeheuren Aufwand an Menschen, Geld und materiellen Mitteln, sondern auch an Belastungen, Sorgen und Gefahren vollbracht wurde. Dies gilt in dieser Corona-Krise deutlicher denn je.
Noch nicht über den Berg
Wir sind eben noch nicht über den Berg. Je mehr auch wir Karpatendeutsche überzeugt bleiben, in diesem Corona-Kampf einen heilenden Prozess der Bewahrung und Bewährung von höchsten Werten zu führen, umso stärker wird auch unsere Kraft sein, ihn bis zu seinem segensreichen Ende durchzustehen. Den Werten gegenüber, die wir Karpatendeutsche Jahrhunderte mit uns tragen und die wir erhalten und entfalten wollen, wiegen die Lasten nicht allzu schwer. Federleicht aber erscheinen sie den Opfern gegenüber, die uns abgefordert werden würden, wenn wir in diesem Kampf schmählich versagen würden.
Reinigende macht der Wahrheit
Nichts ist im Lebenskampf verhängnisvoller als Selbsttäuschung. Je eindeutiger und ungeschminkter sich das Bild der allgemeinen Lage abzeichnet, umso besser für die Verantwortlichen. Die Krise ist der Weg zur Klarheit. Sie scheidet das Echte vom Trügerischen. Sie ist deshalb mehr eine Prüfung als eine Entscheidung. Es kommt nur darauf an, was man aus ihr macht. So groß die Strecke sein mag, die wir schon hinter uns gebracht haben, es liegt noch ein steiles Stück Weg vor uns.
Vor unseren Augen erscheint die Vision wogender Getreidefelder, grünender Gründen, rauschender Wälder, ruhig qualmender Schornsteine unserer Häuser und Fabriken, endlich wieder vom Leben beseelter florierender Städte und gemütlicher schmucker Landschaften, vor allem in Fried´ und Glückseligkeit miteinander lebender gesunder und glücklicher Menschen. Das alles wird einmal auch wieder die Heimat eines von Corona befreiten Europas sein.
Niemals in der Nachkriegsgeschichte unserer Volksgruppe hat eine Generation plötzlich und unerwartet auf einmal eine so große Last und so viele Anforderungen auf sich nehmen und meistern müssen wie die gegenwärtige. Es liegt an uns, ob wir am Ziel auch sagen können, dass niemals eine so viel hinzugelernt hat wie wir.
Wahre Geschichtsbeispiele
Es ist natürlich billig, auf geschichtliche Beispiele zu verweisen, um die eigene Zeit zu erklären. Die Vergleiche hinken, weil die Ursprünge der Ereignisse und ihre Umstände meistens gänzlich verschieden sind. Das ist aber nicht das Ausschlaggebende. Wenn die Geschichte sich auch nicht in den Ereignissen wiederholen mag, so wiederholt sie sich doch in den menschlichen Krisen und Konflikten. Es sind immer dieselben seelischen und charakterlichen Triebkräfte, mit denen man ihrer Herr zu werden versucht.
Aufgaben und Prüfungen der Neuzeit
In der heutigen Zeit der Globalisierung werden wir alle denselben Prüfungen des Schicksals unterworfen und müssen sie auf dieselbe Weise bestehen, wenn wir ihnen nicht erliegen wollen.
Vielen Menschen fehlt heute der innere, geistige Abstand zur Corona-Zeit, um sie neben ihrer aktuellen Bewältigung auch historisch zu sehen und zu werten. Das ist natürlich, angesichts der Sorgen und Entbehrungen. Das darf aber für die Verantwortlichen keineswegs ein Grund sein, deshalb den eingeschlagenen Weg nicht weiter zu beschreiten und dabei richtig geschichtsträchtig zu gestalten.
Die immer währende Sichtweise
Die meisten Menschen, die in dieser Corona-Krise und ihren Auswirkungen Schmerzen und Leid tragen, werden aber gewiss hellere Zeiten sehen. Die Zeit jedoch, die sie gestalteten, wird dann erst von unseren Nachkommen als der Ausgangspunkt eines gefestigten Lebens erkannt werden.
Wir Karpatendeutsche sind eine altbewährte Volksgruppe, die auf diesem Gebiet zu Genüge Erfahrung besitzt. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht selten als selbstbestimmte und dabei integrierte Volksgruppe bewähren müssen und waren deshalb im Ausnahmefall auch manchmal weniger erfolgreich dabei. Wir laufen immer noch Gefahr, mit anderen Mitbürgern unseres Landes, unter starken Belastungen in unser altes partikularistisches Denken zurückzufallen und die Beschaulichkeit eines unpolitischen Daseins den steten Risiken eines großen gesamteuropäischen Lebens vorzuziehen.
Mut und Standhaftigkeit
Was bewundern wir denn an allen großen politischen und persönlichen Erscheinungen jeder Art in der Geschichte der Menschheit, also auch an uns selbst? Ist es nicht der zivile Mut und die moralische Standhaftigkeit, mit der sie sich dem oft drohenden Unheil entgegen warfen und es dadurch auch am Ende bezwangen? Hier ist die Geschichte eine Lehrmeisterin. Unvergänglich aber ist der Ruhm der Staatsmänner, Wissenschaftler, Mediziner, Pädagogen, Journalisten, ehrlichen Unternehmer und aller Werte- und Kulturschaffenden, die auch unter manchmal aussichtslos scheinenden Umständen den Glauben auf Erfolg behielten und die niemals das Licht ihres kommenden Triumphes aus dem Blick verloren. Wir Karpatendeutsche haben es jedenfalls auch nicht.
Oswald Lipták