Von Schmöllnitz nach Amerika – Károly Krajtsir
Der in Schmöllnitz geborene Károly Krajtsir lässt sich schwer in eine Kategorie einordnen. In seinem Herzen war er wohl vor allem ein Freiheitskämpfer, den der vergebliche Kampf um seine Ideale ins Exil trieb und der dort nicht als Arzt, sondern als Lehrer und Sprachwissenschaftler berühmt wurde.
In allen historischen Quellen wird das Geburtsdatum von Károly Krajtsir mit dem 28. Januar 1804 und als Geburtsort die Bergbaustadt Schmöllnitz/Smolník angegeben. In den dortigen Kirchenbüchern können wir aber keinen entsprechenden Eintrag finden, wohl aber viele mit dem Nachnamen Kraicsir/Krajtsir.
Arzt und Freiheitskämpfer
Recht sicher sind die Angaben zu seiner schulischen Ausbildung in Rosenau/Rožňava und Kaschau/Košice, denen das Medizinstudium in Pest/Pešť folgte. 1829 erwarb er den Doktortitel und begann in Eperies/Prešov zu praktizieren.
Bereits während des Studiums galt sein Interesse der politischen Situation in der Heimat. Er sympathisierte mit den Anhängern der Unabhängigkeitsbestrebungen von Österreich. Diese gab es auch in Polen, das seit 1815 in Personalunion mit dem russischen Kaiserreich verbunden war.
Der nach der französischen Julirevolution 1830 beginnende, von jugendlichen Kadetten ausgehende Novemberaufstand in Polen gegen die russische Herrschaft wurde von den Liberalen in ganz Europa als Hoffnung angesehen. Der junge Krajtsir meldete sich freiwillig als Militärarzt, um zum Erfolg dieses Aufstands, auch Polnisch-Russischer Krieg 1830/1831 oder Kadettenaufstand genannt, beizutragen.
Nach Niederlage ins Exil
Trotz zwischenzeitlicher Erfolge endete der Novemberaufstand mit einer Niederlage. Für etwa 80.000 Polen bedeutete das die Verschleppung nach Sibirien. Einige zehntausend konnten sich nach Österreich oder Deutschland retten. Viele zogen von dort weiter nach Westeuropa. Von diesen blieben fast 6.000 für immer in Frankreich. Am Pariser College de France wurde ein Lehrstuhl für Slawische Sprache und Literatur eingerichtet. An diesem lehrte ab 1840 für ein paar Jahre Adam Mieckiewicz, der Nationaldichter Polens.
Zwischenstation Paris
Auch Károly Krajtsir fand in Paris sein erstes Exil. In Briefen mit seinen politischen Gedanken und Erfahrungen bat er in Ungarn um finanzielle Hilfe für die polnischen Flüchtlinge. Seine Flugschriften, die handschriftlich kopiert wurden, fanden große Verbreitung. Einen seiner Briefe hatte Kossuth Lajos, die Symbolfigur der Ungarischen Revolution, unter seinen Papieren.
Nach einem Gespräch in Paris mit dem Vorsitzenden der in Philadelphia beheimateten Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft kam Krajtsir zur Überzeugung, dass seine Zukunft in Amerika liege.
Ein sprachkundiger Lehrer
Károly Krajtsir, der wie viele Zipser mehrsprachig aufwuchs und neben Deutsch und Ungarisch auch Polnisch, Latein und Englisch beherrschte, wurde Sprecher der polnischen politischen Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Sein Ziel war es, eine eigenständige Siedlung für diese Personengruppe zu gründen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Nun setzte er sich eine andere Aufgabe: Das Gründen von Schulen mit einem guten Sprachunterricht. Der promovierte Arzt befasste sich jetzt mit Linguistik, schrieb dazu Bücher und errang Berühmtheit als Sprachlehrer.
Das erste von ihm verfasste Buch „The Poles in the United States“ erschien 1837 und informiert über Polen und dessen slawischen Wurzeln. Später folgten auf die Sprache bezogene wissenschaftliche Arbeiten wie „Significance of the Alphabet“ (1846) und „Glossology“ (1852).
Mary Lowell Putnam als Schülerin
Mary Lowell Putnam (1810-1898), die berühmte amerikanische Schriftstellerin und Übersetzerin, lernte bei Krajtsir Polnisch und Ungarisch. Mary Putnam soll mehr als sechs Sprachen fließend und weitere recht gut beherrscht haben. Von Krajtsir erfuhr sie über die Situation von politischen Emigranten. Diese machte sie zu Themen ihrer Artikel und informierte so die amerikanische Öffentlichkeit.
Zu spät zur Revolution 1848/1849?
Als die Nachrichten vom Beginn der Revolution in Ungarn, die zu einem Unabhängigkeitskrieg gegen die österreichische Vorherrschaft wurde, nach Amerika kamen, reiste Krajtsir nach Europa zurück. Für seine Ankunft in Ungarn gibt es jedoch keine Belege.
Dafür finden wir seinen Namen im Dezember 1849 als Reisender auf einem Schiff zurück in die Vereinigten Staaten, zusammen mit einer Gruppe ungarischer Revolutionsflüchtlinge. Der Führer dieser Gruppe war Újházy Lászlo (1795-1870), ein ungarischer Grundbesitzer, Politiker und Freiheitskämpfer. Újházy hatte für die Kapitulation der Festung Komárom/Komárno mit den Österreichern die freie Ausreise für sich, seine Offiziere und deren Familien ausgehandelt.
Beim US-Präsidenten
Krajtsir wurde Übersetzer und Berater dieser Gruppe. Am 15. Januar 1850 empfing der 12. US-Präsident, Zachary Taylor, Újházy und sein Gefolge im Weißen Haus in Washington, D.C.
Die dort von Újházy auf Englisch gehaltene Rede war mit Krajtsirs Hilfe entstanden und wurde von Taylor herzlich erwidert. Trotzdem konnte die vorgetragene, vermutlich von Krajtsir stammende Idee, die ungarischen Flüchtlinge in einer eigenen Kolonie anzusiedeln, nicht umgesetzt werden. Die vorgesehene Ansiedlung in der Gemeinde New Buda im Bundesstaat Iowa scheiterte. Újházy und einige seiner Leute fanden schließlich 1853 in Sírmező, Texas, ein neues Zuhause.
Krajtsir – eine Symbolfigur
Krajtsir, der seit 1851 in Morrisania (heute South Bronx), New York, lebte, starb dort am 7. Mai 1860. Er ist eine Symbolfigur für den Freiheitskampf europäischer Völker im 19. Jahrhundert, deren Ziele erst viel später erreicht wurden.
Dr. Heinz Schleusener