Vor 75 Jahren
Eines der traurigsten Kapitel der Geschichte der Karpatendeutschen begann vor 75 Jahren: Mit den Zugtransporten wurden ab April bis November 1946 aus den Lagern in Engerau, Nováky und Deutschendorf insgesamt um die 32.500 Karpatendeutsche aus der Tschechoslowakei ausgewiesen.
In der damaligen Terminologie benützte man in allen amtlichen tschechoslowakischen Dokumenten dieser Zeit den Begrif „odsun“ – Abschub, was eigentlich die letzte Phase der Vertreibung war.
Zum Begriff
Wenn die Autoren die dramatischen Ereignisse mit Bezug zu den deutschen Minderheiten in den Jahren 1944 bis 1948 beschreiben, kann man unterschiedliche Benennungen lesen: Vertreibung, Flucht, Deportation, Umsiedlung, Transfer, Ausweisung, Aussiedlung, Abschub, Abschiebung. In Westdeutschland führte das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 das Wort „Vertriebene“ als Sammelbegriff für alle ein, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten. Das Wort „Flüchtlinge“ wurde für die aus der Sowjetzone/DDR-Geflüchteten reserviert. Die DDR legte sich auf „Umsiedlung“ fest. Die Vertreiberstaaten sprachen dabei aber nicht von Vertreibung, sondern von „Transfer“ oder gebrauchten entsprechende Wörter wie tschechisch/slowakisch odsun (Abschub) oder vysídlenie (Aussiedlung).
Monate der Rechtlosigkeit
Durch die Präsidialdekrete des Staatspräsidenten Eduard Beneš, die auf der Kollektivschuldthese basierten, wurden den Deutschen und Magyaren das Vermögen und die Staatsbürgerschaft genommen und die Arbeitspflicht eingeführt. Schon im Mai 1945 versuchten vor den Kämpfen geflüchtete Deutsche aus den ehemaligen deutschen Gebieten in ihre Heimat zurückzukehren, oft unter dramatischen oder sogar tragischen Umständen. Da erinnern wir nur an die Ereignisse an den Schwedenschanzen bei Prerau (267 Erschossene). Für die aus der Evakuierung heimwärts strebenden Deutschen und auch für den größten Teil der Daheimgebliebenen wurden Lager errichtet.
Im Lager
Offensichtlich, was auch die Erinnerungen der Vertriebenen bestätigen, wurden die ersten Lager provisorisch schon ab Anfang April errichtet. Offiziell hat das Amt des Slowakischen Nationalrates für Innenangelegenheiten die „Maßregelung gegen Personen deutscher und magyarischer Nationalität“ am 27. Juli 1945 erlassen, nach der die Deutschen und Magyaren in Sammellagern interniert werden sollten. Aber etliche Lager waren schon vorher errichtet. Hauptlager war das bei Nováky, andere größere Lager waren in Engerau/Petržalka, St. Georgen/Svätý Jur, Limbach und auch in der Patronenfabrik in Preßburg. Kleinere Lager bestanden bei Topoľčany, Sillein/Žilina, in Kesmark/Kežmarok, Deutschendorf/Poprad und in Matzdorf/Matejovce. Junge Männer wurden an der Baustelle für das Orava-Stauwerk interniert. Ein Lager wurde auch das ganze Ortsgebiet von Neuhau/Nová Lehota, heute Teil von Krickerhau/Handlová.
Die Situation in den einzelnen Arbeitslagern war unterschiedlich, aber überall war sie schlimm. Die Lager sind meist improvisiert entstanden und in der Nachkriegssituation war die Versorgung mit Lebensmitteln schlecht, es waren wortwörtlich Hungerlager. Ganz schlimm war es mit der Hygiene, es sind Infektionen und verschiedene Krankheiten ausgebrochen. Bekannt ist auch das Entsetzen der Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes im Lager in Nováky am 16. November 1945. Die schlechte Situation der Internierten wollten die Stellen in der gesamten Tschechoslowakei durch eine Beschleunigung der Abschiebung der Deutschen lösen.
Stabilisierung der Zahl der Deutschen
Ein Teil der Karpatendeutschen wollte aus der Evakuation zurück in ihre Heimatorte kommen, auch wenn sie wussten, was sie erwartete. Die slowakischen Stellen wollten das aber verhindern und deswegen hat das Amt des Slowakischen Nationalrates für Innenangelegenheiten am 25. Oktober 1945 ein Rundschreiben veröffentlicht, dem nach das Durchlassen der Transporte der evakuierten Karpatendeutschen in die Slowakei verboten war. Damit hat sich die Zahl der Karpatendeutschen in der Slowakei praktisch stabilisiert. Am Jahresende 1945 lebten in der Slowakei um die 58.000 Karpatendeutsche. Laut dem Bericht der Hauptleitung der Nationalen Sicherheitspolizei gab es in der Slowakei im Herbst 1945 52 Sicherheitsgebilde, in denen die Karpatendeutschen einen 85-Prozent-Anteil hatten, was um die 18.000 Menschen waren. Sie waren zerstreut im ganzen Land – von Engerau im Westen bis Veľké Kapušany im Osten. Das größte Lager war in Nováky mit mehr als 5.000 Deutschen.
Aus der Staatsbürgerschaft entlassen
Am 2. August unterzeichneten im Potsdamer Schloss Cecilienhof die Vertreter der Siegermächte das Protokoll, welches den künftigen Umgang mit dem unterlegenen Deutschland regeln sollte. In Abschnitt XII des Abkommens wurde festgelegt, dass die deutsche Bevölkerung aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“ überführt wird. Dies sollte die bereits laufende zum Teil gewalttätige Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten rechtfertigen.
Am selben Tag wurde von Staatspräsident Edurad Beneš das Verfassungsdekret Nummer 33 über die „Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft deutscher oder magyarischer Nationalität“ erlassen. Den Sinn dieses Dekretes hat die Fachzeitschrift „Právní praxe“ (Rechtspraxis) in der Septemberausgabe 1945 ganz klar erklärt: „Der Zweck dieses Dekretes ist es, die Deutschen zur Vorbereitung ihrer Abschiebung aus dem Gebiet der Tschechoslowakei ihrer Staatsbürgerschaft zu entledigen“.
Etappe der organisatorischen Vorbereitung der Abschiebung
Der Kontrollrat der Alliierten hat am 20. November 1945 in Berlin entschlossen, dass aus der Tschechoslowakei 2,5 Millionen Deutsche ausgesiedelt werden – davon 1,75 Millionen in die amerikanische Zone und 750.000 in die sowjetische. Die tschechoslowakische Regierung war auf diese Entscheidung schon vorbereitet: Am 14. Dezember hat sie die Richtlinien gebilligt, am 31. Dezember 1945 hat das Innenministerium den Erlass Nummer B-300/1990 für die Abschiebung der Deutschen aus dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik herausgegeben. Sie waren auf dem gesamten Gebiet der Tschechoslowakei gültig.
Die Abschiebung organisierte in der Slowakei das Amt des Beauftragten des Innern, wo Anfang 1946 die Abteilung V gegründet wurde, die der Regierungsbeauftragte für die Abschiebung Ivan Skarba leitete. Er gab am 21. März 1946 eine umfangreiche Richtlinie heraus.
Durchführung der Abschiebung
Im Hauptabschnitt dieser Richtlinien wurden die zwei ersten Abschiebelager genannt: das in Engerau und das in Nováky. Ein Teil der Lager war für die Sammlung der Deutschen bestimmt, die abtransportiert werden sollten (in Nováky war es das Lager 3). Zu diesen zwei Lagern kam kurz danach noch Deutschendorf. Es wurde auch festgestellt, welche Personen von der Abschiebung betroffen waren, eine freiwillige Abschiebung war nicht zulässig.
In diesen Richtlinien wurden dann etliche Details für die Durchführung der Abschiebung genannt: Die aus 40 gedeckten Güterwagons bestehenden Züge sollten nicht mehr als 1.200 Personen aufnehmen. Bewilligt war Gepäck, das maximal 30 Kilogramm schwer sein durfte (später bewilligten die Amerikaner 50 Kilogramm). Ein Arzt musste den „gesundheitlich einwandfreien“ Zustand bescheinigen und die Familien mussten komplett sein, das heißt eventuell inhaftierte Männer mussten dabei sein.
Den noch zerstreut in ihren Dörfern lebenden Deutschen wurde die Möglichkeit zur freiwilligen Meldung zur Abschiebung im Frühjahr 1946 bekannt gegeben. In den späteren Wochen wurde bereits Miliz und Militär aufgeboten, um die restlichen Deutschen, die irgendwo außerhalb der Lager lebten, in Überraschungsaktionen einzusammeln und in die Sammellager zu bringen.
Erste Transporte
Am 27. März meldete I. Skarba nach Prag, dass Mitte April in Engerau und Nováky alles für die ersten Transporte vorbereitet werde. Parallel hat man aber auch schon in dem Lager in Deutschendorf mit den Vorbereitungen für den Transport begonnen.
Der erste Transport der Slowakeideutschen wurde am 30. Mai 1946 abgefertigt. Aus dem Bahnhof Preßburg – Hafen setzte sich um 15.30 Uhr der Transport Nummer 8713 in Richtung Westen in Bewegung. Die Abgeschobenen waren Lagerinsassen aus dem Lager Engerau. Am 2. Mai um 12.35 Uhr erreichte der Zug den Bahnhof Taus/Domažlice. 1194 Personen, davon 483 Männer, 625 Frauen und 86 Kinder bis 6 Jahren kamen nach deutlichen Kontrollen kurz danach in der damaligen amerikanischen Besatzungszone an.
Gesamtzahlen
Von dem größten Sammellager in Nováky wurde der erste Transport am 12. Mai abgefertigt, auch in die amerikanische Zone. Der letzte verließ das Lager am 2. November 1946. Insgesamt waren es 16 Transporte mit 19.291 Deutschen. Von diesen hatten zehn als Ziel die sowjetische Zone, die restlichen sechs die amerikanische.
Nach dem erwähnten ersten Transport wurden aus Engerau noch weitere fünf abgefertigt. Zusammen waren es sechs Transporte mit 7.207 Personen. Davon wurden nur zwei in die amerikanische Zone geleitet, die restlichen in die sowjetische.
Aus Deutschendorf wurden insgesamt fünf Abschiebetransporte mit 6.001 Deutschen abgefertigt. In die amerikanische Zone wurde nur einer geleitet.
Amtlichen Angaben nach war die Abschiebung der Deutschen aus der Tschechoslowakei am 3. November 1946 offiziell abgeschlossen. Am Anfang des Jahres 1947 lebten in den Sammellagern in Nováky noch 1383 Deutsche, in Engerau 512.
Zusätzliche Abschiebungen
Die ČSR-Regierung hat aber ab Frühling 1947 weitere Massentransporte der Deutschen geplant. Nach den Richtlinien vom März 1947 sollten aus den Transporten sogenannte Spezialisten und auch Personen aus Mischehen ausgenommen werden. Aus der Slowakei wurden in den Jahren 1947, 1948 rund 300 Deutsche ausgesiedelt, bei den meisten wurde dies mit Familienzusammenführungen begründet.
In der Literatur sind die Zahlen der Deutschen in den Transporten in den Jahren 1946 bis 1948 unterschiedlich. Nach neuesten Angaben wurden in diesem Zeitabschnitt 27 komplette (1946) und 12 Teiltransporte mit 32.546 Slowakeideutschen abgefertigt.
Die Vertreibung der Karpatendeutschen wurde durch diese organisierte Abschiebung abgeschlossen. Von den um die 150.000 Karpatendeutschen wurden in unterschiedlichster Form in den Jahren 1944 bis 1948 um die 125.000 gezwungen, ihre alte Heimat, die Slowakei, zu verlassen. Geblieben sind Ende 1940er Jahre um die 25.000 Karpatendeutsche.
Ondrej Pöss