germanistin tajana

„In der Geschichte der Karpatendeutschen kann man viele Persönlichkeiten mit faszinierenden Lebensschicksalen finden“

Tajana Hevesiová ist 25 Jahre alt und Doktorandin am Lehrstuhl für Germanistik, Nederlandistik und Skandinavistik an der Comenius-Universität in Preßburg/Bratislava. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit der Zipser Mundartliteratur und dem karpatendeutschen Dichter Samuel Pellionis. Wir trafen sie, um Näheres über sie und ihre Forschungsarbeit zu erfahren.

Wie bist du zum Studium der Germanistik gekommen?

Die deutsche Sprache hat mir schon an der Grundschule Spaß gemacht und am deutschen bilingualen Gymnasium Bilíkova wurde mir allmählich klar, dass Sprachen meine stärkste Seite sind. Meine ganze Kindheit habe ich an Rezitationswettbewerben teilgenommen (einmal auch im Haus der Begegnung der Karpatendeutschen) und die Arbeit mit dem Text kam mir ganz natürlich vor. Außerdem habe ich, als ich klein war, mit meiner Familie zwei Jahre in Bonn gewohnt und an diese Zeit habe ich sehr schöne Erinnerungen. Aus diesen Gründen habe ich dann Übersetzen und Dolmetschen aus dem Deutschen und Schwedischen studiert. Ursprünglich wollte ich Dolmetscherin werden, aber nach dem Masterstudium habe ich gespürt, dass ich mich akademisch noch mehr entwickeln wollte. Mit Herrn Dozent Jozef Tancer habe ich die Möglichkeit besprochen, weiter Germanistik zu studieren – so bin ich zum Thema Zipser Mundartliteratur gekommen. Die Mundarten haben mein Interesse geweckt, weil ich mich schon früher im Studium unterschiedlichen historischen oder außergewöhnlichen Sprachformen gewidmet habe. Darüber hinaus kann man in der Geschichte der Karpatendeutschen viele Persönlichkeiten mit faszinierenden Lebensschicksalen finden.

Worum geht es in deiner Forschungsarbeit?

Ich analysiere die Werke des Dobschauer Mundartdichters Samuel Pellionis. Der Fokus auf diesen Dichter ergab sich, nachdem Herr Dozent Tancer mit dem Enkel des Dichters, Herrn Rudolf Pellionis, in Kontakt gekommen war und den umfangreichen Nachlass des Dichters bei ihm gefunden hatte. Herr Pellionis hat uns sehr großzügig diesen Nachlass zum Studium übergeben.

Samuel Pellionis (1870 – 1953) war ein ungewöhnlicher Mundartdichter, weil er als Schuhmacher nicht in die Kategorie der üblichen akademisch gebildeten Autoren passte. Außerdem erlebte er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts drastische Veränderungen der Welt, was seine Werke stark prägte. Zum Beispiel bieten seine Gedichte einen einzigartigen Blick auf das Gefühl der Entfremdung der Heimat, das viele der in der Slowakei gebliebenen Karpatendeutschen spürten. Bisher habe ich mich der Verarbeitung des Ersten Weltkriegs in seinen Texten gewidmet und als Nächstes möchte ich die Rolle seiner Dichtung in Regional- und Dialektliteratur und in seiner Heimatregion (Dobschau und Umgebung) erforschen. Ein äußerst interessantes Thema ist auch die Rezeption des Dichters sowohl während seines Lebens als auch nach seinem Tod in den verschiedenen Staatsregimen.

Tajana
Tajana mit einem Teil des Nachlasses und einem Foto des Dichters Samuel Pellionis
Wie ist das PhD-Programm organisiert?

Das Studium dauert für interne Doktoranden vier Jahre, wobei der Hauptfokus immer auf der Forschung zum Dissertationsthema liegt. In den ersten zwei Jahren, die ich schon hinter mir habe, nimmt man noch an verschiedenen Kursen teil, ähnlich wie im Masterstudium. Außerdem fängt man an zu publizieren und am Lehrstuhl zu unterrichten. Nach zwei Jahren legt man eine Prüfung ab und danach liegt der Schwerpunkt des Programmes eher auf dem Publizieren und der Arbeit an der Dissertation. Als interne Doktorandin bin ich auch häufig bei Veranstaltungen des Lehrstuhls dabei und stehe den Studenten zu Verfügung, wenn sie Fragen haben.

Du hast einige Zeit im Ausland verbracht. Wo warst du und was hast du dort gemacht?

Neben mehreren kürzeren Sprach- und Dolmetschkursen in Deutschland und Schweden habe ich ein Semester im schwedischen Lund verbracht und jetzt auch ein Semester in Innsbruck. In Lund war ich im Rahmen des Erasmus+-Programms. In einem Kurs über die historischen Formen der schwedischen Sprache habe ich dort das Thema für meine Bachelorarbeit gefunden: die Autobiografie von Agneta Horn. Im Rahmen des Doktorandenstudiums war ich jetzt im wunderschönen Innsbruck, wo ich einerseits sehr nützliche Kurse zum akademischen Schreiben besucht habe, andererseits hatte ich Zugang zu wichtigen Quellen der Bibliothek zum Thema Regionalliteratur und Literatur im Ersten Weltkrieg.

Du musst viel lesen, wenn du nicht gerade wissenschaftlich tätig bist, was liest du gerne?

Im Doktorandenstudium liest man natürlich sehr viel Fachliteratur und danach bleibt mir nur wenig Energie und Zeit zum weiteren Lesen übrig. Wenn ich aber doch Zeit und Lust zum Lesen habe, zum Beispiel im Sommerurlaub, lese ich meistens Fantasy-Literatur – ich mag die Werke von J.R.R. Tolkien, Patrick Rothfuss oder Neil Gaiman.

Ich habe dich im Haus der Begegnung der Karpatendeutschen in Preßburg/Bratislava getroffen, als du dort für die Karpatendeutschen Geige gespielt hast. Was machst du in deiner Freizeit sonst noch gerne?

Geige spiele ich, seitdem ich sechs Jahre alt war. Außer der Kunstschule ZUŠ Eugena Suchoňa, wo ich eine ewige Schülerin bin, bin ich jetzt Mitglied in zwei Musikgruppen: mit Roc’hann spielen wir bretonische Tanzmusik und mit Musica Ursusica vor allem mittelalterliche Musik mit manchen modernen Elementen. Die letztgenannte Gruppe ist Teil der historischen Schaukampfgruppe Ursus aus Stupava, wo ich auch Feuershows mache. Außerdem nehme ich gerne an Veranstaltungen wie dem Tolkien Reading Day teil und mag Natur und Hunde.

Wenn man Deutsch studieren will, was sollte man vor dem Studium wissen?

Gute sprachliche Vorkenntnisse sind immer ein Vorteil, egal ob man Übersetzen und Dolmetschen oder Lehramt studieren will, weil man sich dann auf die neuen Fachkenntnisse mehr konzentrieren kann. Außerdem sollte den Studierenden die deutsche Sprache gefallen und Spaß machen. Man muss gewisse Selbstdisziplin haben und ständig mit der Sprache arbeiten. Die Universität bietet wirklich zahlreiche Möglichkeiten, ins Ausland zu reisen oder an innovativen Projekten teilzunehmen. Es liegt nur daran, alle diese Gelegenheiten zu nutzen.

Welche Träume hast du für die Zukunft?

Immer mehr überlege ich, dass ich nach dem Studium in internationalen Beziehungen arbeiten möchte – also am liebsten mit deutschen und österreichischen Institutionen in der Slowakei, die Kontakt zu der deutschen Bevölkerung der Slowakei pflegen oder deutsche Kultur verbreiten. Ich interessiere mich auch für politische Verhältnisse. Zuerst möchte ich aber natürlich meine Dissertation erfolgreich ausarbeiten und den Dichter Samuel Pellionis dadurch ans Licht bringen.

Das Gespräch führte Hubert. Er interviewt das ganze Jahr über Mitglieder der Karpatendeutschen Jugend für die Reihe „KDJ auf ein Wort“.