Von Lehm und Messern – Jugenderlebnisse aus dem Jahr 1929
Was macht ein Schüler, wenn er nach dem Unterricht nach Hause kommt? Dumme Frage, die Antwort wird natürlich „Schularbeiten“ bzw „Hausaufgaben“ heißen. Aber was passiert danach oder vielleicht schon vorher? Heute kommen viele nicht am Versenden von SMS oder E-Mails vorbei. Manche schrauben auch ihren Computer auf und bauen etwas aus und anderes ein. Einige werden auch die Wohnung oder das Haus wieder verlassen und einige Zeit an der frischen Luft verbringen. Vielleicht ähnlich wie es diese Schüler der vierten Klasse in Metzenseifen/Medzev im Jahr 1929 taten, über die nun berichtet werden soll.
Nach dem Schulschluss liefen sie schnell nach Hause: Allen voran Josef Roob und Viktor Müller. Nur die Richtung war verschieden, Josef musste in die Stößergasse, die heutige Štóska, Viktor hatte sein Zuhause nicht weit hinter der Brücke über die Bodva im Grund, heute als Grunt bezeichnet. Beide waren die Anführer der Jungen in ihren Straßen.
Begehrte herrenlose Fässer
An diesem Nachmittag war das Ziel der beiden 10-Jährigen und ihres Gefolges nicht das Lösen der schulischen und häuslichen Aufgaben in Haus und Garten, sondern einige Fässer, die sich nicht weit entfernt von der Bodva am Hof der Tischlerei gleich neben dem Schlachthof befanden. Diese seit einigen Tagen dort stehenden und anscheinend herrenlosen Fässer übten auf die Jungen des Ortes einen ganz speziellen Reiz aus. Sie enthielten Lehm, der sich wunderbar formen ließ und mit dem man Figuren gestalten konnte. Besonders ideenreiche Formen brachten bei den Mitschülern auch besondere Anerkennung. So entstand bei den Kindern schnell ein großes Interesse an diesen Lehmfässern.
Der Streit beginnt
Der Zufall wollte es, dass an diesem Tag beide Gruppen zur selben Zeit Lehm aus den Fässern nehmen wollten. Es begann ein Streit um Verfügungsgewalt über den Lehm, der in Handgreiflichkeiten auszuarten drohte. Heinrich Tomasch, der in der von der Familie Tomasch geführten benachbarten Tischlerei arbeitete, wurde durch den Lärm auf das Geschehen aufmerksam. Heinrich, Jahrgang 1901, war nicht nur 18 Jahre älter als die Jungens, er war auch sehr groß. Mit seinen etwa 1,90 m schaute er auf die Knaben herunter und wollte den Streit schlichten. Schnell wurde geklärt, dass das Objekt der Begierde eher zum Grund als zur Stößergasse gehörte. Jetzt sah es schlecht für Josef und seine Freunde aus.
Tauschobjekt aus Stoß
Josef hatte aber einen besonderen Trumpf parat. Sein Onkel arbeitete in der Firma Komporday, einer 1862 gegründeten Messerschleiferei, im 8 Kilometer entfernten Stoß. Dort wurden auch Taschenmesser hergestellt. Mit kleinen Fehlern behaftete und nicht für den Verkauf geeignete Exemplare brachte Josefs Onkel nach Hause. Josef bekam von ihm ab und zu ein einfaches kleines Taschenmesser, in Metzenseifen „Schnakra“ genannt. Damit bedachte er seine besten Freunde aus der Stößergasse.
Für Viktor war der Handel um den Lehm ein guter Grund, für den Zugang zu den Lehmtonnen von den Stößergässlern ein par Taschenmesser als Ausgleich zu fordern. Das Geschäft klappte, Josef bekam den Lehm und Viktor am nächsten Tag für sich und seine Freunde drei dieser begehrten Schnakras.
Interessant ist, dass die Stößer in ihrem Dialekt für diese Messer ein anderes Wort verwendeten. Sie nannten es „Zing“ (Ziege; auch im Slowakischen wird es Ziegenmesser, kozí nôž, genannt). Derartige Messer wurden in Stoß noch lange Zeit hergestellt, zuletzt von der Sandrik Štós a.s., die 1999 in Konkurs ging.
Die Heimat stets im Herzen
Josef und Viktor waren und blieben gute Freunde. Nach der vierten Klasse besuchten sie dank der Unterstützung durch den Metzenseifner Pfarrer Knüppel das deutsche Gymnasium in Mariaschein/Bohusudov, heute Tschechische Republik. Dort studierten weitere Metzenseifner, so der spätere Pfarrer Johann Quallich und Laci Pöhm. Heinrich Tomasch musste wie viele andere nach Kriegsende Metzenseifen verlassen. Er wanderte nach Amerika aus.
Sie alle vergaßen ihre Heimatstadt nie und engagierten sich in unterschiedlicher Form für den Ort. Josef Roob hat wesentlichen Anteil an der Gründung des Karpatendeutschen Vereins 1990. Seine schriftstellerische Arbeit bezieht sich vorrangig auf Metzenseifen. Die ausgewanderten Tomaschs gaben den mantakischen Dialekt noch eine Generation weiter.
Und heute?
Die Fässer mit Lehm gibt es wie die Messerschmieden in Stoß schon lange nicht mehr. Taschenmesser haben ihre Bedeutung als interessante Tauschobjekte verloren. Geblieben ist jedoch die Freude am gemeinsamen Lernen, an Sport und Spiel.
Es ist daher eine gute Idee, dass die Karpatendeutsche Jugend und das Karpatenblatt auch 2018 Veranstaltungen für junge Leute anbieten. Der YouTube-Workshop im April, in dem das sinnvolle Nutzen moderner Medien vermittelt wird, wird bestimmt mehr junge Leute zusammenführen als die Lehmfässer im Jahr 1929.
Dr. H. Schleusener