Droht unser Ich zur Ware zu werden?
In unzählig vielen Studien über das „neue Profil des Menschen“ wird darauf aufmerksam gemacht, dass das Ich des Menschen zur Ware zu werden droht. Schon allein durch das Internet hat sich die Definition des Ich verändert. Der Mensch ist nicht mehr nur Person mit ein paar persönlichen Daten, sondern er ist zu einem Datensatz geworden, der durch Firmen wie Facebook und Google im Netzwerk vermarktet wird.
Informatiker sprechen vom Computer als Bewusstseinsmaschine, die neue Formen des Denkens generiert. Doch die hergestellten Zusammenhänge sind keine vom Menschen gestalteten Sinnzusammenhänge mehr. Sie verfeinern lediglich technische Muster. Die Google-Facebook-Welt besagt also, dass der einzelne Mensch, der von Beginn an aus seinem Ich heraus bewusst leben und lernen will, für sie nicht mehr bedeutsam ist, obwohl sie alles von ihm wissen wollen.
Abkoppelung des Denkens vom Bewusstsein?
Bedeutsam ist immer nur die große Zahl der Ichs, von denen sie alles wissen müssen, damit die Rechner von ihnen komplexe Leistungsprofile erstellen können. Droht dadurch das Ich des Menschen zur bewusstlosen Ware zu werden, über die dann von außen oder von oben verfügt werden kann? Bleibt hier nicht der Mensch, der als soziales Wesen auf Beziehungen von Mensch-zu-Mensch angewiesen ist, auf der Strecke? Auf diese Fragen macht uns besonders der Humanist und Historiker Yuval Noah Harari mit Nachdruck aufmerksam, dessen Werk „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ in über 40 Sprachen übersetzt wurde.
Und in seinen neuesten Forschungen findet er heraus, dass der Menschheitsentwicklung eine Abkoppelung des Denkens vom Bewusstsein droht: Der Mensch fängt an herzlos wie eine Maschine zu denken und wird zur formallogischen Denkmaschine abgewertet. Dieses Denken dominiert die auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Wirtschaft in Ost und West. Und es kann dann das menschliche Miteinander beherrschen und wir schreiten einer noch nie gekannten Diktatur des Machens entgegen.
Bewegt sich die Politik heute nicht in diese Richtung?
Meine Antwort auf diese Machbarkeitsideologie: Menschen aller Altersstufen in Familie und anderen Lebensräumen, besonders im Bildungs- und Freizeitbereich, sind Beziehungen im menschlichen Miteinander zu ermöglichen, die in seinem Bewusstsein, in seinem Gefühl und Herzen verankert sind. Dieses Miteinander ist zum Beispiel auch mit Flüchtlingen zu pflegen, deren Leidensweg uns an die schrecklichen eigenen Fluchterfahrungen erinnert.
Durch diese Kultur des Herzens verändert der Mensch sein Wahrnehmen und Handeln dahingehend, dass er den immer mächtiger werdenden technisch zu bewerkstelligenden Algorithmus in der Datenverarbeitung überwindet und sich als freier und autonomer Mensch zusammen mit anderen Menschen bewusst weiterentwickeln kann.
Prof. Dr. Ferdinand Klein