Berühmte Zipser: Apotheker und Biologe Thomas Nendtvich
Der am 15. November 1782 in Kesmark geborene Thomas Nendtvich wird von den ungarischen Botanikern als einer der ersten Erkunder der heimischen Botanik gewürdigt. Thomas Nendtvich erforschte aber nicht die Pflanzenwelt um Kesmark/Kežmarok, sondern auch die um Fünfkirchen/Pécs, wo er als Apotheker tätig war.
Seine Vorfahren stammen aus der Normandie, sie flohen wegen der Verfolgung der Hugenotten (Protestanten) ins östliche Europa. In der Zips fanden sie viele gleichgesinnte Christen. Thomas’ Vater Christoph war Leinenhändler in Kesmark, die Familie kam durch den Handel zu Wohlstand. Sie besaß Häuser am heutigen Hauptplatz Nr. 44 und der Hviezdoslavova Straße Nr. 9. Den Handel weitete sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts aus, man lieferte sogar an Kunden in Südamerika.
Ausbildung zum Apotheker
Thomas (Tamás) Nendtvich besuchte Kesmarker Schulen und schloss mit dem Abitur ab. Seine Studien begann er in Debrezin/Debrecen und Klausenburg/Cluj-Napoca. Danach schrieb er sich an der Universität Pest ein, wo er 1800 die Abschlussprüfung in Pharmazie bestand und den Apotheker-Brief erhielt. Im Jahr 1805 finden wir ihn als Apotheker in Fünfkirchen/Pécs.
Er bemühte sich um eine eigene Apotheke, die ihm als ersten evangelischen Ansiedler zunächst verweigert wurde. Nendtvich berief sich daraufhin auf Gesetze aus den Jahren 1791/1792 und erhielt vom Stadtrat schließlich die Genehmigung. Er kaufte die Arany Sas Gyógyszertár (Apotheke zum Goldenen Adler) und war hier bis 1848 tätig. Im Alter von 66 Jahren übergab er die Apotheke seinem 29-jährigen Sohn Wilhelm.
Grundstein für evangelische Gemeinde
Thomas Nendtvich brachte als Abkömmling einer traditionsreichen evangelischen Familie die Kraft und Fähigkeit mit, in dem vom Katholizismus geprägten Ort mit seiner eigenen Frömmigkeit und großem Fleiß den Vorurteilen gegen die reformatorische Kirche entgegenzutreten. Sein Auftreten sprach sich herum, die Stadt zog von nun an vor allem evangelische Handwerker an. Dadurch entstand nicht nur nach und nach eine evangelische Gemeinde in Pécs, die Stadt selbst profitierte von den neuen Ansiedlern.
Große Familie
Thomas Nendtvich heiratete die katholische Anna Aidinger (1786-1832). In dieser Ehe kamen 12 Kinder zur Welt. Der 1811 geborene Sohn Carl Maximilian wurde ein bekannter Arzt und Chemiker, der 1819 geborene Wilhelm Rudolph Apotheker und sein Enkel Andor (1867-1951) war unglaubliche 30 Jahre, von 1906 bis 1936, Bürgermeister von Fünfkirchen.
Weiter Weg bis zur eigenen Kirche
Im Jahr 1822 lebten in Fünfkirchen 35 Lutheraner. Sie mussten nach Klamanok/Kismányok, Maiesch/Majos oder bis nach Bonnhard/Bonyhád, alles mehr als 40 Kilometer entfernt, pilgern, um das Abendmahl zu erhalten. Daher fanden in Nendtvichs Haus jährlich zwei Gottesdienste statt. Er bemühte sich um ein eigenes Bethaus, aber die Ereignisse der Jahre 1848/1849 verzögerten den Fortgang. Thomas Nendtvich war es nicht vergönnt, den Erfolg seiner Bemühungen zu erleben. Am 3. August 1858 verstarb „der ehrwürdige Vorstand der Gemeinde“, wie diese mitteilte. Die Kirche wurde aber gebaut und, noch nicht einmal komplett fertiggestellt, im April 1875 eingeweiht.
Der Botaniker Nendtvich
Thomas Nendtvich interessierte sich schon als Kind für Biologie und insbesondere die Botanik. Während der Schulzeit in Kesmark war er in Kontakt mit dem über 30 Jahre älteren Thomas Mauksch und wurde vermutlich von diesem in seinen Interessen bestärkt.
Mit Beginn seiner Tätigkeit in Fünfkirchen beschäftigte er sich in seiner Freizeit hauptsächlich mit Botanik und Entomologie (Insektenkunde). Er reiste in das nahgelegene Mecsek-Gebirge und das südlich von Fünfkirchen gelegene, heute zu Kroatien gehörende Slawonien, um Pflanzen zu sammeln. In seinen 1845 veröffentlichten Studien listet er mehr als 1.100 Pflanzenarten auf.
Er erforschte auch die Schmetterlinge der Region und fand etwa 800 Arten. In der Zeitschrift „Ärzte und Naturforscher“ (Orvosok es természetvizsgálók) veröffentlichte er 1846 dazu den Artikel „Die Schmetterlinge von Fünfkirchen u. ihr Verhältnis zu dieser Gegend“.
In seinen drei Gärten beschäftigte er sich mit Obstbau. Er erfasste die Baumarten in der Region und fand etwa 200 Obstbäume. Auch die Schädlinge der Baumarten wurden von ihm erfasst und untersucht.
Anerkennung und Dank
Thomas war ein Praktiker, der nur ungern schrieb und sein Wissen veröffentlichte. Seine Materialsammlung wurde aber die Grundlage für die Doktorarbeit seines Sohnes Carl Maximilian (1811-1892). Dieser hatte früh seinen Vater bei dessen Forschungen ins nahe Mecsek-Gebirge begleitet. In der „LINNEA“, einem in Halle an der Saale herausgegeben Journal für die Botanik, wird 1836 diese Doktorarbeit als „der Flora von Fünfkirchen gewidmet“ bezeichnet. In ihr werden auch drei bisher unbekannte Pflanzenarten beschrieben. Eine davon, die Herzblättrige Gämswurz, erhielt zu Ehren von Thomas Nendtvich den Namen Doronicum Nendtvichi Sadler. Sadler (1791-1849) studierte Pharmazie sowie Medizin, wurde in Professuren für Botanik und Chemie berufen und war Direktor des Botanischen Gartens der Universität Pest. Die 1891 gegründete Mecsek-Gesellschaft, die sich unter anderem um den Naturschutz in diesem Gebirge kümmert, führt in ihrem Wappen die von Nendtvich dort gefundene Gämswurz. Dieses Wappen entspricht in seiner Form dem des 1873 gegründeten (ungarischen) Karpatenvereins.
Besonderen Dank an Nendtvich spricht der ehemalige Zisterzienser-Gymnasiallehrer Móricz Májer aus. Der Verfasser der Dissertation „Die Flora des Fünfkirchner Pflanzengebietes“ schrieb: „Thomas Nendtvich habe ich einen Theil meiner botanischen Wissenschaft zu verdanken, wofür ich hier zu wiederholten Malen meinen innigsten Dank offentlich äussere; leider ist Thomas von Nendtvich den 3. August im verflossenen Jahre mit dem Tode abgegangen (…) Ehre seiner Wissenschaft, Friede und Ruhe seiner Asche“.
Dr. Heinz Schleusener