Im Fokus: die deutsche Minderheit in Brasilien
Wir stellen Ihnen das ganze Jahr über einmal pro Monat eine andere deutsche Minderheit vor. Dabei blicken wir über den Tellerrand in andere Länder. Dieses Mal werfen wir einen Blick ins südamerikanische Brasilien.
Etwa 300.000 Deutsche suchen zwischen 1800 und 1950 in Brasilien ihr Glück. Aber schon im Jahr 1500 bei Entdeckung des Landes sind Deutsche beteiligt. Der portugiesische Kapitän Alvarez Cabral hat bei seiner ersten Landung deutsche Kanoniere an Bord und sein Navigator und wissenschaftlicher Berater, Meister Johann, ist Deutscher.
Der aus Wolfhagen in Nordhessen stammende Landsknecht Hans Staden schreibt 1557 als Erster einen Bericht über die Ureinwohner. Ihm war es als Gefangener der Eingeborenen gelungen zu überleben und zu flüchten. Baron von Eschwege (1777-1855), in Diensten der portugiesischen Krone, entwickelt das Berg- und Hüttenwesen Brasiliens entscheidend.1)
Goethe und sein Heideröslein
Einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des Landes in politischer, kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht übt jedoch Leopoldine, die hochgebildete Gemahlin des Kaisers Dom Pedro I aus. Die Tochter des Habsburger Kaisers Franz I. sorgt u.a. dafür, dass viele europäische Wissenschaftler und Forscher, Siedler und Soldaten, darunter viele Deutsche ins Land kommen. Goethe, der sie in Karlsbad kennenlernt, damals war sie noch ein Kind, verehrt sie, widmet ihr Gedichte und nennt sie „mein Heideröslein“. An allen bedeutenden politischen Entscheidungen ist sie beteiligt.
Einflussreiche politische Kreise wollen sie an Stelle ihres Gemahls zur Herrscherin erheben. Sie bleibt aber trotz erniedrigender Behandlung durch ihren Ehemann loyal. Ihr sechstes Kind ist der männliche Thronfolger, den sie so herbeigesehnt hat. Er wird später als Pedro II 50 Jahre das Land regieren. Sie stirbt mit 29 Jahren, als sie nach einem Streit mit ihrem Gemahl, der sie versehentlich in den Bauch tritt, eine Fehlgeburt erleidet.2)
Vier Einwanderungsphasen
Die Einwanderung von Deutschen in großer Zahl nach Brasilien erfolgte in vier Phasen: beginnend im neu ausgerufenen Kaiserreich 1822 bis 1859, das Jahr, in dem Preußen im sogenannten „Heydtschen Rescript“ die Auswanderung nach Brasilien wegen der dort herrschenden ungünstigen Bedingungen für Evangelische untersagte. In der dann folgenden zweiten Phase, die bis zum ersten Weltkrieg dauerte, gab es viele individuelle Einwanderungen, aber es kamen auch zwischen 1877 und 1888 Tausende von Wolgadeutschen und viele deutsche Siedler aus der Bukowina nach Brasilien. Schließlich zählte als dritte und vierte Phase die Zeit zwischen den Weltkriegen und nach 1945.3)
Die Deutschen im Süden Brasiliens
Die große Mehrheit der Deutschen siedelte in Südbrasilien, in den Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná. So findet der Reisende in diesen Staaten auf Schritt und Tritt deutsche Spuren. Auf der sogenannten „Rota Romântica“ der brasilianischen „Romantischen Straße“, die im Staate Rio Grande do Sul von Sâo Leopoldo im Süden mit verschiedenen Abzweigungen und Nebenstrecken nördlich nach Canela und weiter nach Westen bis Sao Francisco de Paula verläuft, sieht man Fachwerkhäuser, deutsche Namen, Restaurants und Cafés, die u.a. Eisbein mit Sauerkraut und Apfelstrudel anbieten, und man begegnet Menschen, die deutsch sprechen.
Eine der bekanntesten deutschen Stadtgründungen in Südbrasilien ist Blumenau im Staate Santa Catarina. Hier wird das nach dem Karneval in Rio zweitgrößte Volksfest Brasiliens begangen, das Oktoberfest nach Münchner Vorbild mit über 600.000 Besuchern. Die Veranstalter behaupten zwar, dass es das zweitgrößte Oktoberfest der Welt sei, vergessen aber, dass in der ehemaligen deutschen Kolonie in Tsingtau (Qingdao) in China 3 Millionen Chinesen auf ihre Wiesn gehen und das berühmte Tsingtau Bier trinken.
Bei den Deutschen in Espirito Santo
Im Küstenstaat Espirito Santo, der im Süden an Rio de Janeiro, im Westen an Minas Gerais und im Norden an Bahia grenzt, ließen sich vor allem Menschen aus Pommern und dem Hunsrück nieder. Die ersten kamen 1846. Am Gouverneurspalast der Hauptstadt Vitoria heißt es auf einer Gedenktafel zur 150-jährigen Wiederkehr der beginnenden deutschen Einwanderung (übersetzt): „Das Volk von Espirito Santo ist voller Stolz, die deutschen Einwanderer empfangen zu haben (15 katholische und 6 lutherische Familien), die mit ihrer Tatkraft und ihrem Gemeinsinn zur Entwicklung des Staates und des Landes Brasilien beigetragen haben“.
Eine große Anerkennung. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs sah das ganz anders aus. Die Deutschen durften wie in anderen Siedlungsgebieten Brasiliens ihre Sprache nicht mehr sprechen, ihre Schulen wurden geschlossen, ihre Bücher verbrannt, Vermögen beschlagnahmt. Trotzdem haben sie sich, besonders in ländlichen Gebieten ihre Sprache und Kultur erhalten. In vier Großgemeinden ist das Pommerische sogar Amtssprache und heute ist man stolz darauf, dass diese Sprache nur noch in Brasilien in großem Umfang gesprochen wird.
Domingos Martins
Santa Isabel, etwa 40 Kilometer von Vitoria entfernt im bergigen Landesinneren, war die erste deutsche Siedlung in Espirito Santo. Es kam zwischen Evangelischen und Katholischen zu religiösen Streitereien, und so zogen die Evangelischen ein paar Kilometer weiter in das heutige Domingos Martins. Hier bauten sie ihre 1866 fertiggestellte Kirche. Wie im Habsburger Reich war es auch im katholischen Brasilien den Evangelischen nicht erlaubt, einen Turm zu bauen. Sie taten es trotzdem. Und er steht heute noch.
Santa Maria de Jetibá
Im 60 Kilometer nördlich von Domingos Martins gelegenen Santa Maria de Jetibá regiert Hilário Roepke. 2016 wurde er zum vierten Mal als Bürgermeister wiedergewählt, in der Stadt, die auch heute noch von Pommern dominiert wird. Die anderen deutschen Siedler sind längst assimiliert, haben Sprache und Kultur der Pommern angenommen. Der Bürgermeister ist stolz auf seine Gemeinde, die knapp 40.000 Einwohner hat und 734 Quadratkilometer umfasst. Er weiß Erstaunliches zu berichten. Zehn Folkloregruppen und zwölf Bläserchöre pflegen das kulturelle Erbe.
Die mehrheitlich aus Landwirten bestehenden deutschen Einwanderer haben, begünstigt auch durch das gemäßigte Klima, in der Region die mit am besten strukturierte Landwirtschaft Brasiliens entwickelt. Monokulturen wie andernorts gibt es nicht. Die Fakten sind beeindruckend: Die Gemeinde ist der größte Gemüseproduzent des Staates Espirito Santo, 3.000 familiäre Betriebe sind daran beteiligt. 4 Millionen Legehennen, viele davon werden von Kleinbauern gehalten, produzieren 2,8 Millionen Eier täglich, 130 Tausend Tonnen Oliven werden jährlich geerntet. 2.000 Farmer produzieren 90.000 Sack Kaffee pro Jahr. Hinzu kommen Blumen-, Bienen- und Fischzucht sowie Betriebe der Agrarindustrie.
Santa Maria de Jetibá ist aber nur ein Beispiel für den Aufschwung der brasilianischen Landwirtschaft durch die deutschen Einwanderer. Eine einfache, aber bahnbrechende Maßnahme war die Einführung des Pfluges und der Egge durch deutsche Siedler. Bevor sie kamen, wurde nur mit der Hacke gearbeitet.4)
Text und Fotos: Rudolf Göllner
- Hartmut Fröschle, Siedlung und Leistungen der Deutschen in Brasilien, In: Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte, Windhoek-Gelnhausen 2008-12
- H.Schüler, Dona Leopoldina, Erste Kaiserin von Brasilien, Herausgegeben vom INSTITUTO BENEFICIENTE E GENEALOGICO „FREDERICO MENTZ“, Porto Alegre 1954
- Hartmut Fröschle, ebenda
- Karl H.Oberacker, Der deutsche Beitrag zum Aufbau der brasilianischen Nation, São Leopoldo, 1977, S321ff