Mnisek nad Hnilcom

Das Literaturkränzchen und die „Bergstädte der Unterzips“

Das Literaturkränzchen in Einsiedel an der Göllnitz/Mnísek nad Hnilcom beschäftigt sich immer wieder mit spannenden Autoren aus Deutschland, aber auch aus der deutschen Minderheit. Für das nächste Treffen werden wir uns mit dem Buch „Bergstädte der Unterzips“ auseinandersetzen.

Ladislaus Guzsak gab es zusammen mit dem Arbeitskreis Unterzips 1983 in Stuttgart heraus. Das Unterzips interessiert uns natürlich ganz besonders und so haben wir schon über mehrere Themen daraus gesprochen. Diesmal werden wir uns ausführlicher mit den „Einsiedler Sagen“ beschäftigen. Im Buch sind die Sagen auf Hochdeutsch geschrieben und wir werden sie in unsere Mundart – in das Mantakische – „übersetzen“ und so beim nächsten „Literaturkränzchen“ erzählen.

Einsiedler Sagenwelt

Einsiedel liegt in einem Talkessel umgrenzt von Wäldern und Bergen, wie sie schöner in Märchenbüchern nicht beschrieben sein könnten. Bekanntlich ist in solchen Regionen der Nährboden für Aberglauben, Märchen, Sagen und dergleichen besser verbreitet als in der Eintönigkeit der Ebene. Und so sind auch hier neben zahlreichen bereits vergessenen Sagen und Spukgeschichten einige Geschichten noch bis in die heutige Generation überliefert.

Ein Beispiel dafür ist die Sage vom „Stadujkal“, was als „die Nachdenkende“ übersetzt werden kann. Ein im Volksmund nur als „Stadujkal“ bekanntes Mädchen soll Anfang des 19. Jahrhunderts mit Zähnen und Haaren auf die Welt gekommen sein. Bis zu ihrem 13. Geburtstag soll sie stumm gewesen sein und in ihrem Wachstum zurückgeblieben. Mitunter sah man sie den Kopf in die Hände gestützt vor sich hin sinnieren oder durch Einsiedel wandeln. Ab ihrem 13. Geburtstag sprach sie fast nur noch in Weissagungen. Infolge ihres zwergenhaften Körperbaues war sie unfähig zu arbeiten und bestritt ihren Lebensunterhalt von Almosen. Oft hielt sie sich bei einem Bauern auf, dem sie eines Morgens riet, seine Ochsen nicht auf die Weide zu treiben. Dem schönsten seiner Tiere würde ein Horn abgebrochen, wenn er es täte. Der Bauer lachte darüber, was ihn abends reute, denn die Vorhersage erfüllte sich.

Ein anderes Mal geschah´s, dass die junge „Stadujkal“ im jetzigen Zentrum des Ortes an Bauarbeitern vorbeikam, die mit dem Ausschachten für den Bau der evangelischen Kirche beschäftigt waren. „Stadujkal“ sprach zu ihnen: „Hört auf mit dieser Tätigkeit, hier wird niemals eine Kirche stehen.“ Bald danach wurden die Arbeiten eingestellt.

Später begab es sich, dass Kinder Ringelreihen auf den Wiesen unter dem Spitzenberg spielten. Dabei fiel das „Stadujkal“ hin und presste sein Ohr an die Erde. „Hier, hier höre ich Engel singen“, war sein Ausruf, „hier wird eine Kirche stehen“! An dieser Stelle wurde tatsächlich die evangelische Kirche erbaut.

Der Spitzenberg und seine Säulen

Den Blick zu dem Spitzenberg gewandt, prophezeite sie einmal: „Dieser Berg ist auf vier goldenen Säulen gebaut. Darunter befindet sich ein tiefer, kristallklarer Bergsee, in dem eine Fee wohnt. Eine dieser Säulen ist bereits eingestürzt. Die Fee hat um die drei andere Stützen viele goldene Fäden gesponnen, damit der Berg nicht zusammenbricht. Doch wehe! Wenn die Menschen der Heimat untreu werden, da stürzen alle Säulen zusammen, der See ergießt sich über das ganze Tal und Menschen sowie Tiere kommen in den Wassermassen um.“

Ihre prophetischen Voraussagen reichen bis in unsere Zeit. So sprach sie zum Beispiel von einem „Blinden Ross“, das in der „Au“ rennen und Funken sprühen werde. Damit war wohl die Schmalspurbahn gemeint, die gebaut, inzwischen aber wieder infolge der später durch das Tal geführten Eisenbahnlinie Margarethen – Roter Stein abgetragen wurde.

Von Flucht, Bergschätzen und Aussöhnung

Auch von fliegenden Drachen wusste das Mädchen zu erzählen, als Flugzeuge noch Zukunftsmusik waren. Doch auch ihre drohenden Worte hallen bis heute nach: „Wenn sich die Kleidung der Hirtenkinder von denen der Bürgerkinder nicht mehr unterscheiden werde, kommen schlechte Zeiten und es gibt Krieg. Die Menschen werden flüchten. Die ersten Flüchtenden können ihr Habe noch mit dem Wagen wegschaffen, die letzten werden nicht mehr Zeit haben, ein Bündel zu schnüren.“

            Es kommt eine Zeit, wo die Ratsherren „Kijpel“ tragen werden (Kijpel sind eine Art Sandalen, die die Slowaken trugen und die sie selbst anfertigten). Weiter sagte das „Stadujkal“, auch diese Zeit werde vorübergehen und eines Jahres, wenn die Kirschbäume verblüht sein werden, findet eine große Versöhnung unter den Völkern statt. Die Heimkehrenden werden sich freudig umarmen und einander fragen: „Wo und wie hast du dich erhalten?“ Für Einsiedel beginne dann eine glückliche Zeit. Aus den Stollen werden wieder Erze herausgefahren, die mit Tannenzweigen abgedeckt werden müssen, damit ihr strahlender Glanz die Menschen nicht blendet.

            Wenngleich einige Prophezeiungen „Stadujkals“ eine frappante Ähnlichkeit mit dem Geschehen in den Jahren 1944 und danach haben, so ragt der Spitzberg noch immer majestätisch empor. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Fee der Bevölkerung unter dem Wahrzeichen Einsiedels, das Ertrinken in den Wassermassen erspart. Es bleibt auch zu hoffen, dass die Voraussage von der großen Aussöhnung der Völker sich bewahrheitet und eine glückliche Zeit für Einsiedel anbricht.

(Aus dem Buch „Bergstädte der Unterzips“)

Ilse Stupák