Die Oberuferer Festspiele
Die Oberuferer Festspiele werden bis heute an Waldorfschulen eingeübt und aufgeführt. Das Theaterstück stammt ursprünglich aus Prievoz/Oberufer in der Nähe der heutigen slowakischen Hauptstadt. Blättert man in dem Werk „Die Oberuferer Festspiele im Wandel der Zeit oder Erinnerungen an das christliche Kulturgut“ von Herrn Prof. Dr. Ferdinand Klein, führt man sich das umfassende und vielseitige Gedankengut unseres kulturellen Erbes vor Augen.
Es handelt sich um ein gemeinsames Werk von Emigranten aus den alten österreichischen Gebieten der Habsburger Krone wie dem Salzkammergut (vor allem aus Salzburg), Tirol, Kärnten und Steiermark. Sie mussten in der traurigen Zeit der aufgezwungenen Rekatholisierung – sprich Gegenreformation – im 17. und 18. Jahrhundert ihre alte Heimat aus Glaubensgründen verlassen und schlugen ab 1620 neue Wurzeln auf dem Gebiet des von Karpatendeutschen dicht bewohnten Preßburgs, nämlich im heutigen Prievoz/Oberufer.
Schon sprachlich gesehen gehören diese christlichen Spiele, die vom 1. bis zum 6. Januar jedes Jahr aufgeführt wurden, zum teuersten Schatzgut der deutschen Sprache – nicht nur weil sie im kräftigen und würzigen Lutherdeutsch festgehalten wurden.
Der Germanist, Goetheforscher und Wiederentdecker dieser Spiele Karl Julius Schröer regte viele Forscher zu vergleichenden Studien an. Er war übrigens persönlicher Freund und Lehrer des Begründers der Anthroposophie und der Waldorfschulen Rudolf Steiner.
Studien bis heute
Der Germanist Helmuth Sembdner bewies in seinen Nachforschungen (1963, 1977), dass der Sprachbau eindeutig im Werk des Meistersingers und begeisterten Anhängers der Reformation Hans Sachs bestünde. Außerdem zeigte er, dass solche Volksschauspiele in vielen Gegenden Ost- und Süddeutschlands des 16. Jahrhunderts gepflegt wurden. Dies untermauern auch die neuen Forschungen von Schmitt (2006).
Der Germanist und Musikpädagoge Dr. Hans Klein entdeckte die Spiele um 1970 im niederbayerischen Ruhr erneut und stellte erstaunt fest, dass sie immer noch in ihrer ursprünglichen Form aufgeführt werden. Die Urfassung aus dem Jahre 1858 befindet sich in der größten slowakischen Bibliothek, der Matica Slovenská.
Aber worin liegt die Aussagekraft dieser Spiele?
Diese Spiele verdanken der ursprünglichen lutherischen Sprache und ihrer Schalkhaftigkeit ihre Macht über und gegen den Zeitgeist zugleich. Jedes Spiel der damaligen Zeit ist wie eine verdichtete Tageszeitung des eigenen Volkes.
Das Volk will immer lebendig angesprochen werden. Kalt und heiß, derb und mild, hart und weich und herzlich dabei wirken die klingenden Worte dieser Spiele, warnend und mahnend. wie auch tröstend und antreibend zugleich. Nur so versteht sie das Volk.
Das Volksschauspiel gehört zu den öffentlichen Kunstwerken. Und so muss es auch mit öffentlichen Maßen gemessen werden. Ihre Sprache wirkt kräftig und bestimmend. Was hier überall durchblickt, ist die Konterbande des Herzens. Die Strenge lutherischen Glaubens steht hinter jeder Aussage. Ja, die Freiheit des Gewissens und das Gewissen selbst schlagen nach und nach zu. Der gläubige und sich nach Freiheit sehnende Mensch kann in solchem Sinne Meinungsbilder und Freiheitsträger sein. Falls man nach ihm sucht, so findet man ihn am ehesten in Zeiten, die nichts an Sicherheit zu bieten haben und die Menschen von einer Verlegenheit zur anderen treiben.
Was haben aber diese Emigranten außer ihren Glauben und diese Volkspiele als Fluchtgepäck mit sich gebracht? Volksspiele für sich allein wären ohne Glauben eigentlich nur Blätter, die schneller als gemähtes Gras welken.
Hinter jedem solchen Werk muss unbedingt mehr als ein einziger begabter und herzhafter Mensch stehen. Es muss sich tragen und es trägt sich auch, was aus dem Lesen eindeutig hervorgeht. Dies passiert aber nicht nur, weil der Glauben einfach da ist, sondern weil der Glauben des Publikums mit dem Glauben des Verfassers übereinstimmt.
Wo liegt aber das Geheimnis dieser Kunst?
Die Oberuferer Spiele sind und bleiben aktuell, weil der Glauben, die Überzeugung und das Gefühl, das sie gebaren auch immer aktuell und gültig bleiben.
Um dem Verweis des Herrn Professors Klein gerecht zu werden, muss man seine Gedankenführung zu diesem Werk heranziehen, vor allem seine These über bewusstes Erinnern: „Erst das bewusste Erinnern ermöglicht die Lebenswirklichkeit aus der Vergangenheit zu verstehen und verleiht der Gegenwart die Kraft des zukunftsgewandten Gestaltens im europäischen Friedenshorizont. In dessen Zentrum steht das Axiom der Menschenwürde: die Unverletzlichkeit der Integrität der Persönlichkeit“.
Und für dieses bewusste Erinnern gibt die über 800 Jahre andauernde Geschichte der Karpatendeutschen ein klares Beispiel – mit allen Höhen und Tiefen.
Diese Forschungsarbeit ist als Zwischenergebnis von Professor Klein zu verstehen. Sie öffnet aber neue Fragen und diese geben Ansporn neue Wege zu erschließen, nämlich durch die Kraft des Wortes eigene Freiheit neu zu gestalten. Und dies ist eine Aufgabe für uns alle.
Oswald Lipták