Schmidts Kater Loisl und das Kettensägenmassaker

Kolumne: Schmidts Kater Loisl und das Kettensägenmassaker

Čauky mňauky, allerseits! Normalerweise frage ich Sie an dieser Stelle gern mal, wie Sie in den Frühling, den Sommer, den Herbst oder den Winter gekommen sind. Heute können Sie mich mal was fragen- wie ich in den Mai gekommen bin beispielsweise. Fragen Sie mich besser nicht!

ICH bin wunderbar in den Mai gekommen. Aber mein Butler, der Herr Schmidt, und seine Anni haben ein Desaster erlebt. Der Herr Schmidt und seine Anni gehören zu den Menschen, die den 1. Mai nach alter Tradition begehen, mit einem Kuss unter einem blühenden Kirschzweig. Und das wird immer komplizierter. So viele blühende Kirschen gibt es nämlich gar nicht. In Prag findet man viel mehr blühende Apfel- oder Birnbäume. Wenn man sie denn blühen lässt. Die Bäume vor den Häusern unserer kleinen Wohnsiedlung blühen nicht mehr. Sie wurden das Opfer eines Kettensägenmassakers. Ausgeführt von Amateur-Gärtnern, die bislang nur mit ihren Laubbläsern genervt haben.

Nichts gegen den Rückschnitt von Bäumen. Aber unsere sehen jetzt derart furchtbar aus, dass es zum Weinen ist. Und – Sie werden es erahnen – die Bäume erholten sich selbstverständlich bis zum 1. Mai nicht wieder. Zwei sind gleich ganz eingegangen. Bei anderen sprossen zwar ein paar neue Zweiglein, aber von Blüten kann keine Rede sein.

Damit drohte das Küssen bei Herrn Schmidt und seiner Anni auszufallen. Diese Tradition hat mit dem wohl wichtigsten tschechischen Dichter der Romantik zu tun, Karel Hynek Mácha. Dessen trauriges Schicksal ist bis heute bekannt. Mit nicht einmal 26 Jahren starb er an einer Infektion, drei Tage vor seiner geplanten Hochzeit. Danach erlebte sein zunächst abgelehntes dichterisches Hauptwerk „Maj“ über die unerfüllte Liebe zweier Menschen den bis heute anhaltenden Kultstatus. Jarmila, so heißt es da, wartet auf ihren geliebten Wilhelm. Der aber kommt nicht, hat in einem Anfall von Eifersucht gemordet und wurde dafür hingerichtet, was die ungeküsste Jarmila in den Selbstmord treibt.

So viel Leid kann man nur mit ganz vielen Küssen tilgen. Unter blühenden Obstbäumen oder direkt am Mácha-Denkmal auf dem Prager Laurenziberg, unter dem etwas kümmerlich geratenen Nachbau des Pariser Eifelturms, den dennoch jeder Prag-Besucher zumindest vom Sehen her kennt. Speziell der Laurenziberg ist voll von Obstbäumen, die am 1. Mai in schönster Blüte stehen. So wie normalerweise auch unsere vor meinem Haus. Wenn die nicht gerade mit Kettensägen malträtiert worden wären.

Mein Butler und seine Anni mussten in einen Park ausweichen, um einen blühenden Obstbaum zu finden. Ich habe jetzt zugestimmt, dass wir in meinem Garten einen Kirschbaum pflanzen, den niemand antasten darf. Kuss, Kuss und čauky mňauky!

Schmidts Kater Loisl und sein Butler Hans-Jörg Schmidt