Erinnerungen und Gedenken
Erinnerungen prägen unser Leben und unsere Persönlichkeit. Sie sind zwar nicht unmittelbar erfahrbar, können jedoch Antworten auf existenzielle Fragen versprechen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Die Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart ist in unserem alltäglichen Umfeld auf vielerlei Arten spürbar. Wir leben in einer regelrechten Erinnerungskultur. Nicht nur Orte wie Museen oder Denkmäler, sondern auch vielfältige andere Orte geben Anlass dazu, uns mit uns selbst und der Vergangenheit zu beschäftigen.
Aber nicht nur einzelne Menschen erinnern sich; auch gesellschaftliche Gruppen besitzen gemeinsame Erinnerungen und somit ein kollektives Gedächtnis. So ist es auch bei den Karpatendeutschen. Solche kollektiven Erinnerungen benötigen bestimmte Ankerpunkte, durch die sie Gestalt annehmen können. Das können konkrete Orte, Menschen, Ereignisse, Ideen, Bräuche oder auch Symbole sein. Diese Ankerpunkte oder zentralen Elemente bei der Ausbildung eines historischen Gedächtnisses werden als Erinnerungsorte bezeichnet. Unter den verschiedenen Typen von Erinnerungsorten spielen Friedhöfe nicht nur für einzelne Menschen, sondern auch für gesellschaftliche Gruppen eine wichtige Rolle.
Über Jahrhunderte hinweg bis 1945 lebte eine bedeutende Anzahl von Deutschen auf dem Gebiet der heutigen Slowakei. In den ehemaligen deutschen Gemeinden sind die Gräber oft Zeugnisse der deutschen Vergangenheit des Ortes. Häufig stellt sich die Frage, wie diese Gräber als gemeinsames deutsch-slowakisches kulturhistorisches Erbe für die Zukunft erhalten werden können. Leider sind viele Friedhöfe und Gräber in einem schlechten und respektlosen Zustand. Viele Nachkommen können oder wollen sich nicht um die Pflege der Gräber kümmern und den Gemeinden fehlen oft die finanziellen Mittel, um die Grabstätten in einen würdevollen Zustand zu versetzen. So schreitet die Vernachlässigung der alten deutschen (aber auch anderer) Gräber voran. Ein besserer Zustand ist an den Friedhöfen zu erkennen, die als Kulturdenkmäler deklariert sind, wie zum Beispiel in Kesmark/Kežmarok.
Es ist erfreulich, dass es bereits mehrere positive Beispiele gibt. Hier möchte ich die Sanierung des Leichenhauses auf dem Friedhof in Neuhau/Nová Lehota bei Krickerhau/Handlová im Jahr 2015 erwähnen. Im Innenbereich wurden Tafeln mit 1450 Namen ehemaliger deutscher Einwohner angebracht. Auch der Waldfriedhof der deutschen Holzhacker bei Modern/Modra in den Kleinen Karpaten ist das Ergebnis einer Bürgerinitiative.
Die Gemeinde Schmiedshau/Tužina im Oberen Neutratal hat als Erinnerungsort auf dem Friedhof ein Lapidarium aus alten Grabmälern eingerichtet, um Gräber, um die sich schon lange niemand gekümmert hat, zu bewahren. Tatsächlich handelt es sich meistens um Gräber ehemaliger deutscher Bewohner. Im Jahr 1930 waren von den 2506 Einwohnern dort 2413 Deutsche.
Das Lapidarium wurde vor einem Monat feierlich eingeweiht und ist ein würdiger Erinnerungsort, der von der Gemeindevertretung von Schmiedshau unter der Leitung von Bürgermeister Miroslav Dzina in Zusammenarbeit mit Landsleuten aus Deutschland und der Ortsgruppe des Karpatendeutschen Vereins errichtet wurde. Das kann auch als Inspiration für weitere Gemeinden dienen und zeigt, dass Friedhöfe eine Chance für eine gemeinsame deutsch-slowakische Erinnerungskultur bieten.
Ondrej Pöss