Gedenkstätten erhalten und errichten
Anfang April wurden nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Kiewer Vorort Butscha hunderte Leichen entdeckt. Bislang sollen laut ukrainischen Medienberichten dort mehr als 300 leblose Körper geborgen worden sein. Augenzeugen berichten über die gezielte Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten. Journalisten, die vor Ort waren, berichten das Gleiche und legten Foto- und Videoaufnahmen vor. Es waren schreckliche Bilder hunderter getöteter Zivilisten, die aus dem ukrainischen Butscha um die Welt gingen. Aus einem hastig ausgehobenen Massengrab mit mindestens 280 Personen neben der Kirche in Butscha ragen aus dem lehmigen Morast Hände und Schuhe heraus.
Derart schreckliche Bilder konnte man in den letzten Monaten des Zweitens Weltkrieges auch in der Slowakei, in Prerau sogar noch im Juni 1945, sehen. Öffentliche Hinrichtungen, Massenerschießungen, Deportationen in die Vernichtungs- und Konzentrationslager, das Niederbrennen von Gemeinden und Dörfern gehörten zu Vergeltungsmaßnahmen an der slowakischen Bevölkerung nach dem Ende des Aufstands an den gefangenen Aufständischen und an der Zivilbevölkerung. Da nennen wir nur Orte wie Kremnička, Nemecká, Ostrý Grúň, Kľak, Kalište… Die Deportationen von slowakischen Juden wurden wieder aufgenommen. In den slowakischen Geschichtsbüchern und in den Medien ist vieles beschrieben. Auch wir, die Karpatendeutschen, äußern einen großen Respekt vor dem Kampf des slowakischen Volkes für Freiheit und Unabhängigkeit, gegen Nationalsozialismus und Diktatur im Herbst 1944. Man sollte auch erwähnen, dass unter den Partisanen auch ungefähr 300 Karpatendeutsche, vor allem aus dem Hauerland und Bodwatal, waren.
Zu den schrecklichen Bildern der bewegten Zeiten des Herbstes 1944 gehören aber auch die Tragödien der deutschen Zivilbevölkerung der Slowakei, vor allem im Hauerland, über die man nur selten spricht. Von den um die 700 karpatendeutschen Opfern erinnern wir nur an die größten: In Glaserhau/Sklené wurden am 21. September 1944 187 Menschen erschossen, in Rosenberg/Ružomberok 146, 83 Tote gab es am 26. September in Schemnitz/Banská Štiavnica, in Magurka (Ortsteil von Deutsch Liptsch/Partizánska Ľupča) in der Niederen Tatra sind 70 Kuneschhauer ums Leben gekommen, in Deutsch Proben/Nirianske Pravno mindestens 32 Ermordete, in Krickerhau/Handlová waren es mehr als 26.
Wenn man sich an die Ereignisse vor 78 Jahren erinnert, sollte man auch die oben erwähnten Tatsachen nicht vergessen. Damit diese Gräueltaten nicht aus der Geschichte gestrichen werden, ist es besonders wichtig, Gedenkenstätten zu errichten. In Glaserhau und in Schemnitz haben unsere Landsleute auch mit unserer Unterstützung noch in den 1990er Jahren würdige Denkmäler errichtet. Es fehlte aber noch ein Denkmal an die 70 unbewaffneten Männer aus Kuneschhau, die in der Niederen Tatra in Magurka Ende Oktober 1944 erschossen wurden.
Um die fehlende Erinnerungsstätte in Magurka zu errichten, haben sich am 9. September 2020 die Kuneschhauer Vereinsmitglieder Viliam Neuschl, Ján Ihring, Alojz Patsch und Alojz Vaský mit einem ausführlichen Schreiben an den Bürgermeister von Kuneschhau gewendet. Der Karpatendeutsche Verein bat am 26. Oktober 2020 das Museum des Slowakischen Nationalaufstandes (SNP) in Neusohl, sich zu diesem Vorhaben zu äußern. Am 9. April 2021 bekamen wir die offizielle Stellungnahme: Das Museum SNP „(…) unterstützt das Vorhaben zur Errichtung eines Denkmales an die Opfer aus Kuneschhau während des SNP.“ Genauso unterstützten auch die Bürgermeister von Deutsch Liptsch und Glaserhau die Errichtung eines Denkmales. Große Unterstützung leisteten auch die Kuneschhauer im Ausland an der Spitze mit Ľuboš Ihring.
Massenmorde, egal, ob sie jetzt passiert sind wie in Butscha oder bereits vor 80 Jahren, dürfen nicht aus der Geschichte gestrichen werden. Allen Völkern dieser Erde muss das Recht zugebilligt werden, über erfahrenes Leid sprechen zu dürfen und die Opfer zu betrauern. Das muss auch für die Karpatendeutschen gelten, zumal Trauerbewältigung die Grundlage für ein positives dialogfähiges Nachvorneblicken ist. Dafür ist die Errichtung der Gedenkstätte an die Kuneschhauer in der Niederen Tatra besonders wichtig.
Ondrej Pöss