Ein guter Geist ist stärker als die Macht der politischen Verhältnisse
Wie Menschen allen Widerständen trotzen und einander in Ehrfurcht begegnen und für den Anderen da sein und Gutes tun können, das zeigen uns zwei Gestalter der Weltgeschichte durch ihre gelebte Mitmenschlichkeit: Albert Schweitzer und Dalai Lama.
Schon in jungen Jahren sah Albert Schweitzer seine Aufgabe darin, für den anderen Menschen zu wirken. Allein die Besinnung auf das im Leben widerfahrene Glück führte ihn zur Einsicht, dass jeder das Gute, das er empfängt, an andere Menschen weitergeben müsse. Mehr noch: Er staunte und erkannte, dass die Hingabe für den anderen Menschen und für die Aufgabe ein größeres Glück bedeuten, als das unablässige Sich-Kümmern um das eigene Wohl. Aus dieser gelebten Mitmenschlichkeit entwickelte er seine Lebensaufgabe, seinen Dienst für kranke und arme Menschen. Er regelte und löste in einer Atmosphäre des Vertrauens die vielfältigen alltäglichen Probleme. Beharrlich führte er den stillen Kampf gegen Gleichgültigkeit, Herzenskälte und Herrschsucht.
Albert Schweitzer, deutsch-französischer Arzt, Philosoph, Theologe, Organist, Musikwissenschaftler, Pazifist und Friedensnobelpreisträger, hatte auf eine wissenschaftliche und künstlerische Karriere verzichtet und baute zusammen mit seiner Frau Helene ein Krankenhaus im afrikanischen Lambarene auf.
Mit dieser Entscheidung folgte er bis zu seinem Tod dem universalen Grundprinzip seiner Lehre: Der „Ehrfurcht vor dem Leben“, das er aus dem gelebten Leben gewann: gut und wahr ist das Sich-Hingeben an den Lebenswillen des anderen Menschen, des Lebendigen in der Natur überhaupt.
Antwort auf kritische Gegenstimmen
Es gibt zu diesem Denken kritische Gegenstimmen, die meinen, in Schweitzer ein Vorbild zu sehen sei doch nur eine Art Lebertran, den jeder mit Widerwillen schluckt. Das mache unsicher, reizbar und fordere auf erdrückende Weise den Menschen heraus, weil er ihm doch nicht folgen könne. Dieser harschen Kritik hätte Schweitzer zugestimmt, denn er verstand sich nicht als maßgebende moralische Persönlichkeit. Er lehnte eine Heldenverehrung entschieden ab, denn er hatte aus innerer Notwendigkeit gehandelt, ohne Rücksicht darauf, ob sein Tun Anerkennung fand oder nicht. Er verstand sich nicht als Wegweiser für andere Menschen. Vielmehr zeigte er den Weg, den jeder aus selbstgewählter Verantwortung beschreiten, dabei eingefahrene Geleise verlassen und seine Wege finden kann.
Es ging ihm um ein Schärfen der eigenen Kompetenz in der Begegnung mit Menschen, mit der Kultur und Natur, damit er den Blick frei für eigene Entscheidungen bekommt, die jeder kritisch prüfen und dann für sich verbindlich erklären kann.
Durch diese selbstkritische Haltung kann sich jeder auf das Wesentliche seines Lebens und seiner Profession besinnen und entdecken, dass die Arbeit, die er für andere Menschen tut, einen Wert für ihn, für andere und darüber hinaus einen bleibenden Wert hat. Durch diese Haltung gegenüber sich selbst, gegenüber der Mitwelt und Natur entstehen Räume der Menschlichkeit.
Schweitzers Ethik ist aktuell
Das zeigt die Tatsache, dass der Dalai Lama, geistliches Oberhaupt der Tibeter und Friedensnobelpreisträger, in seiner Person ethische und geistige Werte verkörpert.
Dalai Lama fühlte sich Albert Schweitzer tief verbunden. Im Buch „Ethik ist wichtiger als Religion“, das in allen Weltsprachen erschienen ist, begründet er eine umfassende Ethik, die über alle Religionen, Nationen und Ideologien steht. Seine Ethik vereint alle Religionen, deren Grundgedanke die Liebe ist. Liebe entspringt der urmenschlichen Spiritualität und steht jenseits aller Religionen.
Dalai Lama kennt keine Feinde, sondern nur Menschen. Er lebt im tiefsten Grund das Gebot der Nächstenliebe und Toleranz und sprengt nationale, religiöse und kulturelle Grenzen. Sein Denken und Handeln wurzelt in den Worten „wir Menschen“.
Dalai Lama schlägt eine Revolution des Mitgefühls vor, dem heute zahlreiche Forscher folgen: Wenn wir selbst glücklich sein wollen, sollten wir Mitgefühl üben, und wenn wir wollen, dass andere glücklich sind, sollten wir ebenfalls Mitgefühl üben. Mitgefühl ist nach seiner festen Überzeugung die Basis des Zusammenlebens. Hier scheint eine Geisteshaltung der Menschlichkeit (humane Gesinnung, Humanitas, Philanthropie) auf, in deren Mittelpunkt die Achtung der unteilbaren Würde des Menschen steht. Diese ethisch begründete Geisteshaltung zeigte Dalai Lama bei einem Besuch der Comenius-Universität Preßburg/Bratislava im Jahre 2000, die sein Werk im Rahmen einer festlichen Veranstaltung mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde würdigte.
Ferdinand Klein, Prof. Dr.