Von verachteter Pendlerin zur vergötterten Heldin
Es ist 7 Uhr und Silvia Moravčíková bereitet sich auf ihre 1,5-stündige Fahrt zur Arbeit vor. In der Regel überquert sie die Grenze mit einer Fähre, die aber manchmal wegen des hohen Wasserstands gesperrt wird. In der gegenwärtigen Corona-Zeit zählt jedoch hohes Wasser zu den kleinsten Hindernissen, die die tägliche Grenzüberschreitung begleiten. Trotzdem bedauert sie ihre Entscheidung von 2004 nicht und wünscht sich, dass sich ihre Töchter auch einmal auf dem ausländischen Arbeitsmarkt durchsetzen.
Silvia arbeitet als Bereichsleiterin der Arztstation im Asyllager Traiskirchen. Vor dieser Position hatte sie seit 2004 mehrere Arbeitsstellen in Österreich. Sie fing als Hilfskraft im Operationssaal im St. Josef Krankenhaus an. Nach der Nostrifikation wurde sie dort Krankenschwester. Später arbeitete sie als Geburtshelferin im Hanusch-Krankenhaus sowie im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien. Dazwischen war sie als Vertreterin in Traiskirchen tätig, wo sie auch derzeit tätig ist.
Als Sozialarbeiterin arbeitete sie jedoch schon früher und zwar im Asylzentrum Bruck an der Leitha, das später geschlossen wurde. Die Arbeit im Ausland ist vor allem in Bezug auf die Sprachkenntnisse sehr anspruchsvoll, bestätigt Silvia. Anfangs hatte sie große Probleme mit der Sprache, da sie nur einen halbjährigen Deutschkurs absolvierte und später nur ein „Lernen durch Handeln“-Prinzip verfolgte.
Ihrer Meinung nach ist es zwar keine ideale Einstellung zum Sprachlernen, aber es war damals ihre einzige Möglichkeit. In ihren Anfängen war die Grenzüberschreitung auch problematisch, in den Jahren 2004 und 2005 stand sie unter ständiger Kontrolle. Ähnliche Probleme erlebt sie auch dieses Jahr wegen der Corona-Krise.
Im März wurden die Grenzen völlig gesperrt (bis auf ein paar Ausnahmen) und weil Silvias Arbeit über 30 Kilometer von der slowakischen Grenze entfernt ist, wurde ihr die tägliche Rückkehr in die Slowakei trotz negativem Corona-Test nicht immer erlaubt. Seit dem Ausbruch der Epidemie änderten sich die Restriktionen jedoch mehrmals. Die Maßnahmen werden immer lockerer.
Was die Arbeit mit sich bringt
Die Arztstation im Asyllager funktioniert nach dem Prinzip der ambulanten Versorgung, das heißt täglich von 9 Uhr bis 17 Uhr ( Wochenenden ausgeschlossen), weshalb Silvia jeden Tag pendeln muss, im Vergleich zu ihrer vorigen Stelle als Krankenschwester, bei der sie in Schichten arbeitete. Sie war zufrieden mit beiden Arbeitszeiten: „Beides hat sein Pro und Kontra, die Schichtarbeit hat es mir ermöglicht, einige Dinge unter der Woche zu erledigen, aber die feste Arbeitszeit bietet dem Menschen zumindest eine regelmäßige Lebensordnung und Ruhe.“
Als Bereichsleiterin der Arztstation sind Aufgaben von Silvia die Untersuchungen der Asylanten im Krankenhaus zu übermitteln, die Arbeit von Ärzten und Pflegepersonal zu koordinieren und mit dem Innenministerium, dem das ganze Asylzentrum untersteht, zu kommunizieren.
Wenn sie ihre aktuelle Arbeitsstelle mit vorherigen vergleicht, liegt der größte Unterschied in dem ständigen Wechsel der Menschen im Krankenhaus, wobei sich die Asylanten manchmal auch zwei Jahre in einem Asyllager befinden, bis ihr Status geändert wird. Interessanterweise zog die eigene Grenzerfahrung sie zu Menschen mit noch größeren Grenzgeschichten hin.
Warum Österreich Silvias Herz gewann
Trotz Anfangsschwierigkeiten stellt die Arbeit in Österreich für Silvia lauter Positiva dar. Die finanzielle Motivation war natürlich einer der ersten Gründe, der sie anlockte, aber sicherlich nicht der einzige. Vor 15 Jahren gab es in der Slowakei jämmerliche Möglichkeiten für das Pflegepersonal und die Arbeitsbedingungen waren in Österreich deutlich besser. Die Leute in Österreich sind besser versichert, bekommen viele Zuschläge, die Ausstattung der Arbeitsstellen ist auch moderner.
Ärzte und Krankenschwestern sind auf derselben Ebene, was das Wohlfühlen im Arbeitskollektiv sichtlich verbessert, so wie Teambuildings, gemeinsame Ausflüge und Weihnachtsfeiern. Auf die Frage, ob sie über eine Rückkehr in die Slowakei nachdenkt, antwortete sie: „Nach so langer Zeit würde ich nicht mehr zurückkehren.“ Sie würde nämlich den Anspruch auf Mindestrente in Österreich verlieren. Trotzdem bleibt es ihr Traum, eine Doktorarbeit über soziale Arbeit zu verfassen und ihre Erfahrungen an hoffnungsvolle Gesundheitspflege-Interessierte in der Slowakei weiterzugeben. Denn das Studium habe ihr immer Spaß gemacht – Silvia verfügt über einen MA-Titel und in Österreich gehört sie zu den hochqualifizierten Diplomkrankenschwestern.
Zum Schluss fasst sie ihre Arbeitsgrenzerfahrung zusammen und erklärt, dass man sich weder in der Slowakei, noch in Österreich von heute auf morgen einarbeiten könne und im Ausland werde man immer auch als Ausländer empfangen. Wer unentschlossen ist und sich für soziale Arbeit im Ausland interessiert, dem rät sie: „Wenn es Ihnen gelingt, sich in Österreich durchzusetzen, dann muss ich sagen, dass Österreicher harte Arbeit wirklich schätzen.“
Alexandra Líšková, Barbora Cholková & Leonard Gužiňák