Schriftstellerin Lana Lux: „Die Kindheit ist wie ein Bahnhof, von dem wir alle anfangen, weiter zu fahren.“
„Mich inspirieren Menschen und ihre Geschichten“, sagt Lana Lux. Die Schriftstellerin ukrainisch-jüdischer Herkunft hat mit ihrem Romandebüt „Kukolka“nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in anderen Ländern viel Staub aufgewirbelt. Trotz der schwierigen Situationen, in denen sich ihre Protagonisten befinden, gewinnt sie die Gunst einer immer größeren Leserschaft.
Lana, du stammst ursprünglich aus Dnipro in der Ukraine und bist mit zehn Jahren mit deinen Eltern nach Deutschland gezogen. Wie war diese Veränderung für dich als junges Mädchen?
Es war erstmal aufregend. Ich muss sagen, ich wollte eigentlich gar nicht weg. Aber als wir dann tatsächlich in Deutschland waren, hat es mir eigentlich ganz gut gefallen. Es war schönes Wetter damals, ich durfte mich auf dem Gelände, wo wir angekommen sind, frei bewegen und ich habe ein paar andere Kinder kennengelernt. Da gab es Supermärkte, ausländisches Essen und viele Waren. Das hatten wir früher nicht gesehen.
Wie waren die ersten Tage und Wochen als Ausländerin in einem fremden Land ohne Sprach- und Kulturkenntnisse?
Das alles hatte schon eine Gesetzmäßigkeit. Zuerst kamen wir in eine Flüchtlingsunterkunft, dort gab es ein Zimmer mit einer kleinen Küche für uns und dann gab es Behördengänge, die man absolvieren musste. Ich habe eine Schule und eine Klasse zugewiesen bekommen, wo ich dann hingehen musste und dort Deutsch lernte. Ich war in einer kleinen Klasse mit sechs anderen Kindern und mir war immer klar, ich möchte da raus. Ich habe dann Deutsch gelernt und viel dafür gemacht.
Du hast dann in Deutschland Fuß gefasst und auch dort studiert. Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, künstlerisch tätig zu sein?
Auf diese Idee bin ich schon gekommen, als ich noch ganz klein war. Ich habe schon immer Kunst gemacht, aber als ich dann in Deutschland aufgewachsen bin, kam von meinen Eltern, dass ich lieber etwas Vernünftiges machen solle. Andererseits haben sie sich aber nie zwischen mich und meine Kunst gestellt. Sie hatten verschiedene Ideen für mich. Mein Vater wollte, dass ich Geigerin werde, aber von allen Künsten, die ich mache, bin ich im Geigen am wenigsten talentiert. Dann wollte ich eher Theater machen, weil das mein längster Wunsch in der Kunst war. Ich habe immer gemalt und gezeichnet und habe überlegt, ob ich vielleicht Comiczeichnerin werde, aber ich kannte niemanden, der so etwas macht. Ich war dann auch in einem Theater tätig und habe versucht, an eine Schauspielschule zu kommen, aber ich wurde nicht aufgenommen. Ich habe es damals sehr persönlich genommen, aber trotzdem habe ich mit der Kunst nicht aufgehört.
Du hast dich also mehreren Künsten gewidmet. Warum ist dir gerade die Literatur ans Herz gewachsen?
Das ist einfach so passiert. Ich habe immer geschrieben, weil ich schreibend denke. Das war eigentlich so eine Zeit, als ich mit meiner Tochter schwanger war und viele Dinge für mich nicht möglich waren. Etwas, was ich machen konnte, war Schreiben. Dann habe ich einen Kurs „Creative Writing“ (Kreatives Schreiben) besucht und ich habe parallel einen Blog geschrieben. Dann hatte ich über diesen Blog Kontakt zu einem Schriftsteller und ich habe tolles Lob von ihm bekommen. Er hat mich dann mit meinem Manuskript an eine Lektorin weitergeleitet. Die Lektorin hat sich eine Woche später gemeldet und wollte, dass das Buch veröffentlich wird.
Und so beginnt die Geschichte deines Buches „Kukolka“, das 2017 als dein Debütroman erschienen ist. Wie ist „Kukolka“ eigentlich entstanden?
Alles hat mit einer Schreibübung angefangen, bei der man mit Fotos gearbeitet hat und es war wieder ein Zufall, dass für mich nur ein sehr berühmtes Foto mit einem Mädchen aus Afghanistan aus der National Geographic übriggeblieben ist. Den Namen Samira – der Name der Protagonistin des Buches – kannte ich vorher nicht bewusst und ich dachte, ich hätte mir den ausgedacht, aber den gab es schon vorher. So entstand eine Geschichte über ein Mädchen, das nicht weiß, woher es kommt, das aus einem Waisenheim ist und Kinderkriminalität erfährt. Ich habe angefangen, viel zu recherchieren. In den 1990er Jahren wurden viele junge Frauen und Mädchen vor allem in die Türkei und Ägypten zur Zwangsprostitution verschleppt. Manche von ihnen wurden befreit, andere nicht. Insofern war das irgendwie so ein Thema, das mich schon immer beschäftigt hat oder geängstigt hat und ich stelle mir immer die Frage: „Kann mir so etwas auch passieren?“
Was ist das jetzt für ein Gefühl, wenn du nach mehreren Wochen und Monaten des Schreibens dein Buch in gedruckter Form siehst?
Ehrlich gesagt ein sehr komisches Gefühl. Es ist ein Gefühl, als hätte ich das gar nicht gemacht. Ich meine, es sollte einen ja freuen und ich weiß das auch, aber die Wahrheit ist, dass es mir mehr Angst macht, weil es ein gutes Buch geworden ist. Ich habe Angst, dass die nächsten nicht so gut werden.
Wo findest du Inspiration beim Schreiben?
Mich inspirieren vor allem Menschen – Gespräche mit Menschen und ihre Geschichten. Das ist das Gute am Älterwerden, dass man immer mehr und mehr Leute kennengelernt hat, immer mehr Geschichten gehört hat und darin etwas Universelles finden kann. Ich bin immer auf der Suche nach diesem Universellen. Dann finde ich außergewöhnliche Details von anderen sehr toll und das interessiert mich auch. Mich interessieren auch die Leute, die das Gefühl haben, sie wären anders. Andererseits interessiert mich auch die Kindheit – das spielt eine wichtige Rolle, nicht nur in meinem Leben, sondern auch in meiner Literatur. Ich glaube, es ist ein sehr besonderer Zeitraum, an dem sich der natürliche, unberührte Zustand mit der Sozialisation trifft. Die Kindheit ist wie ein Bahnhof, von dem wir alle anfangen, weiter zu fahren. Viele von uns bleiben auf diesen Sitzen, auf die sie gesetzt wurden, manche aber nicht.
Was liest Lana Lux, wenn sie Zeit hat und nicht gerade über eine neue Geschichte nachdenkt?
Ich lese relativ wenig, weil ich zu langsam lese. Ich habe Legasthenie, das bedeutet, dass ich sehr langsam lese. Das, was ich lese, ist relativ verschieden, aber meistens ist es doch realistisch. Es geht immer um die Sprache, die Sprache muss mich immer catchen. Wenn sie das nicht tut, dann mache ich das Buch zu und vielleicht nie wieder auf. Das letzte Buch, das ich sehr schnell gelesen habe, war „Nest“ – eine multiperspektivische Familiengeschichte. Als ich das Buch das erste Mal aufgemacht habe und die Sprache bemerkt habe, wollte ich unbedingt wissen, wie es weiter geht. Und nach diesem Gefühl suche ich auch während des Schreibens, ich versuche etwas Ähnliches für mich selbst aber auch für meine Leser*innen zu kreieren.
Hast du als Autorin einen beruflichen Traum?
Mein letzter Traum war es, als Künstlerin anerkannt zu sein und davon leben zu können. Das hat sich relativ schnell verwirklicht und das hat mir viel Angst gemacht. Seitdem habe ich mich nicht getraut, einen neuen Traum zu träumen. Ich glaube, es ist wichtig, einen bewussten Traum zu träumen, man muss sich aber auch bewusst sein, dass er auch Realität werden kann und man damit umgehen können muss.
Du hast mehrere Tage in Bratislava/Preßburg verbracht. Was hältst du von der Stadt?
Sie gefällt mir gut. Sie hat durchaus etwas Freundliches, etwas Trauriges und sie hat auch etwas Wütendes, aber es ist eine gute Mischung. Ich denke, irgendwie passt sie in diese Region – sie ist ein bisschen, wie ich sie erwartet habe. Sie ist verwandt mit Prag und auch mit Wien. Es ist so eine Familie – eine Familie, in der alle individuell sind, aber irgendwie sind sie alle miteinander verwandt. Das spüre ich hier.
Matej Lanča