Schriftstellerin Jana Karšaiová: „Sprache wirkt wie ein Filter“
Jana Karšaiová ist eine slowakische Schriftstellerin und Schauspielerin, die seit ungefähr 20 Jahren in Italien lebt. Ihr erstes literarisches Werk schrieb sie in italienischer Sprache. Mit ihrem Roman „Divorzio di velluto“ (Samtene Scheidung) war sie 2022 eine der Halbfinalisten des renommiertesten italienischen Literaturpreises Premio Strega. Im Karpatenblatt-Gespräch beschreibt sie, wie sich bei ihr das Zugehörigkeitsgefühl in einer neuen Umgebung entwickelte und was uns in Europa heute noch trennt.
Sie wurden in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Vor knapp 20 Jahren haben Sie ein neues Zuhause in Italien gefunden. Sie haben also das sprachliche Umfeld mehrfach gewechselt. Welche Sprachen beherrschen Sie eigentlich?
Ich spreche Slowakisch, Tschechisch und Italienisch. Ich spreche daneben auch Englisch und Französisch, aber nicht auf dem gleichen Niveau.
In der gegenwärtigen Gesellschaft ist es für viele ganz normal, sich nicht nur mit ihrem Geburtsort, sondern auch mit anderen Kulturen zu identifizieren. Angesichts Ihrer Lebenserfahrung im Ausland, wo fühlen Sie sich am meisten zu Hause?
Am Anfang war die größte Brücke zwischen meinem Geburtsort und meiner neuen Heimat in Italien die Arbeit im Theater. Der Arbeitsinhalt war an beiden Orten der gleiche. Sowohl in der Slowakei, als auch in Italien habe ich Workshops geleitet oder Theater gespielt. Gerade im Theater habe ich sozusagen meine erste kulturelle Heimat gefunden. Dabei ging es nicht so sehr um die Sprache, sondern vielmehr um den Raum, in dem ich mich wohlgefühlt habe.
Was die Beziehung zur Sprache anbelangt, ist es etwas Anderes. Es dauert länger, bis sie sich in einem Menschen bildet und wächst. Am Anfang habe ich versucht, meine Identität gegen eine andere, an Italien angepasste Identität zu tauschen, um mich schnell in die Gesellschaft zu integrieren und in der Masse aufzugehen. Darauf folgte eine Menge Frustration. Als ich angekommen bin, habe ich überhaupt kein Italienisch gesprochen. Erst zusammen mit meiner familiären Situation ist eine Art Heimatgefühl in der italienischen Sprache entstanden.
Ihr Buchtitel „Samtene Scheidung“ ist in mehrere Sprachen übersetzt worden – auch in die slowakische. Darin geht es um eine Beziehungsgeschichte zwischen einem Tschechen und einer Slowakin, dem Verlust der Vergangenheit und der Suche nach sich selbst. Haben Sie von Anfang an damit gerechnet, das Werk auf Italienisch zu schreiben?
Noch vor der Veröffentlichung meines literarischen Debüts habe ich auf Italienisch geschrieben. Als ich anfing, literarische Ambitionen zu haben, wurde mir klar, dass ich sie nur in der Sprache verwirklichen kann, in der ich lebe und in der ich mich mit meiner Umwelt auseinandersetze. Ich habe meine Lektorin kennengelernt, die Italienerin ist und in italienischer Sprache arbeitet. Ich hatte also nicht die Wahl, das Buch auf Slowakisch zu schreiben. Denn ich wollte mit Menschen zusammenarbeiten, die mir helfen, mein literarisches Wirken weiter zu entfalten.
Der zweite Grund, das Buch auf Italienisch zu schreiben, liegt tiefer und wurde mir erst im Nachhinein bewusst. Obwohl das Werk auf Italienisch geschrieben ist, behandle ich Themen, die zu meinen Wurzeln zurückführen. Ich befasse mich mit Sachen, die mir sehr am Herzen liegen, und ich denke, die italienische Sprache wirkt wie ein Filter zwischen mir und einer manchmal zu persönlichen und emotionalen Realität. Italienisch dient deshalb auch als eine Art Distanz zwischen mir und dem, was ich schreiben möchte. Aus dieser Distanz kann ich mich besser auf die Dinge fokussieren und fühle mich nicht von den Themen, die ich ansprechen möchte, aufgesogen.
Vor ein paar Monaten ist Ihr Roman auf Deutsch erschienen. Wie kam es zu der Übersetzung?
Der Roman ist im Nonsolo Verlag erschienen, einem Freiburger Verlag, der italienische Autoren verlegt. Alessandra Ballesi-Hansen ist die Verlagsgründerin und es macht ihr Spaß, zeitgenössische italienische Autoren ins Deutsche zu übersetzen und sie auf diese Weise der deutschen Gesellschaft vorzustellen. Alessandra hat mein Roman gefallen und sie hat dann beschlossen, sich an den Verlag Feltrinelli zu wenden, über den die Übersetzung meines Werks dann gelaufen ist.
Im Jahr 2024 haben Sie Ihr Buch an mehreren Orten in Deutschland vorgestellt. Findet der deutsche Leser angesichts der Teilung Deutschlands in einen östlichen und einen westlichen Teil Parallelen zwischen dem Inhalt Ihres Werks und seinen eigenen historischen Erfahrungen?
Ja, diese Parallele habe ich bei den Unterhaltungen mit Lesern bemerkt. Ich war in Regionen unterwegs, die früher zu Westdeutschland gehörten, und auch in welchen, die früher zu Ostdeutschland gehörten. Die Reaktionen in den Städten des ehemaligen Westdeutschlands waren ähnlich wie in Italien; ich konnte keinen Unterschied zwischen ihnen feststellen. Das westliche Publikum neigt dazu, sich von den Themen Osteuropas wegen einer gewissen Fremdheit angezogen zu fühlen. Für dieses Publikum geht es eher um ein Interesse an dem, was „auf der anderen Seite“ war.
Beim Dresdner Publikum hatte ich das Gefühl, als wäre ich in Bratislava. Die Menschen wussten sehr gut, worum es in dem Buch geht. Sie konnten die Themen des Werks mit Leichtigkeit nachvollziehen – ohne jemanden zu brauchen, der den Kontext erklärt. Diese unsichtbare Teilung Europas in Westen und Osten hat zu zwei europäischen historischen Gedächtnissen geführt, die sich noch nicht überschneiden. Europa hat zwei Gesichter, die sich gegenseitig noch nicht gut genug kennen, um sich verstehen zu können.
Das zentrale Thema Ihres Werks sind allgemein die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie können Menschen trotz einer Sprachbarriere dauerhafte und feste Beziehungen aufbauen?
Beziehungen sind meine Antriebskraft beim Schreiben. Um sie dreht sich meine ganze Welt. In gewisser Weise kann die Sprache eine Richtung vorgeben, in die sich eine bestimmte Beziehung entwickelt. Ich glaube, dass es durchaus möglich ist, trotz sprachlicher Unterschiede dauerhafte Beziehungen aufzubauen, denn für mich geht es bei Beziehungen nicht nur um Worte. Es geht auch um Taten und die sind oft konkret und wichtig für den Aufbau einer Beziehung. Letztendlich ist es gut, wenn man manchmal die Worte nicht versteht, weil dann die Taten mehr zum Vorschein kommen.
Ich glaube, dass Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft auch ohne perfekte Sprachkenntnisse vorankommen können. Eine Voraussetzung dafür ist eine Haltung, die darauf ausgerichtet ist, für Andere Verständnis zu haben – und zwar auch ohne sprachliche Hilfsmittel. Beziehungen scheitern oft an Missverständnissen. Um Missverständnisse zu klären, muss man kommunizieren und dazu braucht man die Sprache.
Welche Pläne haben Sie als Autorin?
Ich habe natürlich Pläne und ich hoffe, dass ich sie verwirklichen kann. Aber mehr verrate ich nicht! (Lacht)
Das Gespräch führte Alan Laifer.