Im Gespräch mit dem Schwedlerer Urgestein Aranka Stigloher
Die Welt hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert und mit der anhaltenden Corona-Pandemie ist vieles, das zum Alltag gehörte, zu einem Halt gekommen. Leider ist es momentan nicht so einfach möglich, feiern zu gehen. Doch dies ist ein Anlass, sich einmal anzusehen, wie Jugendliche früher gefeiert haben – in Zeiten, die auch nicht leicht waren. Wir sprachen mit Aranka Stigloher, geborene Liptak, die 1933 in einem Holzhaus in Schwedler/Švedlár geboren wurde und mit elf Jahren nach Deutschland kam.
Heute darf jeder feiern, unabhängig vom sozio-ökonomischen Status. Wer durfte in Ihrer Jugend feiern?
Eigentlich alle, die ganze Dorfgemeinschaft. Es wurden Tanzveranstaltungen und Maskenbälle organisiert, aber das galt nicht für mich, weil ich noch zu klein war.
An welchen Feiertagen gab es spezielle Feste, auf die man sich als Jugendlicher besonders gefreut hat?
Ostern mit dem Osterhasen und dem Eiersuchen, der Nikolaus, der mit dem Krampus mit der Kette kam, und natürlich Weihnachten. Dann kam das Christkindl und die Besonderheit an Weihnachten war, dass der Salonzucker an den Baum gehängt worden ist. Natürlich hingen dort auch Äpfel und Lebkuchen, die vorher gebacken und verziert wurden. Unter dem Baum lagen die Geschenke – für die Mädchen Puppen und was die Jungen bekommen haben, weiß ich nicht mehr.
Wie sah Majales, das Maifest, aus?
Die Schulkinder wurden erst schön angezogen und sind dann von Zuhause aus auf den Berg gegangen. Da war ein Platz hergerichtet, wo die Kinder tanzen und singen konnten. Die Bäcker und Metzger waren auch da oben. Das war eine Belohnung, weil es am Ende des Schuljahres war. Es gab dann Semmeln und Wurst. Das war damals nicht üblich, sondern ein richtiger Feiertag für uns. Außerdem wurde Blechmusik gespielt und die ältere Jugend hat bis in die Nacht getanzt. Wir Kinder mussten dann aber nach Hause.
Gab es im Herbst auch ein Fest?
Im Herbst mussten die Kinder fest mitarbeiten. Sie hatten ihre eigenen Werkzeuge, zumindest bei mir war das so. Ich hatte einen Flegel zum Dreschen und einen Rechen zum Heu wenden. Wir mussten immer mit aufs Feld und bei der Kartoffelernte helfen. Die Kartoffeln wurden dann später im Feuer gebraten. Das waren sehr schöne Erinnerungen.
Welche Lokale haben Sie damals besucht?
Den Schwarzen Adler mitten in der Ortschaft. Da konnte man alles Mögliche essen: Hähnchen wurden gebraten und es gab Knetchen, das sind so Kartoffelnockerl. Die Bergleute haben dicke Knetchen gemacht und die Bauern so dünne, die man mit dem Löffel gegessen hat. Die Leute haben hier so ein schwarzes Bier getrunken. Das gab es bei uns zu Hause auch immer am Sonntag.
Sicherlich hatten die Jugendlichen auch Interesse an romantischen Begegnungen. Was musste man tun, damit man mit einer Frau tanzen durfte?
Das entzieht sich meiner Erkenntnis, da war ich noch zu klein. Aber später haben sich die Herren verbeugt, die Damen haben einen Knicks gemacht und dann durfte man tanzen.
Welche Musik war geeignet für ein Fest und was war sogenannte Underground- oder Popmusik bei den jungen Leuten?
Bei uns gab es keine Musik im Haus, aber gesungen wurde schon. Mit meinem Vater habe ich immer deutsch, slowakisch und ungarisch gesungen. Die deutschen Lieder habe ich mit meinem Vater gesungen, wenn meine Mutter im Stall war, die Ziegen und die Kuh versorgt und die Hasen gefüttert hat. Bevor das Licht der Petroleumlampe ausgemacht wurde, habe ich mit meinem Vater deutsche Volkslieder gesungen, mit meiner Mutter ungarische und mit meiner Großmutter slowakische. Zu Hause haben wir Deutsch gesprochen oder Mantakisch oder Potokisch.
Was haben Sie damals im Winter gemacht?
Federnschleißen zum Beispiel. Wenn in der Gemeinde oder in der Familie Töchter waren, musste man in der Familie Gänse halten. Die wurden dann gerupft. Wenn draußen schlechtes Wetter war, dann wurden am Abend die Federn geschlissen. Die jungen Männer haben dann so kleine runde Löffel geschnitzt und natürlich ihre Witze gemacht. Man durfte nicht husten und nicht niesen, sonst wären die Federn im ganzen Raum umhergeflogen. Es kamen sehr viele Ehen zustande, wenn die Federschleißerinnen von den Männern nach Hause begleitet wurden.
Was haben Sie in den Ferien gemacht?
Wir hatten unsere eigenen Spiele. Zum Beispiel haben wir drei Steinchen in die Luft geworfen, sie wieder gefangen, dann wieder in die Luft geworfen und gefangen – bis sie weg waren. Das waren sogenannte Geschicklichkeitsspielchen. Oder wir haben einen Ball so lange an eine Wand gehalten, beziehungsweise hingeworfen, bis er runtergefallen ist. Dann hatte man sich verspielt. Davon gab es verschiedene Versionen: stehend an der Wand mit dem Ball spielen, kniend oder sitzend. Natürlich haben wir auch mit Murmeln gespielt. Da wurde ein Loch gemacht, die Kugeln verstreut und man musste dann in dieses Loch treffen – bis die letzte Kugel drin war.
Und haben die Jungen mit den Mädchen zusammen gespielt oder getrennt?
Teils, teils. Die Jungs wurden aber ausgelacht, wenn sie mit den Mädchen gespielt haben.
Ich schätze, dass die Eltern in den Ferien in der Arbeit waren und die Kinder zu Hause, oder?
Nein, die Kinder mussten immer mit. Sie mussten Blaubeeren oder Hagebutten sammeln, Himbeeren pflücken. Der Wald spielte in der Familie eine wichtige Rolle. Man musste auch einkochen und Marmelade machen, dazu musste man Preiselbeeren haben. Das war Leben für die Familie.
Gab es ab und zu Fleisch oder Fisch?
Mein Vater war arbeitslos, also konnten wir uns kein gekauftes Fleisch leisten, aber wir haben Kaninchen geschlachtet.
Wo waren Sie zuerst in Deutschland?
Die Menschen von unserem Transport wurden in Röttingen ob der Tauber, in einem Schloss einquartiert. Da waren wir einige Wochen und dann sind wir auf die Bauern verteilt worden. Wir kamen in ein Dorf, das Strüth hieß. Es lag auf einem Berg, da gab es weder Bäcker noch Metzger, noch sonst eine Möglichkeit einzukaufen. Dafür mussten wir drei Kilometer zu Fuß den Berg runter. Es gab kein extra Zimmer für eine Frau mit einem Kind und so kamen wir mit einer anderen Frau mit zwei Kindern in ein Zimmer. Wir waren auf der einen Seite, die andere Frau auf der anderen Seite und im Zimmer gab es einen Herd zum Kochen. Wir hatten das Glück, dass wir zusammengekommen sind. Danach sind wir getrennt in ein anderes Zimmer gekommen. Dort konnten wir nicht heizen. Dann waren wir auf einem anderen Bauernhof, da war das Zimmer so klein, dass wir zu zweit in einem Bett geschlafen haben. Die Sozialhilfe lag bei 34 D-Mark monatlich. Dann bin ich nach Marburg gekommen. In der Schule waren die Klassen eins bis acht in einem Raum. Nach Marburg bin ich dann nach München gekommen, wo ich als Imkerin beschäftigt war und danach habe ich Akkord gearbeitet.
Wie alt waren Sie, als Sie nach Deutschland gekommen sind?
11 Jahre.
Wo haben Sie Ihre Jugend dann verbracht?
Zum Teil in Strüth, da war ich bei der katholischen Jugend und habe die Kasse und Jugendarbeit gemacht. Und dann eben in Marburg, das war schon anders, da konnte man Konzerte besuchen, man konnte sich weiterbilden. In Marburg haben wir auch Fasching gefeiert. Wenn wir zu wenig männliche Partner hatten, wurden die Studenten aus den umliegenden Studenten-Häusern eingeladen – unter Aufsicht natürlich.
Wie waren die Jugendlichen gekleidet?
Das hing davon ab, wie viel Geld sie hatten. Sie hatten nichts Besonderes an. Es waren auch Jugendliche dabei, die aus besseren Familien kamen, aber dieses „Ich brauche von diesem Designer dieses T-Shirt“ gab es damals nicht.
Gab es etwas wie Tanzabende?
Zu der Zeit nicht. Wir durften aber in die Stadt. Dort gab es Weinfeste, wir durften aber nur das Fest besuchen, nicht den Wein genießen.
Heutzutage kommen viele Jugendliche erst gegen 5 Uhr aus der Disko nach Hause und fahren dann oft mit einem Taxi. Wann und wie sind Sie nach Hause gegangen?
Wir haben mit 18 damals einen Schlüssel bekommen und mussten um 23 Uhr nach Hause gehen. Wir sind zu Fuß in die Stadt und auch zurückgegangen.
Was ist die witzigste Erinnerung, die Ihnen im Kopf geblieben ist?
Wir haben einen Mitschüler Räuber getauft. Seine Eltern waren ganz entsetzt und haben gefragt warum und ob er etwas gestohlen hat. Aber wir haben gesagt: Nein! Aber als wir unseren Hausschlüssel vergessen haben, ist er die Dachrinne rauf in den Tagesraum gegrabbelt und hat von innen aufgemacht. Es war finstere Nacht und wir haben zu dritt oder zu viert zugeschaut und uns gefragt: Schafft er das oder schafft er das nicht?
Das Gespräch führte Hubert Kožár.