Singen mit Mutti im Herzen
„Als das Kind war, wusste es nicht, daß es Kind war, alles war ihm beseelt, und alle Seelen waren eins“, heißt es in Peter Handkes Lied „Vom Kindsein“. Liebe Landsleute, liebe Leser des Karpatenblattes, als ich meinen Beitrag für unsere Zeitschrift verfasste, fiel mir der Film „Der Himmel über Berlin“ ein. Das Lied „Vom Kindsein“ des Autoren Peter Handke mag vielen von uns bekannt sein. Ich möchte die Verse nutzen, um mich an meine Großmutter zu erinnern.
Meiner Meinung nach ist es gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig zu wissen, wo unsere Wurzeln liegen. Damit wir Kraft, Hoffnung und Mut für die nicht leichten Tage schöpfen können. Als ich noch Kind war, habe ich oft meine Großmutter besucht. Sie wurde von ihren Kindern liebevoll Mutti genannt und so machte ich es auch. Obwohl ich gar nicht wusste, was dieses Wort bedeutet.
Mária Mečiarová, geborene Zech, war eine Deutsche. Sie war am 24. Mai 1913 in Deutschland, in Sandau an der Elbe, geboren. Am 14. Oktober 1939 heiratete sie einen Slowaken, meinen Opa Anton Mečiar (1904-1953) aus Prievidza/Priwitz. Mit ihm zog sie im Jahre 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in seine Heimat. Deren Weg war weder leicht, noch angenehm. Es war in der Zeit nach dem Krieg, überall herrschten Hunger und Armut.
Neue Heimat in Krickerhau
Aus beruflichen Gründen ließ sich die junge Familie in Handlová/Krickerhau nieder. Meine Mutti war im Alter von 40 Jahren verwitwet, doch sie hatte ein langes Leben im Kreise der Familie und verließ uns im gesegneten Alter von 81 Jahren am 29. Dezember 1994.
Aber zurück zu meiner Kindheit: In der Familie wurde nur Deutsch gesprochen. Auch mit mir sprach die Mutti nur deutsch. Ja, schon damals begann meine Beziehung zu dieser Sprache. Ich liebte es, nach der Schule zur Mutti zu gehen und ihre Geschichten, wenn sie von ihrem Leben erzählte, zu hören. Dadurch lernte ich Deutsch: Ich verstand die ersten Wörter und Sätze, langsam gelang es mir, ihr auf Deutsch zu antworten.
In der Familie wurde deutsch gesprochen
Deutsch kriegte ich nicht nur bei ihr mit, in unserer Familie wurde auch deutsch gesprochen. Mein Vater, Heinz Mečiar, war das älteste von neun Kindern meiner Großeltern. Wollten meine Eltern nicht, dass ich verstehe, worum es geht, unterhielten sie sich auf Deutsch. Ich war ein neugieriges Kind und lauschte ihnen. Mein Wortschatz wurde größer und reicher. Das war für mich von Vorteil, was meine lebenslange Herzensangelegenheit angeht: Meine Vorliebe für die deutschen Lieder.
Als ich später heiratete und eine eigene Familie gründete, kam uns die Mutti oft besuchen. Es gefiel ihr sehr, deutschsprachiges Fernsehen zu schauen. Manchmal lächelte sie den Bildschirm an, wahrscheinlich erinnerte sie sich an etwas Schönes aus ihrer Jugend. Liebe Landsleute, es ist gar nicht schwer, jemandem eine Freude zu bereiten. Und es ist sehr beruhigend, dass es heute immer noch machbar ist, kleine Freuden in den Alltag zu bringen.
Liebe für deutsche Lieder
Beim Hören der deutschsprachigen Lieder begann ich mitzusingen. Ich wusste gar nicht, dass ich singen kann. Ich war überglücklich, als ich erfuhr, dass in unserer Stadt Handlová/Krickerhau die Singgruppe Grünwald tätig ist. Sie arbeitet im Rahmen der Ortsgruppe des Karpatendeutschen Vereins und hat einen guten Ruf. Nach den Singproben wurde ich Mitglied dieser Singgruppe. Ich gebe zu, es war und ist nicht einfach, die Liedtexte auswendig zu lernen. Doch wo ein Wille, da ein Weg. Schöne Lieder, unzählige Auftritte im In- und Ausland, viele Erinnerungen an meine Mutti. Jetzt kann ich nachvollziehen, warum sie immer so froh war, als sie die deutschen Lieder hörte.
Erlebnisse mit der Singgruppe Grünwald
Ich lerne nicht nur schöne Lieder, sondern ich darf Menschen kennenlernen, neue Freunde gewinnen, von ihren Schicksalen erfahren. Und das Wichtigste ist, ich darf Leute glücklich machen. Manchmal müssen wir einen langen Weg im Bus zurücklegen und sind müde nach der Reise. Doch auf der Bühne verschwindet die Müdigkeit ganz schnell. Wir vergessen alle Strapazen und sind einfach froh, auftreten und singen zu dürfen. Der Gesang öffnet Herzen, ruft Lächeln, aber auch Tränen hervor. Dann ist kein Weg zu lang.
Ich bin sehr stolz, Mitglied der Singgruppe Grünwald zu sein. Ich singe immer in Erinnerung an meine Mutti – ich, ihre Enkelin, singe Lieder in ihrer Muttersprache und bin sehr froh, die Zuschauer erfreuen zu können.
Liebe Landsleute, ich hoffe, dass wenn diese schweren Tage vorbei sind und man zum Alltäglichen zurückkehrt, wir mit Grünwald wieder für Sie auftreten und viele schöne Lieder singen können, ich mit meiner Mutti im Herzen.
Adriána Oswaldová
OG Handlová/Krickerhau