Berühmte Zipser: Der Arzt Michael Guhr
Arzt, Skifahrer und Liebhaber der Hohen Tatra – Michael Guhr war ein außergewöhnlicher Mediziner. Seine Spuren führen zu einem Sanatorium im kleinsten Hochgebirge der Welt, wo heute unter anderem Atemwegserkrankungen behandelt werden.
Der vermögende Paul Weszter lebte etwa zwischen 1875 und 1921 in Groß Schlagendorf und führte dort das Hotel „Weszter-Park“. Weszterheim nannte er eine für ihn gebaute Jagdhütte in der Hohen Tatra – die Villa Marianna. Sie wurde neben dem gerade neu entstandenen Fahrweg von Schmecks/Smokovec zum Tschirmer See/Štrbské Pleso auf einer Lichtung mit dem Namen Polianka errichtet.
Um diese Villa Marianna entstanden weitere, mit Namen bezeichnete Gebäude, es entwickelte sich nach und nach eine kleine Siedlung. Sie führte zunächst den deutschen Namen Schönau, dann Weszterheim beziehungsweise bis zur Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1919 den ungarischen Namen Tatra-Széplak oder kurz Széplak. Danach bekam sie den heutigen Namen Tatranská Polianka.
Grundstückskauf
Paul Weszter hatte 1881 das Grundstück mit zwei Schwagern, dem ebenfalls in Groß Schlagendorf beheimateten Michael Guhr und dem in Groß Lomnitz lebenden Samuel Nitsch gekauft. Die 1884 dort entstandene, malerisch gelegene Jagdhütte, das Weszterheim, sollte zunächst nur das Heim des Paul Weszter sein. Richtig bekannt wurde der schöne Platz in der Hohen Tatra sehr bald danach durch den Sohn seines Schwagers Michael Guhr. Dieser Michael Guhr, der Neffe des Paul Weszter, wurde 11. März 1873 in Groß Schlagendorf geboren, seine Mutter war Juliana Loisch.
Paul Weszter fördert Neffen
Michael zeigte früh gute schulische Leistungen, auch später auf den Gymnasien in Kesmark/Kežmarok und Groß Steffelsdorf/Rimavská Sobota. Das war wohl ein guter Grund für Paul Weszter, seinem Neffen das Studium der Medizin zu ermöglichen. Michael studierte in Budapest, Wien und auch Berlin. Das Studium schloss er 1895 ab. Fast zwei Jahre reiste er noch in Europa herum, um sich über Kur- und Wintersporteinrichtungen zu informieren.
Aus Jagdhütte wird Sanatorium
Als er 1897 zurückkehrte, war die Jagdhütte dank des beginnenden Tourismus ein beliebtes Ziel geworden. Die Zahl der Sommergäste nahm trotz der damals kurzen Saison von zwei Monaten stetig zu. Zwischen Schmecks/Smokovec und Tschirmer See/Štrbské Pleso (ung. Csorba tó) gelegen, war sie nicht nur Raststätte, sondern auch Ausgangspunkt für Wanderungen in das Felka-Tal/Velická dolina und dessen Umgebung.
Bereits die Karpathen-Post vom 16. August 1888 schreibt dazu:
„Széplak (Schönau). Was ist und wo ist Széplak? Es ist die von Herrn P. Weszter am Fuße des am Kreuzhügels, am Touristen-Weg zwischen Csorber-See und Schmecks neu erbaute, in einer sehr schönen und für Touristen günstig gelegenen Villa. Sie liegt im Mittelpunkt der Südost-Seite der Tatra, 4 Kilometer von Schmecks, etwa 6 km vom Blumengarten, 15 km vom Csorber-See und 18 km vom Höhlenhain, also in der Mitte des Weges vom Kriváň bis Höhlenhain. Von Széplak wird ein neuer, sehr bequemer, selbst für Damen nicht ermüdender Fußweg und Fahrweg nach dem Blumengarten angelegt (…)“
Spätestens danach war klar, das kleine Gebäude sollte dem wachsenden Andrang bald nicht mehr genügen. 1890 und 1891 wurden ein zweites und drittes Gästehaus gebaut, 1893 ein viertes, ein Kaffeehaus. Im Sommer des Jahres 1893 übernahm der noch an der medizinischen Fakultät der Universität Budapest studierende Michael die Betreuung der sich hier erholenden Gäste. 1896/97 entstand ein Badehaus und Michael Guhr, inzwischen promovierter Arzt, führte hier Kaltwasserkuren durch. Immer neue Behandlungsmethoden ergänzten die bisherigen, sie nutzten auch die Luft und die Höhensonne in der Tatra.
Initiator des Wintersports
Dr. Guhr hatte sich auf seinen Reisen durch Europa in Norwegen für den dortigen „Schneelauf“ interessiert und bemühte sich, den Wintersport als Heilfaktor in sein medizinisches Programm aufzunehmen. Er ließ den Talweg nach Felka zu einer Rodelbahn umgestalten, später ließ er auch eine Bobbahn und eine kleine Sprungschanze bauen.
Der Ungarische Schiklub und der Schneelauf-Verband führten seit 1911 ihre Landeswettbewerbe und internationale Schneewettläufe in Tatra-Széplak durch. Individuell gestaltete sportliche Programme waren Teil seiner Behandlung. Dazu zählten auch Liegekuren im Schatten oder in der Sonne. Dazu kam eine diätische Ernährung.
Die Heilwirkung der Tatraluft war bereits längere Zeit Bestandteil seiner Therapien. Er behandelte Asthma, Tuberkulose, Nerven- und Schilddrüsenerkrankungen, sammelte Behandlungsdaten, wertete diese aus und publizierte die Ergebnisse. Bekannt wurde seine Arbeit über „Klimabehandlung der Schilddrüsenerkrankung“, die er in verschiedenen Fachzeitschriften und auf Kongressen zur Diskussion stellte. Auch in den USA hielt er Vorträge.
Ganzjahresbetrieb
Ab 1910, nach dem Einbau einer Zentralheizung und dem Elektrifizieren der gesamten Siedlung, konnte die Sommersaison mit der Wintersaison verbunden und die Einrichtung ganzjährig betrieben werden. Guhrs Unterstützung für den Skilauf brachte Touristen in immer größerer Zahl in die Hohe Tatra.
Schwerpunkt Klimasanatorium
Der Heilcharakter der Guhrschen Einrichtung rückte aber stärker in den Vordergrund. In Mitteleuropa hatte man zunächst nur die Klimabehandlung in Davos verfolgt, mehr und mehr machte das Sanatorium des Dr. Guhr auf sich und seine Erfolge aufmerksam. Guhr erreichte auch erstaunliche Ergebnisse bei der Behandlung von Hautkrankheiten wie der Psoriasis (Schuppenflechte).
Im Jahr 1912 wurde auch der Betrieb auf der meterspurigen elektrischen Lokalbahn, der heutigen Tatranské elektrické železnice, zwischen Deutschendorf/Poprad und Tschirmer See mit einer Haltestelle in Weszterheim aufgenommen.
Arzt, Lehrer und Kommandant
Der Erste Weltkrieg stoppte weitere bauliche Arbeiten. Zum 25-jährigen Bestehen des Sanatoriums widmete die in Kesmark erscheinende Karpathen-Post am 25. Juli 1918 ihre ganze Titelseite diesem Jubiläum. Aus dem Sanatorium wurde ein Lazarett. In einem der Gebäude wurden TBC-Kranke isoliert und behandelt.
Dr. Guhr als guter Skiläufer übernahm sogar noch zusätzlich die Ausbildung von Soldaten im Gebrauch von Schneeschuhen. Mit zehn Zivilinstruktoren führte er das Kaschauer Korps in das Skilaufen ein. Es hieß, er war jetzt Arzt, Lehrer und Kommandant in einer Person.
Ausbau zu großem Sanatorium
Nach Ende des Krieges lagen die Zips und damit das Sanatorium nicht mehr in Ungarn, sondern gehörten nun zur neugegründeten Tschechoslowakei. Das war eher ein Vorteil, denn man gehörte nicht mehr zu dem Staat, der den Krieg verloren hatte. Es änderte sich aber der Name – aus Weszterheim wurde „Tatranská Polianka“.
Die durch den Krieg unterbrochenen Modernisierungs- und Ausbauarbeiten gingen weiter. Alle Inneneinrichtungen, insbesondere die Behandlungsräume, wurden rekonstruiert und ein neues, großes Sanatoriumsgebäude mit dem heutigen Aussehen entstand im Jahr 1924.
Nachfolge stets geregelt
Paul Weszter, der die Siedlung ins Leben gerufen hatte, starb 1921. Nun übernahm Dr. Guhr die Gesamtverantwortung. Erst 1928 änderte er den Namen in Dr.-Guhr-Sanatorium. Schwerpunkt war weiterhin das Behandeln von Erkrankungen der Atemwege. Guhr führte nun seinerseits einen Neffen als zukünftigen Nachfolger ein, den jungen Dr. Paul Kunsch (1891- 1959). Dass dieser als Chefarztassistent an diese Aufgabe herangeführt wurde, war eine kluge Entscheidung, denn Dr. Michael Guhr starb am 23. August 1933.
Dr. Kunsch führte das Sanatorium bis 1944, dann musste er nach Österreich fliehen. Das Sanatorium wurde nach Kriegsende umbenannt. Inzwischen führt es wieder den Namen des Mannes, dem es gemeinsam mit Paul Weszter seine Entwicklung und Ausstrahlung in die ganze Welt verdient, den Namen „Sanatorium Dr. Guhra“ (Sanatorium des Dr. Guhr).
Dr. Heinz Schleusener