„Beim Übersetzen geht es nicht nur um die Wörter, sondern auch um Melodie, Sprachstil, Kultur“
„Es hat einige Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe, ein ganzes Buch zu übersetzen“, sagt Paulína Šedíková Čuhová. Die slowakische Germanistin übersetzt nicht nur zeitgenössische deutsche Literatur ins Slowakische, sondern ist auch als Dozentin tätig. Anlässlich des Internationalen Übersetzertages gibt sie im Karpatenblatt-Interview einen Einblick in ihre Arbeit und ihre Faszination für die deutsche Sprache.
Wie ist Ihr Weg zum Beruf der Übersetzerin verlaufen?
Seitdem ich mich erinnere, war ich immer schon von der Literatur besessen. Als ich mit dem Studium der Germanistik begonnen hatte, hat sich für mich ein neuer Raum eröffnet – die neuere und gegenwärtige deutschsprachige Literatur. Ich mochte sie so sehr, dass ich mich entschieden habe weiter zu studieren. Meine Dissertation habe ich über die ausgezeichnete Schweizer Autorin rumänischer Herkunft Aglaja Veteranyi geschrieben und ich wollte mich ihrem Text möglichst gut annähern. Als ich begonnen habe, den Text nur für mich zu übersetzen, konnte ich nicht mehr aufhören. Es war ein neues und sehr überraschendes, aber erfreuliches Gefühl, mich in diesen Text zu versetzen, ihn zu verstehen und „neu“ zu interpretieren und zwar in meiner Muttersprache. Ich habe eine Leseprobe an eine Zeitschrift geschickt, die Reaktion war sehr gut. Lustigerweise war inzwischen Veteranyis Buch von einer anderen Übersetzerin übersetzt worden. Für mich wurde aber dieser Moment – am Computer zu sein und einen Satz nach dem anderen in meine Muttersprache zu übertragen – sehr wichtig und prägend. Ich habe es dann mit anderen Leseproben bei diversen Zeitschriften versucht und es hat einige Jahre gedauert, bis ich mich getraut habe, ein ganzes Buch zu übersetzen.
Sie haben Geschichte und Germanistik studiert, später haben Sie eine Übersetzerkarriere begonnen. Was hat Sie an diesem Beruf am meisten fasziniert?
Faszinierend bleibt für mich immer dasselbe – die Möglichkeit zu haben, mich in eine neue Welt zu versetzen, ein Teil dieser Welt zu sein und dieser Welt und den Menschen in ihr meine Stimme zu verleihen – beim Übersetzen geht es nicht nur um die Wörter, sondern auch um Melodie, Sprachstil, Kultur – da bin ich verpflichtet, alles komplex zu fassen. Das Reizende ist, mich in das Buch vertiefen zu können, das Buch anders als die anderen lesen zu dürfen und ein Teil von ihm zu werden.
Sie sind zurzeit als Dozentin an der Katholischen Universität in Rosenberg/Ružomberok tätig, Sie sind Germanistin und übersetzen auch zeitgenössische deutsche Literatur ins Slowakische. In welchem von diesen Berufen fühlen Sie sich am wohlsten?
In beiden. Ich unterrichte sehr gerne, ich schätze den Kontakt mit den StudentInnen, es hält mich auf dem Laufenden (auch sprachlich) und ich liebe die Energie, die wir uns mit den StudentInnen gegenseitig schenken. Ganz anders ist es beim Übersetzen. Es ist eine sehr einsame Tätigkeit, wo man sich selber vervollständigen muss und die aus der psychologischen Perspektive manchmal sehr therapeutisch, aber ab und zu auch zerstörerisch sein kann. So kann ich aus dieser Einsamkeit herauskommen und umgekehrt in sie zurückkehren. Ich denke, dass ich großes Glück habe, dass ich beides machen kann. Außerdem ergänzt sich beides gegenseitig – da ich gegenwärtige Literatur unterrichte und meistens die Romane von zeitgenössischen AutorInnen übersetze.
Insgesamt haben Sie bereits an elf literarischen Übersetzungen gearbeitet. Welche war für Sie persönlich am schwierigsten?
Bald werden es dreizehn sein. Die schwierigste Übersetzung war bis jetzt zweifellos der Erfolgsroman „Der Nachtzug nach Lissabon“ von dem Schweizer Autor Pascal Mercier. Pascal Mercier war lange Zeit Professor für Philosophie, hat sich obsessiv mit der Philosophie der Sprache beschäftigt, mit der Problematik der Erkenntnistheorie und Moralphilosophie. Das alles ist in seinem Roman sehr präsent. Vielmehr als in die Geschichte an sich, musste ich in das geistige Leben der Protagonisten eintauchen, für die Aufzeichnungen und Reflexionen beider Hauptfiguren ein spezifisches Vokabular finden, mehreres in der Sekundärliteratur überprüfen und viel recherchieren. Mercier liebt lange Sätze, Abschweifungen, ich musste mit den Sätzen manchmal spielen, sie umformulieren, damit sie verständlich wurden.
Welche Übersetzung hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Das ist eine schwierige Frage. Genossen habe ich fast alle „meine“ Bücher. Eine sehr interessante und lustige Arbeit war die Übersetzung des Buches „Kalmann“ von dem Schweizer Autor Joachim B. Schmidt, das in zwei Monaten in dem kleinen Verlag Literárna bašta erscheint. Die Hauptfigur – Kalmann – ist ein extrem liebenswerter Mensch – gutherzig und naiv und seine begrenzte Perspektive auf sich selbst und auf die Welt im Allgemeinen ins Slowakische zu übertragen, hat mir viel Spaß gemacht. Außerdem spielt sich diese seltsame Krimigeschichte und zugleich Außenseiter-Studie auf Island ab, was dem ganzen Geschehen viel Flair verleiht.
Bei Ihren übersetzten Titeln fällt dem Leser vielleicht auf, dass es sich meist um Autoren handelt, die nicht ursprünglich aus Deutschland stammen und sozusagen Deutsch als Fremdsprache haben. Warum reizen Sie gerade die Werke solcher Autoren?
Da haben Sie völlig recht. Die Erklärung ist einfach. Ich beschäftige mich mit der Literatur der AutorInnen mit Migrationshintergrund wissenschaftlich schon länger. Mir gefällt die Vielfältigkeit und die neue Dynamik, die diese AutorInnen in die deutschsprachige Buchszene bringen und der Begegnungsraum, der hier auf mehreren Ebenen entsteht.
Unter anderem ist es Ihnen in diesem Jahr gelungen, „Kukolka“ zu übersetzen – ein Werk der bekannten deutschen Schriftstellerin Lana Lux. Wie war für Sie der Übersetzungsprozess dieses Buchs, das so herausfordernde Themen wie die Pubertät eines Kindes vor dem Hintergrund eines rücksichtslosen Sowjetlandes und sein anschließendes schweres Schicksal im damaligen Deutschland einfängt?
Ja, eben – die Themen dieses Buches… Ich muss ehrlich sagen, zwei- oder dreimal während des Übersetzens habe ich in Tränen geschwommen und konnte nicht weitermachen. Lana Lux schrieb die Geschichte der kleinen Samira wirklich schonungslos und die Geschichte bricht einem das Herz. Da ich eine Tochter genau im Alter von Samira habe, war es sehr schwer, Abstand zu halten und das Übersetzen hat wehgetan. Man muss unbedingt über solche Themen schreiben – auch wenn das Lesen wehtut.
Heute ist der Internationale Übersetzertag und dieser Beruf ist sicherlich für viele junge Leute, die sich für Sprache interessieren, reizvoll. Was würden Sie gerne jungen angehenden Übersetzern mitgeben?
Nicht beim ersten gescheiterten Versuch aufgeben. Es ist normal, dass der Verlag den Text ablehnt. Immer weiter machen. Und viel lesen – sowohl in der Fremdsprache als auch in der Muttersprache. Ohne das geht es nicht. Die Muttersprache muss immer kultiviert werden, sie entwickelt sich ständig und die ÜbersetzerInnen müssen die eigene Muttersprache perfekt beherrschen.
Was wäre Ihr Übersetzungstraum? Welches Werk würden Sie gerne übersetzen?
Bei mir ist es sehr schwierig. Immer wenn ich ein gutes Buch lese, verspüre ich sofort den Drang, es zu übersetzen, was natürlich nicht geht – zeitlich und nicht immer sind die VerlegerInnen so begeistert wie ich. Diese Frage kann ich, denke ich, nicht beantworten, weil mit jedem neuen Buch, das ich lese, der Drang kommt. An die Klassiker, die ich gerne übersetzen würde und die es verdienen auch auf Slowakisch übersetzt zu werden, wage ich mich noch nicht. Dafür brauche ich noch mehr Erfahrungen.
Das Gespräch führte Matej Lanča.