Mehr als ein Seminar
Gemütlich geht es zu, im „Stüberl“ im Erdgeschoss des Klosters der Missions-Benediktinerinnen in Bernried. Zu Kaffee und Kuchen in der Mittagspause und am Abend zum kühlen Bayrischen Bier und Südtiroler Rotwein treffen sich hier Seminarteilnehmer und Referenten. Hin und wieder erklingt ein Akkordeon. In lebhaften Gesprächen werden die tagsüber behandelten Themen reflektiert.
Persönliches kommt zur Sprache, man kennt sich, und viele haben sich seit dem letzten Seminar vor Covid nicht mehr getroffen. Wehmut kommt auf, denkt man an die Landsleute, die wegen der abhanden gekommenen Mobilität nicht mehr teilnehmen können oder die verstorben sind. Als Einsiedler vermisse ich schmerzlich Laci Müller. Tröstlich ist jedoch, dass mit Prof. Ferdinand Klein aus dem Nachbarort Schwedler ein weiterer Unterzipser aus den Gründen zugegen ist. Wir tauschen uns aus über die Spottnamen unserer Heimatgemeinden. Demnach ist er ein „Schbadla Hundofhänga“ und ich ein „Ansiedla Kiëplschießa“. Wie es zu diesen Namen kam, schildert der Einsiedler Mundartdichter Adalbert Mehly („Unterzipser Sprachschatz“,1989). Danach haben Schwedlerer Bürger einen Hund gefangen und aufgehängt, im Glauben, es sei ein Wolf und die schießwütigen Einsiedler haben einen zum Trocknen aufgehängten „Kiëpel“, eine Art Schuh, zerschossen, im Glauben es sei ein Vogel.
Aber es ergeben sich auch neue Bekanntschaften. So lerne ich Georg Laurenc Gedeon kennen, einen in Erlangen lebenden Metzenseifner. Er hat 2021 ein Wörterbuch der Metzenseifner Mundart veröffentlicht, überarbeitet 2022, das auch im Internet einsehbar ist. Neben der Sammlung von etwa 5.500 mantakischen Worten enthält es einen Grammatikteil von Ernst Tomasch sowie verschiedene Beiträge von Ernst Bistika und anderen Autoren. Zu meiner Freude schenkt er mir sein gedrucktes Exemplar.
Sehr anregend ist auch ein Gespräch mit Hubert Kožár, der durch seine lesenswerten Beiträge im „Karpatenblatt“ bekannt ist und der mit seinem Referat über die Aktivitäten der Karpatendeutschen Jugend alle Teilnehmer beeindruckt und die Hoffnung nährt, dass karpatendeutsche Kultur in der Slowakei weiter lebendig bleiben wird.
Aber nicht nur Vorträge, Diskussionen und die Gemeinschaft im Stüberl machen das Besondere der Bernrieder Veranstaltung aus. Es ist auch der Tagungsort, eine glückliche Verbindung von Architektur, Landschaft und Natur. Das Klostergebäude hat eine besondere Ausstrahlung. Die damit baulich verbundene Pfarrkirche Sankt Martin, von 1122 bis 1803 Stiftskirche der Augustinerchorherren von Bernried, wurde im 17. Jahrhundert barockisiert. Die in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Hofmarkkapelle steht unter Denkmalschutz, sie wird als Simultankirche von Katholischen und Evangelischen genutzt. So wie auch die Konfession der Seminarteilnehmer keine Rolle spielt. Naturliebhaber kommen bei Spaziergängen durch das Klostergelände und den benachbarten Park voll auf ihre Kosten. Vor der am Horizont sichtbaren Alpenkulisse führt der Weg eine lange Strecke am Ufer des Starnberger Sees entlang, durch Wiesen und Wald. In der Natur erwacht der Frühling und man kann zahlreiche Wasservögel wie Haubentaucher, Möwen und Schwäne beobachten. Auf den Parkwiesen gibt es Wildgänse zu sehen. Zum ersten Mal kann ich auf einem der Teiche ein Blässhuhn beim Bau seines schwimmenden Nestes beobachten. Auch dass eine Stockente auf einem dicken Ast eines der riesigen Bäume landet, habe ich andernorts noch nicht beobachten können.
Der Park hat eine lange, bemerkenswerte Geschichte. Die letzte Besitzerin war Wilhelmina Busch-Woods, 13. Kind des aus Deutschland stammenden Adolphus Busch und Ehefrau Lilly Anheuser, die in St. Louis, USA, ein heute noch bestehendes Brauerei-Imperium gründeten. Wilhelmina lernte den fränkischen Hopfenhändler und Reserveoffizier Eduard Scharrer bei dessen Besuch in den USA kennen, heiratete ihn und zog nach Deutschland. Anlässlich eines Jagdausfluges 1911 beschloss das Paar, sich in Bernried niederzulassen. Die Naturliebhaberin kaufte nach und nach etwa zwei Drittel des Gemeindegebietes. Sie brachte den Park 1950 in eine öffentliche Stiftung ein, um „dieses einzigartige Naturdenkmal in seiner Eigenart und Schönheit den kommenden Generationen zu erhalten.“
Alles in allem muss man sagen: Das Bernrieder Seminar ist durch die Themenwahl und Qualität der Vorträge, durch die landsmannschaftliche Gemeinschaft der Teilnehmer und nicht zuletzt durch den anziehenden Tagungsort zu einer karpatendeutschen Institution geworden. Und wie die Veranstalter vom Hilfsbund Karpatendeutscher Katholiken e.V., München, wissen ließen, will man so lange wie möglich weitermachen. Dafür herzlichen Dank! Besondere Anerkennung verdient Johann Horvath, unermüdlicher Organisator, der das Seminar leitet und gekonnt moderiert. Und so Gott will, werden meine Frau und ich in der kommenden Karwoche wieder nach Bernried reisen.
Rudolf Göllner