Daniel Alfreider

Über die Ladiner und Minderheitenschutz in Europa

Daniel Alfreider ist einer der führenden Minderheitenpolitiker Europas. Er ist Angehöriger der Ladinischen Volksgruppe. 2013 wurde Alfreider als erster Ladiner in der Geschichte in das italienische Parlament in Rom gewählt. Seit 2016 gehört Alfreider auch dem Präsidium der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) an. Martin Jehle, freier Mitarbeiter der Internationalen Medienhilfe sprach mit ihm über Minderheitenpolitik in Italien und Europa insgesamt. 

Herr Alfreider, wer sind die Ladiner?

Die Ladiner sind eine kleine Volksgruppe. Ursprünglich wurde das Ladinische im gesamten östlichen Alpenraum gesprochen, von kurz vor Triest bis in die Schweiz. Die Sprache ist im Laufe der Jahrhunderte durch eine Mischung des Vulgär-Lateinischen und der Sprache der Räter entstanden. Durch Völkerwanderungen und den Lauf der Zeit hat sich diese Sprache nur in den abgelegensten Teilen der Alpen erhalten, im Engadin in der Schweiz, im Dolomitengebiet und in der Region Friaul. Nur dort werden heute noch verschiedene Arten der ladinischen Sprache gesprochen. Im Dolomitengebiet, zu dem Südtirol gehört, sind wir noch 30.000 Muttersprachler. 

Wie ist Stand der ladinischen Sprachgruppe innerhalb des italienischen Staates?

Wir sind eine anerkannte Minderheit in Italien. Rund um unseren Hausberg, den Sellastock, liegen die vier ladinischen Täler. Zwei der Täler gehören zu Südtirol, die beiden anderen gehören jeweils zu einer anderen Provinz, Trentino und Venedig. Die Zersplitterung der ladinischen Gemeinden auf drei Provinzen erschwert eine wirksame Interessenvertretung. Diese künstliche Zuschneidung der Provinzen geht noch auf die Zeit unter Mussolini zurück, der sowohl Südtirol als auch die ladinischen Gemeinde italienisieren wollte, und ist bis heute nicht korrigiert worden.

Ladinische Minderheit

Verteilung der ladinischen Minderheit, Quelle: Wikipedia.de

Sie sprechen die oft schwere Geschichte der Südtiroler und Ladiner an. Gibt es in der italienischen Politik immer noch ein – vielleicht auch unterschwelliges – Element, das eher die Auflösung dieser Minderheiten anstrebt?

Auf der kulturellen oder ethnischen Ebene gibt es das nicht, aber das System der Autonomie wird natürlich in Frage gestellt. „Wir sind hier in Italien“, ist so ein typischer Ausspruch, den man zu hören bekommt. Wenn man es aber im europäischen Vergleich betrachtet, hat man in Südtirol nach harten Kämpfen in der Vergangenheit mit Italien insgesamt gute Lösungen im Umgang mit seinen Minderheiten gefunden. Es gibt keinen Staat in Europa, wo dieses Niveau herrscht. Ganz zu schweigen von der Situation zum Beispiel im Elsass oder in Osteuropa.

Ist das Ladinische Schulsprache in den ladinischen Orten?  

Ja, in der Schule ist das Ladinische Unterrichtssprache. Die Hälfte der Fächer wird auf Ladinisch unterrichtet, die andere Hälfte auf Italienisch. Auch die Kindergärten sind ladinischsprachig. Im Gegensatz zu den anderen Teilen Südtirols gibt es bei uns kein duales Schulwesen, bei dem jeder die Wahl zwischen einer deutschen und einer italienische Schule hat. Es gibt in Art. 19 der italienischen Statuten ein Grundrecht auf Unterricht in der Muttersprache.

Wie sehen Sie die Zukunft dieser kleinen Sprachgruppe?

Mit nur noch 30.000 Sprechern ist es nicht einfach, die eigene Sprache und Kultur weiterzuleben. Mathematisch ist das sehr schwierig. Ich bin aber zuversichtlich und wir werden alles dafür tun, dass unsere Kultur und Sprache auch in Zukunft weitergelebt werden kann.

Sie waren bis zu den Wahlen Anfang März diesen Jahres für die Südtiroler Volkspartei (SVP) Mitglied des italienischen Parlaments, nun streben Sie den Einzug in den Südtiroler Landtag an. Südtirol hat nur circa eine halbe Million Einwohner, von denen rund zwei Drittel Deutsch oder Ladinisch als Muttersprache haben. Wie ist unter diesen zahlenmäßigen Verhältnissen gewährleistet, dass die Minderheiten im italienischen Parlament vertreten sind? 

Es gibt Regelungen zur Vertretung von Minderheiten im italienischen Parlament, und auch das Wahlgesetz sieht das vor. Eine Minderheitenfraktion oder Autonomiefraktion kann in der Kammer schon ab einer Zahl von drei Abgeordneten und im Senat ab einer Anzahl von fünf Senatoren gebildet werden. Die SVP war in der letzten Wahlperiode mit vier Abgeordneten in Rom, in der aktuellen Wahlperiode sind es drei.

Sehen sich die SVP-Abgeordneten primär als Vertreter Südtirols bzw. den speziellen Südtiroler Anliegen oder als für Italien insgesamt verantwortlich?

Darüber habe ich mir am Anfang auch Gedanken gemacht. Zunächst dachte ich auch, dass wir uns mehr einbringen sollten, auch um das Verständnis der anderen Abgeordneten uns gegenüber zu verbessern. Aber die Realität ist eine andere. Wir müssen uns ganz überwiegend auf Südtiroler Themen konzentrieren. Rein quantitativ haben wir bei unserer Anzahl an Parlamentariern ja auch Grenzen. Vor allem prüfen wir die nationalen Gesetzesvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit dem Südtiroler Autonomiestatut und ihre Auswirkungen auf Südtirol im Allgemeinen. Unser Hauptanliegen ist der Ausbau und die Gestaltung der Südtiroler Autonomie.

Daniel Alfreider

Vize-Präsident der FUEN Daniel Alfreider, Foto: IMH

Sie sind auch Vize-Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), der größten Organisation zur Vertretung von Minderheiten in Europa. Ist es vorstellbar, dass neue Minderheiten entstehen, die Rechte einfordern bzw. einen eigenen Status? In Deutschland gibt es zum Beispiel Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, zum Teil mit deutscher, doppelter oder nur türkischer Staatsangehörigkeit.

Das ist ein heikles Thema. Mit der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten, sind schon diverse Minderheiten-Situationen in das Blickfeld geraten. Die Gründe dafür liegen oft in den Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Was türkische Minderheiten betrifft, so gibt es eine solche Minderheit in Griechenland, die auch von FUEN vertreten wird. Wir müssen da von Fall zu Fall die Lage genauestens ansehen, um unsere Kernausrichtung nicht zu verlassen.

In Deutschland wird viel von „Integration“ gesprochen und diese von Zuwanderern erwartet. Aber was ist, wenn eine Gruppe die Haltung einnimmt: Wir wollen uns und nicht integrieren sondern wollen Minderheit sein und entsprechende territoriale, kulturelle oder sprachliche Rechte daraus ableiten.

Es muss irgendwo natürlich ein Strich gezogen werden. Was bedeutet eigentlich „Minderheit“? Wir verstehen ihn vor einem geschichtlichen Hintergrund, meinen also autochthone (an Ort und Stelle entstandene) Minderheiten. Die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln können also nicht unter unser Minderheiten-Verständnis fallen. Generell ist es wichtig, dass die Mehrheit in einer Gesellschaft keine Angst hat, auch Unwissenheit über „die anderen“ führt zu Angst. Dann fühlt sich die Mehrheit bedrängt, obwohl sie Zuversicht darin bräuchte, mit „den anderen“ friedlich zusammenleben zu können. Es hängt aber von beiden Seiten ab, damit das gelingt. In Südtirol ist es bis heute gelungen!

Vielen Dank für das Gespräch!

 Martin Jehle/IMH-Internationale Medienhilfe