Hans Broos – Architekt roher Poetik
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sind im Badezimmer vor dem Spiegel und Sie erkennen nicht, wer Ihnen gegenüber steht. Auch dass der Spiegel etwas angelaufen ist, erschwert die Identifikation. Dann streichen Sie langsam den Dampf von dem Spiegel. Der klare Streifen des Spiegels erinnert Sie immer mehr an Ihre Lebensabschnitte in den letzten Jahrzehnten und zum Schluss auch daran, wer Sie eigentlich sind.
Ungefähr so beginnt und verläuft der Film „Architekt roher Poetik“ (Architekt drsnej poetiky) über Hans Broos (in der Zips benützte die Familie den Name Brosz) – einen bedeutenden Architekten, einen großen Karpatendeutschen. Aus den Tiefen des durch die Alzheimer-Krankheit betroffenen Gedächtnisses erzählt Hans Broos (im Film János Boráros aus dem Jókai-Theater in Komorn/Komárno) kurz von seinem Ableben (23. August 2011) seine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Zipsers, der ein berühmter brasilianischer Architekt wurde. Der Regisseur des Filmes Ladislav Kaboš arbeitete seit drei Jahren auch mit uns zusammen.
Hans Broos wurde am 9. Oktober vor 100 Jahren in Groß-Lomnitz auf dem Gebiet der heutigen Slowakei geboren. In den 1940er Jahren studierte er in Prag Architektur. Wie die meisten Karpatendeutschen musste auch die Familie Broos nach dem Zweiten Weltkrieg die alte Heimat unter der Hohen Tatra verlassen. Sein Studium beendete Broos im Jahre 1947 an der Technischen Universität in Braunschweig. Bis 1949 arbeitete er am Lehrstuhl von Friedrich Wilhelm Kraemer in Braunschweig und von 1949 bis 1953 bei dem berühmten deutschen Architekten Egon Eiermann in Karlsruhe. Für Kraemer hat er unter anderem am Wiederaufbau des Gewandhauses am Braunschweiger Altstadtmarkt und am Projekt des erst 1963 realisierten Nordwestdeutschen Rundfunks in Hannover (heute NDR-Landesfunkhaus) gearbeitet. Bei Eiermann war er als Architekt an Entwürfen und an Bauvorhaben beteiligt wie dem Verwaltungs- und Fabrikgebäude der Ciba AG in Wehr (1948–52), der Matthäuskirche in Pforzheim (1951) und – als Projektleiter – an der Taschentuchweberei der Spinnerei Lauffenmühle KG in Blumberg.
Hans Broos beendete 1953 seine Mitarbeit bei Egon Eiermann und ging nach Brasilien. Eine neue Heimat fand er zuerst in der deutschen Stadt Blumenau (Bundesstaat Santa Catarina) und später in Sao Paulo. Dort hatte er sein Architekturbüro im Stadtteil Morumbi von Sao Paulo in einem Gebäude unterhalb seines Wohnhauses, das er Anfang der 70er Jahre baute. Dabei arbeitete er mit seinem Freund Roberto Burle Marx zusammen, der zum Beispiel den legendären Fußweg am Strand Copacabana in Rio de Janeiro entwarf. Die Residenz von Hans Broos ist auch der Ort, an dem sich der größte Teil des Filmes abspielt.
In Sao Paulo war die berühmte Architektengruppe „Paulista“ tätig, zu der auch Broos gehörte. Ein beliebter Werkstoff der Gruppe war Beton: Der Architekten-Zampano Paulo Mendes da Rocha hat die Stadt durch dieses Material geprägt, auch sein Lehrer Oscar Niemeyer baute bevorzugt damit. Eine Betonperle von Hans Broos ziert seit 1965 Sao Paulo: die Kirche Sao Bonifácio. In den Wohnblöcken stapelt Broos Wohnungen und Einrichtungen des täglichen Bedarfs übereinander und so entstehen die Vorläufer zum Plattenbau und einer Architekturrichtung, die später Brutalismus genannt wird. Die Gebäude bestehen meist aus Sichtbeton, haben eine simple Formensprache und ihre Struktur ist nur grob ausgearbeitet. In diesem Stil baute Broos noch mehrere Gesundheits- und Freizeitgebäude sowie Wohnungsbau, darunter 40 Einfamilienhäuser, Verwaltungs- und Bildungsgebäude und in großem Maße Sakralbau, Kirchen und Klöster. Er hat circa zwei Millionen Quadratmeter Fläche entworfen und gebaut, davon über eine Million Quadratmeter Industriearchitektur. In Brasilien hat er ab 1954 mehrere Auszeichnungen erhalten.
Schauen Sie sich den Trailer zum Film an.
In der ganzen Welt gibt es mehrere tausend Architekturwerke, die auf der Liste des Weltkulturerbes und des Erbes einzelner Länder aufgeführt sind. All dies wurde im Laufe der Jahrhunderte von Menschen geschaffen, die voller Kreativität waren, die ihren individuellen Stil in der Weltarchitektur geschaffen haben. Zu ihnen gehörte auch der große Karpatendeutsche Hans Broos, der vor 100 Jahren unter der Hohen Tatra geboren wurde. Wir können sehr stolz auf ihn sein.
Ondrej Pöss