Hartmut Rosa Resonanz

Der drohenden Resonanztaubheit die Stirn bieten

Der heute viel diskutierte Soziologe und Sozialphilosoph Hartmut Rosa (geb. 1965) wendet sich dem unverfügbaren zwischenmenschlichem Raum zu. Er sieht in dem Begriff Resonanz eine Möglichkeit zu dem Innenleben des anderen Menschen zu finden, mit ihm ein In-Beziehung-Treten zu pflegen durch wechselseitiges inneres Berühren für ein gelingendes Leben. Gelingt dies nicht, dann beginnt eine Entfremdung.

Hartmut Rosa erkennt, dass heute die Sinnressource zunehmend austrocknet und Menschen in eine Sinnkrise führen kann. Erwachsene und Kinder erfahren aber ihr Leben dann als sinnvoll, wenn sie sich mit der Welt und besonders mit anderen Menschen, mit ihrer Arbeit und ihrer Umgebung verbunden fühlen und in diesem Resonanzraum danach handeln. Anders gesagt: wenn sie Resonanz erleben und die Welt zu ihnen spricht.

Versuchen wir die Entwicklung eines Kindes auf der Grundlage der mir bekannten Erkenntnisse aus den Humanwissenschaften auf den Punkt zu bringen, dann können wir sagen: Jedes Kind wächst von Beginn an in die sozialen Regeln seiner Mitwelt hinein, lernt diese immer besser zu verstehen und einzuhalten, ebenso gestaltet es diese aus eigener Initiative mit, sofern seinem Bedürfnis nach Resonanz, nach einfühlender Antwort, nach Anerkennung und Achtung seiner individuellen Entwicklung entsprochen wird. Hier gestaltet es im sozialen Miteinander seine Entwicklung und die Entwicklung seiner Mitwelt mit.

Der drohenden Entfremdung die Stirn bieten

Rosa fragt nach den verschiedenen Möglichkeiten der Weltbeziehung des Menschen in der Geschichte. Er erkennt, dass unser Zeitalter davon geprägt ist, die Welt kontrollierbar, beherrschbar und verfügbar zu machen. Die Welt soll ökonomisch, technisch, wissenschaftlich, rechtlich und politisch berechenbar und steuerbar gemacht werden. Dieser Prozess ist stabil zu erhalten. Das kann aber nur dann gelingen, wenn er beschleunigt, wenn er also wächst und optimiert wird. Hier ist ein Verhalten des Menschen gefordert, das von äußeren Dingen bestimmt wird und den zwischenmenschlich mitschwingenden Raum (Resonanzraum) verkümmern lässt. Und der Mensch wird „resonanztaub“. Rosa entlarvt den folgenschweren Irrtum der „kapitalistischen Warenwelt“, die in ihrem endlosen Verfügbarmachen ein Glücksversprechen ankündigt, das sich nicht erfüllen kann, da diese verfügbare Welt mehr und mehr unlesbar und stumm zu werden scheint. Warum? Weil die Dinge und Zusammenhänge, über die wir verfügen, die wir beherrschen und bestimmen, die zwischenmenschlich mitschwingende Qualität, also die Resonanzqualität verlieren.

Diese leere, graue und farblose Welt bezeichnet Rosa als „elementare Grundangst“ des Menschen: Die planbare, optimier- und berechenbare Beziehung zu Menschen und zur Welt erzeuge eben Angst vor dem Fremden. Sie kann zu persönlichen Krisen, Kontaktlosigkeit, Entfremdung und inneren Leere führen. Aber eine mitschwingende Beziehung zur Welt wird erst durch das Einlassen auf Fremdes, auf Nicht-Planbares, Unvorhersehbares und Unverfügbares möglich, das den Menschen berührt und wandelt.

Potenzial der Religion und Kirche für unsere Zukunft in der Demokratie

Diesen Fragen, die für die von mir vertretene Heilpädagogik grundlegend sind, wendet sich Rosa in einem Vortrag beim Würzburger Diözesanempfang 2022 zu. Auf die „Liebe zum Leben“ weist er in diesem sozialphilosophischen Plädoyer zur Demokratiestärkung hin: In einfacher und gehaltvoller Sprache fragt Rosa im SPIEGEL-Bestseller-Buch „Demokratie braucht Religion“, nach dem Potenzial der Religion und Kirche für unsere Zukunft in der Demokratie und erkennt das Urphänomen des zwischenmenschlichen Miteinanders.

Rosa beschreibt die heutige Gesellschaft mit dem Begriff des „rasenden Stillstandes“. Darin drückt er zwei Dinge aus, nämlich, dass die Gesellschaft rast und zum anderen verharrt sie oder ist bereits erstarrt. Er erkennt: Wenn eine Gesellschaft gezwungen wird, sich ständig zu steigern, zu beschleunigen, sich voranzutreiben, aber den Sinn dieses Vorwärtsbewegen verliert, dann ist sie in einer Krisensituation. Sie hat nicht mehr den Sinn dafür, zu einem guten Leben zu finden, zu einem gelingenden Verhältnis zur Welt.

Wir haben nicht mehr das Gefühl, dass wir auf eine verheißungsvolle Zukunft zugehen, sondern wir laufen vor einem Abgrund weg, der uns von hinten einholt. Das meint Rosa mit dem Begriff des rasenden Stillstandes: Wir müssen jedes Jahr schneller laufen, um nicht in den Abgrund, der hinter uns immer schneller, immer näher kommt – nicht zuletzt wegen der Klimakrise – abzustürzen.

Es geht Rosa um eine Weltbeziehung, aus der oder in der eine religiöse Praxis entsteht. Für ihn hat Religion die Kraft dazu: Religion hat mit ihren Gesten, Praktiken und Meditieren, mit ihren Liedern, Rhythmen und Räumen einen Ideenreichtum für einen Sinn dafür, was es heißt, sich anrufen zu lassen, sich transformieren zu lassen, also in Resonanz zu sein. Sein Schlusswort lautet: „Wenn die Gesellschaft das verliert, wenn sie dieseForm der Beziehungsmöglichkeit vergisst, dann ist sie endgültig erledigt. Und deshalb kann die Antwort auf die Frage, ob die heutige Gesellschaft noch der Kirche oder der Religion bedarf, nur lauten: Ja!“

Fazit

Für Rosa ist Demokratie das zentrale Glaubensbekenntnis unserer Gesellschaft, aber sie erfordert eben Stimmen, Ohren und hörende Herzen.

Prof. em. Dr. Ferdinand Klein, Heilpädagoge