Was die Welt im Innersten zusammenhält
Die über 200 Jahre alte Dichtung „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe gilt als eines der bedeutendsten und meistzitierten Werke der deutschsprachigen Literatur. Die Tragödie greift die Geschichte des historischen Doktor Faust auf. Sie basiert auf der Erzählung über einen Wunderheiler und Alchimisten, der im 16. Jahrhundert lebte. Die Gedanken lassen Faust keine Ruhe: Er will noch mehr entdecken, mehr erfahren, mehr erleben, mehr begreifen, mehr vom Leben haben. Deshalb studierte er die großen Künste und Wissenschaften, Juristerei, Medizin und Theologie. Hat er aber das, was das Leben ausmacht, wirklich erfasst? Nein, zufrieden ist er nicht, er weiß, dass es noch viel mehr geben muss. In seiner Ratlosigkeit ist es Faust unmöglich, den Moment zu genießen. Er schließt einen Pakt mit dem Teufel: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“.
Dieses Zitat aus Goethes Faust aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigt, dass die Frage nach der Beschaffenheit der grundlegenden Bausteine der Welt schon lange vor dem Aufkommen der modernen Physik eine große Rolle im Leben der Menschen gespielt hat. Glauben und Wissen, Geist und Materie, Religion und Naturwissenschaft schienen seit jeher Pole verschiedener Weltsichten zu sein. Doch immer steht die größte aller Fragen im Mittelpunkt, nämlich was die Welt im Innersten zusammenhält. Einige suchen die Antwort in der Physik, andere bei den chemischen Verbindungen, in der Theologie, in der letzten Zeit immer häufiger auch im Internet.
Die Fragen des Zusammenhalts tauchen bei mir immer während der größten karpatendeutschen Treffen auf. Ich erinnere mich an die Zeiten vor drei Jahrzehnten, als man oft hörte, „noch einige Jahre, dann ist Schluss“. Wir sind froh, dass es um falsche Propheten ging: Seit den neunziger Jahren finden jedes Jahr unsere größten Veranstaltungen mit hunderten Teilnehmern statt. Wir finden noch immer genügend Kräfte, die reiche und bunte Kulturtradition der Karpatendeutschen auch unter immer schwierigeren Bedingungen weiterzupflegen. Also was hält uns eigentlich zusammen?
Eine eindeutige Antwort findet man nicht. Aber sicher ist, dass das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit tief in unserer Seele verankert ist. Das Gefühl der Nähe und Verbundenheit entsteht, wenn sich Menschen begegnen, die sich einander nah fühlen, die gleiche Interessen haben, die sich auch ohne Worte verstehen. Ich hoffe, dass Sie ähnliche Gefühle bei unseren großen Veranstaltungen der Karpatendeutschen im Juni in Hopgarten, Kesmark oder Metzenseifen empfunden haben und so der Antwort „Was die Karpatendeutschen im Innersten zusammenhält“, nähergekommen sind.
Ondrej Pöss